Gehen wir bald nicht mehr im Supermarkt einkaufen?

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Seit dieser Woche gibt es mit Amazon Fresh einen weiteren Lieferdienst, der uns frische Lebensmittel direkt bis vor die Haustür bringt. REWE, Edeka und diverse Start-ups liefern in Großstädten schon seit 2014 Gemüse, Obst, Käse, Joghurt und Waschmittel per Kleintransporter und in den USA gibt es mit "Amazon Go" in Seattle den ersten kassenlosen Supermarkt des Onlinehändlers. Es tut sich was in unserer Einkaufslandschaft. Brauchen wir bald gar keine Supermärkte mehr und wenn ja, was bedeutet das für unseren Alltag?

Der Supermarkt als sterbende Institution

Klingt eigentlich ganz verlockend: Statt sich kurz vor Ladenschluss noch ein paar Salatblätter mitzunehmen, die genauso müde und schlaff sind wie man selbst, kann man alle Dinge des täglichen Bedarfs bequem online bestellen und die Lieferzeit auswählen. Es ist ein wenig teurer, aber vielen die 3 bis 5 Euro Liefergebühren und leicht höheren Online-Preise wert. Seit es die Lieferdienste gibt, wird zumindest mir selbst mehr und mehr bewusst, dass Supermärkte möglicherweise genauso eine sterbende Institution sind wie Printmedien. Wozu führt das? Wie verändert sich dadurch unser Alltag, Konsumverhalten und unsere Lebenswelt?

Einkaufen unterscheidet sich in zwei verschiedene Grundmotivationen: funktionales und emotionales Einkaufen. Es gibt Dinge, die wir brauchen und kaufen müssen, um im Alltag zu überleben – Lebensmittel, Klopapier, Medikamente, etwas zum Anziehen, you name it. Die meisten Dinge aber brauchen wir nicht wirklich, um unsere Vitalfunktionen aufrecht zu erhalten und halbwegs zivilisiert zu leben. Modeschmuck, Schnittblumen, ein Auto, lustige Handyhüllen und so weiter. Diese Dinge kaufen wir eher aus emotionalen Bedürfnissen heraus – oder weil ein Influencer uns mit seinem Instagrambild dazu beeinflusst hat. Solche Luxusgüter gibt es schon lange auch außerhalb der Einkaufsstraßen zum Bestellen. Die Geschichte des Versandhandels reicht zurück bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, damals noch mit Bestellkatalog, damals eine richtige Innovation. Den gab es im Zuge des Wirtschaftswunders immer häufiger und wer zwischen 1970 und 1990 geboren ist, erinnert sich vermutlich noch ziemlich genau daran, welcher Bestellkatalog alle Objekte der Begierde versammelte – bei mir war es der Otto-Katalog. Nun verschiebt sich auch der funktionale Teil unseres Konsums in den Online-Bereich.

Die Schattenseiten des Online-Supermarktes

Eigentlich eine logische Entwicklung: Den Pizzaservice gibt es schon längst und die Restaurantkuriere von Foodora, Deliveroo et cetera radeln sich die Reifen platt, weil die Menschen das Angebot begeistert in ihre Routine aufgenommen haben. Es spart Zeit, es geht vergleichsweise schnell und die paar Euro Liefergebühr, ja mei. Man bekommt dafür immerhin genau das, was man selbst kaufen würde, wenn man Zeit, Lust oder keinen riesigen Kater hätte. Abgesehen von all den Schattenseiten des Geschäfts – schlechte Arbeitsbedingungen für die Lieferfahrer, lange Schichten, niedrige Löhne und teilweise nicht zu unterschätzende körperliche Belastung – sind Online-Supermärkte für den Verbraucher vor allem eine ziemlich praktische Sache. Rein theoretisch.

In der Realität zeigen sich dann doch so einige Nachteile: Lieferzeiten werden nicht eingehalten, weil die Routenplanung der Fahrer viel zu eng getaktet ist, um schaffbar zu sein. Anders als beim Selbstkaufen, kann man sich nicht die reifste Avocado aussuchen. Man bekommt, was man bekommt und wenn Artikel nicht vorrätig sind, werden sie durch ein "ähnliches Ersatzprodukt" ersetzt, was bedeutet, dass man unter Umständen statt Waldbeerjoghurt eben Waldbeer-Tee in seiner Tüte findet. Naja, fast dasselbe. Man gibt Verantwortung ab, aber eben auch die Kontrolle. Und mit der gewonnen Zeit, die man für diesen Einkauf nicht im Supermarkt gestanden hat, kann man dann noch schnell beim Gemüseladen um die Ecke ein reife Avocado kaufen oder Bananen, die nicht komplett grün sind.

Wie sähe eine Zukunft ohne Supermärkte aus?

Mit Blick auf die Zukunft bleibt es spannend: Verschwinden Supermärkte schleichend ganz? Wahrscheinlich schon, aber allzu schnell sollte das nicht gehen. Mit voranschreitender Technisierung und Automatisierung unseres Alltags und Kühlschränken, die heute schon erkennen, wann die Milch alle ist, sind wir schon relativ nah an supermarktfreien Städten. Aber wie bei der Sache mit den fliegenden Autos geht das vermutlich alles nicht so schnell, wie man es sich so vorstellt und für den Sofortbedarf sind reale Supermärkte mit Schiebetür und Luftgebläse ohnehin nicht ersetzbar, auch nicht durch den schnellsten Lieferfahrer.

Ich frage mich, ob das eigentlich schade wäre, nicht mehr im Laden Lebensmittel einkaufen gehen zu müssen. Eigentlich ist das doch immer ganz nett. Als Zwischenstation zwischen Arbeit und Zuhause finde ich das Stöbern in der Gemüseabteilung angenehm unanstrengend und stabilisierend, aber ich gehe auch aus therapeutischen Gründen in den Bioladen. Gut, manchmal nervt Einkaufen auch, wenn man einen doofen Tag hatte, es in Strömen regnet und auf den knurrenden Magen nur ein leerer Kühlschrank wartet. Aber die Vorstellung, dass es wahrscheinlich irgendwann eine Generation Kinder geben wird, die nicht mehr das Gefühl kennt, erhaben im Kindersitz im Einkaufswagen zu sitzen und die Ärmchen nach den bunten Dingen im Regal auszustrecken, sodass sich die Quengelzone vom Supermarkt ins eigene Wohnzimmer verlagert – das ist dann doch irgendwie ein bisschen komisch. Bevor es jedenfalls noch keinen Express-Lieferdienst für Himbeer-Eis gibt, bleibe ich skeptisch.

Bevor es noch keinen Express-Lieferdienst für Himbeer-Eis gibt, bleibe ich skeptisch.
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