Psychische Gesundheit: Wie funktioniert Online Therapie?
Die momentane Situation fordert von uns allen eine Lebensumstellung und das in kürzester Zeit. Viele Strukturen fallen gerade weg und das kann für jede und jeden, ob mit oder ohne psychischer Vorbelastung, schwierig sein. Deshalb brauchen viele gerade jetzt Unterstützung. Online Therapie scheint hier eine interessante Lösung zu bieten. Wie das funktionieren kann, haben wir Alexandra Bauer, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Life Coach, gefragt. Sie arbeitet mit Privatversicherten, aber auch Psychotherapeut*innen, die mit gesetzlichen Krankenkassen arbeiten, stellen auf Online Sitzungen um. Welche Unterschiede es gibt, erklären wir euch im Infokasten am Ende des Artikels. Alle Infos gibt es auch auf der Seite der Bundes Psychotherapeuten Kammer.
In ihrem Job hilft Alexandra Menschen sowohl mit schwierigen Lebenssituationen oder ihrer Depression umzugehen, als auch bei Themen wie beruflicher Neuorientierung oder Strukturierung des Alltags. Sie arbeitet international und schon seit Jahren mit Online Therapie. Das bietet sie jetzt, wie viele andere, verstärkt an. Ihre Gemeinschaftspraxis in München haben sie und ihre Kolleg*innen zum Schutz ihrer Klient*innen und des Personals geschlossen. Wir haben sie gefragt welche Möglichkeiten Therapiesitzungen und Life Coachings für die aktuelle Situation bieten.
Alexandra, du arbeitest schon lange mit Online Sitzungen, wie läuft das bei dir ab?
Wir arbeiten mit dem Kommunikationstool zusammen, das der Klient für sich als stimmig empfindet. Das kann zoom.us sein oder Skype, manche wollen Facetimen, andere wollen einen Whats App-Videochat. Bei diesen Anbietern funktioniert die Verbindung auch immer recht gut.
Wir treffen uns dann im virtuellen Raum. Ich gestalte vorher die Atmosphäre in dem Raum, in dem ich arbeite, indem ich eine Kerze anzünde und mir fünf Minuten vor dem Gespräch nehme, um mich zu sammeln. Ich kreiere damit auch eine Wohlfühlatmosphäre für mich. Ich empfehle das auch meinen Klienten. Wenn es ihnen hilft, eine Kerze anzuzünden, Ölduft zu verteilen, eine Decke mitzunehmen. Und dann geht die Stunde ganz normal los.
Tatsächlich ist es immer die Frage, wie man als Therapeut den Rahmen vorgibt und den Raum gestaltet. Sowohl virtuell als auch physisch.
Das heißt du merkst für dich gar keinen großen Unterschied zwischen persönlichen Treffen oder im virtuellen Raum?
Genau. Grundsätzlich ist es natürlich immer noch persönlicher und schöner, wenn wir uns direkt in einem realen Raum begegnen. Klar, wenn man sich zum Beispiel verabschiedet und sich die Hand schüttelt, dann ist das etwas anderes als sich zum Abschied zu winken. Viele meiner Klienten sind aber gar nicht in meiner Nähe. Die freuen sich dennoch mit mir zusammen arbeiten zu können.
Und selbst die, die am Anfang denken: "Mh Online, kann das ähnlich gut sein wie wenn ich in die Praxis reinkomme und jemanden persönlich sehe?", vergessen innerhalb der ersten fünf Minuten, dass sie überhaupt nicht mit mir zusammen in einem physischen Raum sind. Im Endeffekt geht es nur darum, dass man Vertrauen zu dem Gegenüber aufbauen kann. Das ist genauso viel oder wenig gegeben, egal ob ich dem Menschen persönlich oder virtuell begegne. Wenn es nicht passt, dann passt es so oder so nicht und wenn es passt, dann passt es auch online. Tatsächlich ist es immer die Frage, wie man als Therapeut den Rahmen vorgibt und den Raum gestaltet. Sowohl virtuell als auch physisch.
Es ist ja oft das eigene Zuhause, das zum Therapieraum wird – welche Tipps gibst du deinen Klient*innen?
Auf jeden Fall sollte es ein Raum sein, in dem sie ungestört sind während der ganzen Stunde, die wir zusammen verbringen. Wenn die Familie mit im Haus ist, sollte man das vorher absprechen. Es gibt natürlich (die drastischste) Möglichkeit den Raum zuzusperren. Oder man hängt einfach ein Schild an die Tür für die Kinder.
Es ist auch wirklich schön, wenn man für sich selbst eine Extra-Atmosphäre schafft. Das heißt für die Therapie: Sich anders in dem Raum aufhält als man das normalerweise tut. Denn die Themen haften nach dem Gespräch gewissermaßen noch am Raum. Es tut zum Beispiel gut, den Raum vor und nach dem Gespräch zu lüften, alle Türen und Fenster aufzumachen.
Vielleicht alles aufzuräumen, den Stuhl zurück an seinen normalen Platz zu stellen. Solche räumlichen Veränderungen helfen, damit es danach nicht mehr nach Therapiezimmer aussieht: Wenn ich den Stuhl ans Fenster stelle, weiß ich, es ist Therapiezeit und wenn ich ihn danach wieder an den Tisch stelle, weiß, dass wieder alles ganz normal ist. So kann man in der Wohnung, auch wenn man räumlich begrenzt ist, ein eigenes Therapieeck kreieren.
Ich denke, dass es wirklich darauf ankommt, dass man sich jemanden sucht, mit dem zusammen arbeiten kann. Der Sympathie ausstrahlt und dann kann man das Vertrauen auch Online aufbauen.
Im virtuelle oder im realen Raum: Bemerkst du eine Tendenz, wann sich Leute schneller auf die Therapie einlassen?
Ich würde sogar sagen, wenn eine Tendenz spürbar ist, dann die, dass es online schneller geht. Dadurch, dass wir über den Bildschirm – das hört sich jetzt paradox an – näher aneinander dran sind. In der Praxis sitzen meine Klienten oftmals eineinhalb oder zwei Meter von mir entfernt. Am Laptop sitzen wir jeder vielleicht 50 Zentimeter vom Bildschirm weg. Klar kann ich räumlich ausweichen und Leute könnten theoretisch einfach den Bildschirm zuklappen, aber das ist mir noch nie passiert.
Dadurch, dass wir uns in einer Situation befinden, die im Endeffekt keinen speziellen Raum hat, sind die Menschen häufig gelöster. Das Feedback habe ich von einigen meiner Klienten bekommen.
Konntest du deine Klienten alle auf Online Therapie umstellen?
Ja. Ich arbeite generell schon sehr viel online und das auch schon seit einigen Jahren. Und die meisten, die noch in der Praxis waren, nehme ich, wenn ich zwischendrin wieder längere Auslandsaufenthalte habe, online mit. Sie sind es also gewohnt, sich ab und an umzustellen. Für diejenigen, die mit Online nicht so viel am Hut hatten, war das jetzt natürlich eine leidige Umstellung. Aber die hat es auch in der Arbeit getroffen und deshalb war ihnen klar, dass sie sich umstellen mussten. Wir leben eben in einem digitalen Zeitalter, man muss sich anpassen. Auch diese Themen können meine Klienten in der Therapie oder im Coaching mit mir angehen. Es geht dabei viel um eine innere Haltung und Einstellung.
Wenn sich jemand nicht sicher ist, ob eine Therapie helfen würde, was würdest du ihm oder ihr sagen?
Die meisten sagen immer, sie hätten keine Zeit für so etwas. Das gilt jetzt nicht mehr. Wenn man also bemerkt, dass es einem vorher schon nicht so gut ging und man jetzt mit seiner Traurigkeit zuhause sitzt und nicht weiß wie man rauskommen soll, dann sollte man sich wirklich Zeit für sich selbst nehmen. Wenn es irgendeinen Sinn hinter all dem gibt, dann, dass wir jetzt Zeit geschenkt bekommen haben. Zeit, in der wir uns um uns selbst kümmern können, Zeit in uns aufzuräumen.
Wir leben eben in einem digitalen Zeitalter, man muss sich anpassen. Auch diese Themen können meine Klienten in der Therapie oder im Coaching mit mir angehen. Es geht dabei viel um eine innere Haltung und Einstellung.
Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf Menschen mit psychischer Erkrankung aus?
Es ist auf jeden Fall eine Zeit, die für psychisch erkrankte Menschen sehr schwer ist. Aber auch für viele, die davor mental gut aufgestellt waren, das heißt keine diagnostizierte Depression hatten.
Menschen, die eine psychische Störung oder psychische Erkrankung haben, ist es vorher schon schwer gefallen, im alltäglichen Leben und der Gemeinschaft teilzunehmen, weil sie die Kraft dafür nicht aufbringen konnten. Weil wir momentan quasi gar keinen Alltag mehr zusammen haben, ist jetzt der Antrieb morgens aufzustehen noch geringer. Das kann viele natürlich in eine Situation bringen, die haltlos erscheint, weil es keine äußeren Strukturen mehr gibt wie: Ich muss um acht Uhr in der Arbeit sein, oder ich habe heute einen Arzttermin, zu dem ich gehen muss. Oder ich kann nicht mehr jeden Tag ins Fitnessstudio gehen. Mein Workout muss ich jetzt auch noch selbst organisieren. Und je nachdem wie schwer der Grad der Depression ist, schafft man das oder nicht.
Es geht aber auch gar nicht darum, ob jemand depressiv ist oder nicht – ich glaube uns allen geht es gerade ein bisschen... anders als sonst. Online Therapie kann bei vielen Dingen helfen. Zum Beispiel, wenn man bemerkt, dass man seinen Alltag nicht mehr bestreiten kann, dass man Gefühle hat, die man nicht zuordnen kann, dass man schon den zweiten, dritten, vierten Tag in Folge extrem melancholisch und traurig ist, dass man keinen Kontakt zur Außenwelt hat, wenn man mit niemandem aus dem eigenen Umfeld darüber sprechen möchte.
Gibt es noch etwas, das du gerne sagen würdest?
Ja, ich möchte allen, die mit der Situation wirklich nicht gut klar kommen gerne sagen: Das ist in Ordnung. Wir alle sortieren uns gerade neu. Ich glaube da geht es allen ähnlich. Ich denke, jetzt ist es besonders wichtig in sich reinzuspüren, was man gerade braucht und sich im Zweifelsfall Hilfe zu holen.