Vom Kloster bis zum Palast der Republik: 11 Facts zur Geschichte des Humboldt Forums
Seit dem 20. Juli ist das Berliner Humboldt Forum für Publikum geöffnet, nachdem 2013 der Grundstein für den teilweise rekonstruierten Neubau und das größte Kulturbauprojekt des Landes gelegt worden war. lm Vorfeld der Eröffnung wurde viel geschrieben, diskutiert und in einigen Belangen zurecht auch kritisiert, denn das Humboldt Forum steht heute an einem Ort, der eine spannende wie umstrittene Geschichte hat. Ein Platz, der wie kaum ein anderer in Berlin für Streit, Machtdemonstration und politische Entscheidungen steht.
Über 800 Jahre lang haben Monarchen und Politiker*innen hier immer wieder gebaut, umgebaut und abgerissen. Das Humboldt Forum will diese vielfältige Geschichte des Ortes nicht nur mit der Architektur, sondern mit seinen Sammlungen, Ausstellungen und Veranstaltungsreihen erlebbar machen, geht aber auch kritisch mit ihr ins Gericht und ist offen für Debatten. Achtung, jetzt wird's historisch: Vom einstigen Kloster über ein barockes Stadtschloss bis zum Palast der Republik – diese 11 Facts zur Geschichte des Humboldt Forums solltet ihr kennen:
1. Von Sumpfwiesen, Stadtvierteln und einem Kloster
Fangen wir ganz vorn vorne an. Da, wo das heutige Berlin Mitte und somit auch das neue, alte Stadtschloss steht, befanden sich einst Sumpfwiesen entlang der Spree, die hier bis heute zwei Flussarme hat. Im 13. Jahrhundert ist auf dem Sandplateau dazwischen, also direkt neben der Gemeinde Berlin, die Kaufmannssiedlung Cölln entstanden, deren Name ihr noch heute in dem Bezirk Neukölln wiederfindet. Der Name Berlin hat sich erst durchgesetzt, als die beiden Siedlungen zu einer Stadt wurden.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde auf der Spreeinsel ein Dominikanerkloster samt Kirche errichtet – ein Zeugnis der wirtschaftlichen Blüte Berlins im Mittelalter. Später ließ Friedrich der Große das Kloster wieder abreißen. Im Schlosskeller des heutigen Humboldt Forums könnt ihr euch sogar noch original erhaltene Teile des alten Kloster-Fundaments, des späteren Stadtschlosses und kuriose Fundstücke wie einen Zapfhahn der klösterlichen Weinfässer anschauen. Interessant!
2. Der "Berliner Unwillen" und ein Renaissance-Schloss
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass mit dem "Berliner Unwillen" schon 1447/48 ein Konflikt an diesem Ort in einem Aufstand kulminierte, weil der märkische Landesherr Friedrich II. ab 1443 eine Burg auf der Spreeinsel bauen wollte. Die Bürger*innen fürchteten, dass sie Land abgeben müssen und wollten ihre städtische Freiheit verteidigen, indem sie die Baugrube unter Wasser gesetzt haben. Gebracht hat's alles nichts, der Grundstein für das spätere Berliner Schloss war damit gelegt.
Im 16. Jahrhundert wurde Berlin dann eine wichtige Größe und Residenz für die Hohenzollern, die Burg wurde von Kurfürst Joachim II "abgetragen", stattdessen ließ er am selben Platz ein Renaissance-Schloss errichten, das allerdings im Dreißigjährigen Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und zusehends verfiel.
3. Barocke Baukunst nach Andreas Schlüter
Unter König Friedrich I. haben die Preußen das Schloss nach Plänen des berühmten Bildhauers und Architekten Andreas Schlüter, dessen Einfluss an vielen Stellen des teilweise rekonstruierten Humboldt Forums heute wieder zu sehen ist, zwischen 1698 und 1713 zu einem prunkvollen, barocken Schloss umgebaut. Der barocke Bau ging später als ein Hauptwerk des norddeutschen Barock in die Geschichte ein. Bis zum Ende des Kaiserreichs 1918, war das Schloss Sitz vieler Kaiser und Könige, zum Schluss der Hohenzollern und hat mit der Zeit auch immer wieder Umgestaltungen erfahren, unter anderem hat der Baumeister Karl Friedrich Schinkel viele klassizistische Elemente ergänzt.
4. Das Stadtschloss im Angesicht der Weltkriege
Ideologisch umkämpft war das Schloss vor allem auch in den ersten beiden Weltkriegen. Kaiser Wilhelm II. hielt auf dem Balkon des Portals V zwei Balkonreden an die Berliner*innen, um das Volk auf den bevorstehenden Krieg einzustimmen und später auch, um den Eintritt in den ersten Weltkrieg 1914 zu verkünden. Später war es Karl Liebknecht, der von hier aus nach Kriegsende im Jahr 1918 die "sozialistische Republik" ausrief. Während sich das Stadtschloss in den Jahren der Weimarer Republik zu einem der wichtigsten Kultur- und Wissenschaftszentren Berlins entwickelte, wurde es 1945, am Ende des zweiten Weltkrieges, zerstört und brannte nach einem Bombenangriff vollständig aus.
5. DDR: Abriss, Aufmarschplatz & Propaganda
Nach der Gründung der DDR 1949 wurde die aus dem Krieg übrig gebliebene Ruine des Schlosses im Sommer 1950 gesprengt. Walter Ulbricht hatte den ehemaligen Schlossplatz zum Marx-Engels-Platz umbenannt und ihn zugleich zum Parade- und Aufmarschplatz ausgerufen. Zum Zwecke sozialistischer Propaganda fanden hier nun Demonstrationen nach sowjetischen Vorbild statt, bei denen sich große Menschenmassen vor Tribünen versammelten, um den SED-Politiker*innen zuzuhören.
6. Ein Volkshaus für alle: der Palast der Republik
Erst ab 1973 wurde an selber Stelle der Palast der Republik gebaut, der 1976 eröffnet werden konnte. Mit dem Bau des "Volkshauses" in direkter Nähe zum Berliner Rathaus und dem Alexanderplatz hat sich die DDR-Führung bewusst von alten Grundrissen und Plänen des historischen Schlosses abgewendet. Der Palast der Republik sollte sowohl öffentlich für alle DDR-Bürger*innen zugänglich sein als auch repräsentative Absichten erfüllen, quasi eine Mischform aus Kultur- und Staatshaus sein. Hier tagte das DDR-Parlament in Räumen neben DDR-Kunst-Ausstellungen, zugleich waren auch eine Diskothek sowie Cafés und sogar eine Bowlingbahn für Jugendliche im Palast untergebracht.
7. Erneuter Abriss & Wiederaufbau des Schlosses
Nach dem Mauerfall und der Wende wurde festgestellt, dass der Palast der Republik hochgradig asbestverseucht war, woraufhin er 1990 geschlossen wurde. In den Jahren 1998 bis 2003 wurde das Asbest durch Spezialfirmen ordnungsgemäß entsorgt und der Palast in seinen Rohbau-Zustand zurückversetzt – ein Großteil der Einrichtung und Innenausstattung wurde im diesem Zuge verkauft oder bei Auktionen angeboten. Parallel entflammten in der Presse hitzige Diskussionen darüber, was in Zukunft mit dem Palast geschehen solle.
2002 dann der Beschluss des Deutschen Bundestages: Der Palast wird abgerissen, stattdessen soll das Berliner Schloss wieder aufgebaut werden. Trotz der politisch beschlossenen Entscheidung, bekam der Palast der Republik vor seinem Abriss 2008 nochmals viel Aufmerksamkeit, unter anderem durch das Projekt "Palast des Zweifels", für das der der norwegische Künstler Lars Ramberg den überdimensionalen Schriftzug "ZWEIFEL" am Bau anbringen ließ.
8. Beton Barock: Bau des Humboldt Forums
Den ausgeschriebenen Architekturwettbewerb für das Humboldt Forum, das in das Schloss einziehen soll, gewinnt 2008 der italienische Architekt Franco Stella. Er gestaltet die Innenräume des Neubaus – dessen Bau sich inzwischen auf knappe 680 Millionen Euro beläuft – und plant eine hochmoderne Museumsanlage, die damit ab 2013 auf der Museumsinsel in Berlin entsteht. Eine Expert*innenkommission hatte mit dem Beschluss von 2002 veranlasst, dass der Schlossneubau sich an den barocken Ursprungsfassaden von Schlüter orientieren soll.
Die Idee, durch das Zusammenspiel aus alten Schlüter-Fassaden und modernen Elementen von Franco Stella ein Hybrid aus Moderne und Barock zu erschaffen, stieß allerdings nicht nicht bei allen auf Zustimmung. Der Streitpunkt: Darf man Fassaden rekonstruieren, die unter der Herrschaft der Hohenzollern entstanden sind und unter denen das deutsche Reich zur Kolonialmacht wurde?
9. Debatte um Kolonialkunst
Während des Baus des neuen Stadtschlosses, in welches das Humboldt Forum einzieht, beginnt eine bislang versäumte, aber wichtige und richtige Debatte über einer Leerstelle der deutschen Geschichtsschreibung, den Deutschen Kolonialismus. Zum einen, weil an diesem Ort, in diesem Schloss, einst Menschen herrschten, die im 17. Jahrhundert Expeditionen mit blutigem Ausgang in afrikanische Länder unternahmen. Und zum anderen, weil von hier aus die Kolonialgeschichte Europas und die heutige ungleiche Verteilung der Welt mitbegründet und bis heute mitgesteuert werden.
Sollte man diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte ein Denkmal setzen, indem man Teile des damaligenRepräsentationsanspruchs noch einmal rekonstruiert? Eine berechtigte Frage. Wie sollen wir als Gesellschaft damit umgehen, dass gerade an diesem Ort zukünftig Objekte und Artefakte der Ethnologischen Sammlungen wie das offenbar 1903 von der Südseeinsel Luf gestohlene Luf-Boot oder die 1897 erbeuteten Benin-Bronzen aus Nigeria, die ganz klar als koloniale Raubkunst ausgemacht werden können, bisher aber nicht oder, wie in diesem Fall, erst sehr spät zurückgegeben wurden?
10. 2021 – Das Humboldt Forum wird eröffnet
Seit Juli diesen Jahres ist das Humboldt Forum nun nach mehr als zehnjähriger Bauzeit, begleitet von vielen Debatten und einer Corona-bedingten digitalen Einweihung im vergangenen Jahr, für das Publikum geöffnet. In mehreren Schritten werden im Laufe des nächsten Jahres weitere Teilöffnungen bestimmter Ausstellungsflächen hinzukommen. Das erklärte, gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist es, einen lebendigen Ort für Kunst und Kultur, Wissenschaft und Bildung zu schaffen.
Gut zu wissen: In das Megaprojekt Humboldt Forum, für das übrigens die großen Reformer und Visionäre Wilhelm und Alexander von Humboldt Namenspaten waren, sind vier Akteure involviert: die Stiftung Humboldt Forum, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Humboldt Labor sowie Kulturprojekte Berlin und das Stadtmuseum Berlin mit der Berlin Ausstellung BERLIN GLOBAL.
11. Neue Perspektiven & Fragen der Zukunft
Streng genommen gehört dieser Punkt nicht in die Geschichte, aber die Debatte darüber, wie man mit Geschichte umgeht, wie man sich ihr stellt und eine neue Geschichtsschreibung aussehen könnte, wird sich das Humboldt Forum stellen müssen. Sie ist von Beginn an Teil seiner DNA. Vielleicht ist es gerade das, was dieser Bau jetzt und in Zukunft leisten kann: ein Ort der kritischen Reflektion, des miteinander Lernens und des permanenten Debattierens zu sein. Der Umgang mit dem kolonialen Erbe ist ein dunkler Fleck unserer Geschichte und muss dringend bis ins Detail aufgearbeitet werden.
Das, so scheint es, ist aber inzwischen angekommen und gewollt. In vielen der Eröffnungsausstellungen, etwa "schrecklich schön" oder "BERLIN GLOBAL" ist das Thema schon allgegenwärtig. In anderen Dauerausstellungen wird die 800-jährige Geschichte vom Dominikanerkloster im Mittelalter über den ersten Schlossbau, den Palast der Republik bis hin zur heutigen Rekonstruktion erzählt. Wer sich für die Geschichte rund um den Schlossplatz interessiert, kommt nicht umher, das Humboldt Forum zu besuchen.