Die Krise, meine Depression und ich – was jetzt hilft

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Vor einiger Zeit haben wir mit Lea* gesprochen. Im Jahr 2013 nimmt ihr Leben eine Wendung: Stress im Studium, Erwartungsdruck und eine emotional belastende Beziehung waren einige der Dinge, die bei der damals 20-Jährigen zu einer Erschöpfungsdepression führten.

Durch eine Verhaltenstherapie lernt Lea mit ihrer Krankheit umzugehen. Ihre Genesung von einer psychischen Krankheit nimmt sie dabei aber immer als einen langen, ungleichmäßigen Prozess wahr, bei dem man nie ganz wissen kann, wie lange er noch dauert. Heute geht es Lea gut und sie hat viele Strategien aus der Therapie mitgenommen.

Aber was passiert, wenn dieser Alltag plötzlich wegbricht und die gewohnten Strukturen nicht mehr da sind, die solche Strategien möglich machen? Wir haben Lea erneut zum Gespräch getroffen – natürlich virtuell.

Was passiert, wenn der Alltag wie jetzt gerade weg bricht?

Durch die aktuelle Lage aufgrund des Coronavirus sind viele Menschen sehr viel zu Hause. Gerade für Menschen, die schon mal unter einer Depression gelitten haben oder vielleicht sogar gerade akut erkrankt sind, ist dieser Zustand nicht einfach.

"Es fehlen gewohnte Quellen von Glücksgefühlen, zum Beispiel menschliche Nähe oder Unternehmungen. Und die viele Zeit allein macht es leichter, in negativen Gedankenspiralen zu versumpfen. Dazu kommt bei einigen auch die Angst, durch ihr schwächeres Immunsystem an einer schweren Form von Covid-19 zu erkranken oder die Angst, den Job zu verlieren oder das Gehalt gekürzt zu bekommen", erzählt uns Lea.

Die viele Zeit allein macht es leichter, in negativen Gedankenspiralen zu versumpfen

Normalität aufrecht erhalten

Es ist normal, dass wir alle gerade Zukunftsängste haben. Für Menschen, die an einer Depression leiden, ist die Situation besonders schwierig. Wir haben Lea gefragt, wie sie mit der Situation umgeht: "Es kann gut tun, Normalität aufrechtzuerhalten. Also nicht den ganzen Tag im Bett bleiben, sondern wie gewohnt früh aufstehen, duschen, anziehen, an den Schreibtisch setzen. Oder mit anderen Aufgaben beginnen, die man sich vorgenommen hat. Das muss keine Arbeit sein. Man kann das Gehirn auch füttern, indem man seinen Hobbys intensiver nachgeht oder sich neue sucht."

Bewegung tut gut!

Gerade auf Social Media gibt es im Moment sehr viele Möglichkeiten, virtuell gemeinsam Sport zu machen: Von Yoga, über Sixpackworkouts bis hin zu HIT Workouts – die Variationen sind unendlich. Eine tolle Chance. Aber für viele auch ein ziemlicher Druck: "Bewegung tut super gut. Wichtig ist da auch den Perfektionismus abzuschalten, mit dem einige Menschen, vor allem Frauen (inklusive mir), zu kämpfen haben: Es muss kein krasses Workout sein, irgendwas ist immer besser als gar nichts. Dabei sei gesagt: Die Datenlage lässt durchblicken, dass insbesondere Ausdauertraining Depressionen entgegenwirkt", sagt Lea.

Also sei es nur der Spaziergang einmal um den Block: besser als nichts. Macht euch selbst nicht zu viel Druck, sondern belohnt euch auch für kleine Schritte!

Einsamkeit ist ungesund

Studien haben herausgefunden, dass Einsamkeit genauso schädlich für den Menschen sein kann, wie das Rauchen. Momentan ist es natürlich nicht ganz so einfach, seine sozialen Kontakte zu pflegen: normalerweise sieht man zumindest im Büro, in der Uni oder beim Sport seine Freund*innen oder Kolleg*innen regelmäßig, selbst wenn man sich nicht zusätzlich verabredet. Jetzt muss man wirklich sehr aktiv den Kontakt suchen und über den virtuellen Weg das Sozialleben weiterführen: "Generell ist Einsamkeit super ungesund für das Gehirn – deswegen auf jeden Fall soziale Kontakte weiter pflegen, wo es geht", sagt auch Lea.

Pläne helfen gegen die Unsicherheit

Eine besonders effektive Technik, die Lea aus ihrer Verhaltenstherapie für die aktuelle Lage empfiehlt, ist das Schreiben von Wochen- oder Tagesplänen: "Man setzt sich Ziele und reserviert sich Zeitfenster für wichtige Aktivitäten. Man kann Routinen erschaffen oder aufrechterhalten, Self-Care einplanen. Achtung: nicht zu viel vornehmen – eine Sache pro Tag reicht. Das kann auch zum Beispiel "Anziehen" sein, das kann mit einem depressiven Gehirn schon Herausforderung genug sein.

Auch kleine Erfolge auf jeden Fall direkt belohnen, zum Beispiel ein Siegestänzchen machen oder jemandem davon erzählen und sich selbst gut zusprechen! Und keine Vorwürfe machen, wenn man sich nicht an den Plan gehalten hat, sondern einfach neu vornehmen und gegebenenfalls analysieren, woran es gescheitert ist. Das macht man dann am besten zusammen mit eine*r/m Therapeut*in. Vor allem, wenn man das noch nie vorher gemacht hat."

Teletherapie

Wer sich jetzt fragt, wie er oder sie denn aktuell Kontakt zu einem Therapeuten oder einer Therapeutin aufnehmen soll, wenn doch alle Praxen geschlossen haben, für den gibt es einige Möglichkeiten. Solltet ihr noch nicht in Therapie sein und akut Hilfe brauchen, findet ihr hier einige wichtige Telefonnummern, unter denen ihr Menschen erreicht, die euch weiterhelfen. Solltet ihr bereits in Therapie sein, fragt doch mal nach, ob eine Teletherapie möglich ist.

"Psychotherapeut*innen dürfen zurzeit auch Teletherapie anbieten, also per Telefon oder Video. Für alle, die in Therapie sind, würde ich das auf jeden Fall empfehlen. Das hilft den Praxen übrigens auch, die es finanziell gerade nicht so leicht haben", berichtet Lea.

Isolation als Chance?

Aber Lea erzählt uns auch, dass es Menschen gibt, die psychisch von der aktuellen Situation profitieren: "Nicht unerwähnt sollte aber bleiben, dass es auch Menschen gibt, die psychisch von der aktuellen Situation profitieren. Dazu gehören Leute, die sonst viel ungewollt allein sind – das geht mir zum Beispiel so, weil ich gerade erst mit dem Bachelor fertig und nun arbeitssuchend bin. Ich bin es seit über zwei Jahren gewohnt, mich alleine im Homeoffice strukturieren zu müssen. Das war nie nicht anstrengend, mit Depression natürlich umso mehr."

Durch die Quarantänemaßnahmen sind ihr Freund und ihre Mitbewohner jetzt jeden Tag zu Hause und Lea hat viel mehr soziale Kontakte und Struktur als vorher: "Man hat jemanden, dem man guten Morgen sagen kann, wir arbeiten nebeneinander her, essen zusammen Mittag, motivieren uns gegenseitig zum Sport oder Rausgehen und verbringen unseren Abend gemeinsam. Das ist unglaublich hilfreich und schön und gibt ein Gefühl von Community, das mir sonst unter der Woche gefehlt hat. Ich fühle mich viel weniger verloren als sonst und kann mir vorstellen, dass es auch andere Menschen mit einer psychopathologischen Historie gibt, die das so erleben."

Habt ihr Angst, selbst an einer Depression zu leiden oder steht vor großen Problemen, aus denen ihr keinen Ausweg seht? Holt euch Hilfe! Eine erste Anlaufstelle kann die Depressionshilfe oder euer Hausarzt sein. Unter folgender Nummer könnt erreicht ihr die Depressionshilfe: 0800 / 33 44 533.

*  Name von der Redaktion geändert.

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