Boys geben den Ton an: Warum wir anfangen sollten, mehr weibliche Acts zu hören
Provinz, AnnenMayKantereit, Jeremias, Giant Rooks, Milky Chance, Kraftklub, Kytes, Kaffkiez, Leoniden, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys und Tokio Hotel. Das ist eine wilde Mischung unterschiedlicher Bands, die gerade in vielen deutschen Playlists zu hören sind. Sie alle sind (mehr oder weniger) bekannt, kommen aus Deutschland, stehen auf den Bühnen des Landes und teilweise sogar der Welt. Aber vor allem haben sie eins gemeinsam: Sie sind Boybands. Boys, die gemeinsam Musik machen. Boys, die den Ton angeben.
Ja, auch ich liebe Kraftklub und tanze zu Konzerten von Giant Rooks und habe das ein oder andere Lied von Milky Chance in meiner Playlist. Das ist okay – und soll auch so bleiben. Welche Bands wirklich hörenswert sind, darüber möchte ich gar nicht urteilen, denn Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Fakt ist aber, ich höre und sehe weibliche Bands viel seltener – sowohl auf Spotify als auch auf Festivals und das obwohl ich selbst früher in einer Band gespielt habe, in der mehr Frauen* als Männer gewesen sind. Wie besonders es war, dass wir eine Schlagzeugerin hatten, war mir damals gar nicht bewusst. Schade, dass wir nie erfolgreich wurden. Da stellt sich mir natürlich die Frage: Lag es nur an unserem Können, meinem Geschmack oder gibt es andere Gründe?
Nina Chuba, Juju und Kolleginnen machen es vor
Bevor jetzt eine Welle der Empörung über mich rollt – natürlich kenne auch ich Künstlerinnen. Wer kommt heutzutage noch an Gen-Z-Musikerinnen wie Paula Hartmann oder Nina Chuba vorbei? Auch Juju oder Nura werden über ihre Musikblase hinaus bekannter, Alli Neumann reiht sich daneben ein, die Texte von Lea sind aus der deutschen Popmusik nicht mehr wegzudenken und auch Künstlerin Wilhelmine nimmt gerade Anlauf zum großen Erfolg. Doch eine Sache sticht hier ins Auge: Alle sind als Solo-Künstlerinnen unterwegs. Natürlich steht hinter ihnen meist eine Band oder ein DJ, aber diese wechseln oft und sind nicht Teil ihrer Künstlerinnenidentität.
Tatsache ist, dass Frauen* in der Musikbranche noch immer unterrepräsentiert sind. Jährlich untersucht die University of Southern California Annenberg in ihrem Bericht den Anteil von Frauen* in der Musikindustrie. Nach dem Report aus 2020 sind Frauen* nur in 20,2 Prozent der Top-Songs die ausführende Künstlerin. Auch der Anteil der weiblichen Song Writerinnen sank 2020 von 14,4 Prozent auf 12,9 Prozent. Von einem Gleichgewicht sind wir also nicht nur weit entfernt, wir entfernen uns sogar weiter. Beim Anblick des Gender Pay Gap wird es noch gruseliger und ich würde am liebsten die Augen verschließen, denn in der Musikbranche verdienen Männer bis zu 30 Prozent mehr als Frauen. Wow, wird die Musikindustrie jetzt zum neuen Fußball?
Wo liegt das Problem?
Kommen wir kurz zurück zu den Männern: Im neuen Kraftklub-Song "Teil dieser Band" wird Erfolg in der Musikbranche ziemlich gut zusammengefasst. Felix Kummer singt "Es ist nicht fair" und man kann ihm nur zustimmen. Nicht jede*r erfolgreiche Musiker*in kann perfekt singen oder die besten Texte schreiben, sondern hatte neben Talent und dem richtigen Timing einfach auch noch Glück. Nicht fair ist das Musikbusiness – und das vor allem für viele Frauen*. In einem Interviewformat von 1Live verraten Künstlerinnen, dass sie tatsächlich nicht so oft gebucht werden wie Männer, weniger große Spots auf Festivals bekommen und dass allgemein weniger Frauen* in der Branche tätig sind. Warum das so ist, hat ungefähr so viele Gründe, wie Berlin Einwohner*innen hat.
Ein Grund ist, dass weniger Frauen* in den Führungspositionen der Veranstaltungsbranche sitzen und dadurch weniger Frauen* gebucht werden. Einen großen Einfluss hat auch die gesellschaftliche Beurteilung und Wahrnehmung von Frauen*. Sie werden nach Äußerlichkeiten bewertet und sie sollten im besten Fall jung und gutaussehend sein. Überraschung – nicht immer spielt nur das Können und die Leistung eine Rolle. Die gesellschaftlichen Muster, in denen Frauen* sich nicht in den Mittelpunkt stellen und sich eher zurückhaltend verhalten sollen, sind noch stark verankert. Dadurch stehen einfach weniger weibliche Acts auf der Bühne, die Vorbilder für junge Künstlerinnen sein könnten, womit wir wieder am Anfang der Problemkette sind.
Es gibt so viele wunderbare weibliche Bands
Über all das nachzudenken macht irgendwie keinen Spaß, dabei geht es doch um die beste Unterhaltung, die es gibt: Musik. Doch es gibt auch eine gute Nachricht zum Schluss. Die Problemlösung liegt nicht nur auf, sondern sogar in unserer Hand. Denn existieren nicht zu wenige Künstlerinnen, sie werden nur zu wenig unterstützt. Das können wir easy gemeinsam ändern, indem wir anfangen, mehr weibliche Bands zu hören.
Zum Beispiel Umme Block. Klara Rebers und Leoni Klinger aus München gründeten 2018 ihr musikalisches Projekt und sind seitdem auch in meiner Playlist zu finden. Wer auf die extravagante Mischung von Future Retro Pop steht, kommt an Children nicht vorbei. Da wir so viel von Kraftklub gesprochen haben, darf eine Band auf keinen Fall fehlen: die zwei Schwestern Nina und Lotta Kummer. Gemeinsam mit ihrem Freund Johann Bonitz machen sie als Band Blond bunte, wild gemixte Musik aus Rap, deutschen und englischen Texten. Wen ihr unbedingt auch mal anhören solltet, ist Gurr. Die zwei Frauen aus Berlin liefern einen unwiderstehlichen Mix aus fuzzigen Gitarren und Garage-Sounds, gepaart mit einer Prise Kalifornien.
An Auswahl mangelt es also nicht und hoffentlich landet die ein oder andere Band auch in eurer Playlist und somit irgendwann auf unseren liebsten Festivalbühnen. Dann auch nicht nur als Background-Tänzerinnen, um die Quote zu erfüllen, sondern als Mainact.