Systemrelevant: Was erleben Apothekerin Aida, Sozialarbeiterin Katharina & Redakteurin Johanna gerade?

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Jetzt, in der Krise, zeigt sich, dass viele Bereiche des öffentlichen sowie sozialen Lebens unverzichtbar sind und dass Menschen, die in sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen arbeiten, dringender denn je gebraucht werden. Wenn wir von systemrelevanten Berufen reden, sollten wir aber auch darüber sprechen, dass diese Jobs mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. Genau genommen machen sie 75 Prozent aller Beschäftigten in diesem Bereich aus. Frauen übernehmen einen Großteil der gesellschaftlichen Care-Arbeit, sie kümmern sich in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kitas, Sozialeinrichtungen und Supermärkten um die Versorgung und Pflege von Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Aber auch Journalistinnen übernehmen einen wichtigen Job, weil sie uns täglich mit News Updates versorgen.

All diese systemrelevanten Berufe erhalten leider nicht das gesellschaftliche Ansehen, das ihnen gebührt, und sie werden oft unterdurchschnittlich bezahlt. Stichpunkt: Gender Pay Gap. Die "Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung", so betont es auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin in einer aktuellen Untersuchung, sei in Krisenzeiten besonders offensichtlich. Wir wollen dazu beitragen, dass diese Frauen nachhaltig und dauerhaft die Sichtbarkeit und gerechte Entlohnung bekommen, die sie verdienen. Wir möchten wissen, wer diese Frauen sind. Wir wollen ihnen zuhören. Wie geht es ihnen gerade? Welche Sorgen treiben sie aktuell um? Und was brauchen und wünschen sie sich für die Zukunft? Hört ihnen zu, denn sie haben einiges zu sagen. 

Wir haben mit 11 Frauen in systemrelevanten Berufen gesprochen und werden euch diese Woche jede von ihnen vorstellen. In unserem dritten Teil der Serie kommen Aida, Katharina und Johanna zu Wort. Danke, dass ihr da seid und danke für eure Offenheit!

Aida, Apothekerin

Aida, Apothekerin
Ein Tag in meiner Apotheke ist manchmal wie ein Film, ein bisschen Komik, ein bisschen Drama und nicht zuletzt ein bisschen surreal.

Woran denkst du, wenn du dich auf den Weg zur Arbeit machst?
Wie immer mache ich mich jeden Tag auf den Weg zur Arbeit und wundere mich, wie still und menschenleer die Straßen sind. Ich freue mich auf meine Mitarbeiter und Arbeitsstelle, meine Apotheke. Ja, ich freue mich, dass ich auch in diesen außergewöhnlichen Zeiten gestalten und weiterhin das Beste in mir abrufen kann, um meinen Kunden zu helfen. Ich denke an meine Freundin, die auf der Intensivstation Krankenschwester ist, an meine Nachbarin, die bei Edeka an der Kasse sitzt, an die Tochter meiner Cousine, die alte Menschen pflegt und, und, und…

Was hat sich jetzt, in der Krise, verändert und wo liegen derzeit die größten Herausforderungen im Job für dich?
Jeden Tag suche ich verzweifelt nach Möglichkeiten, um Schutzmasken und Desinfektionsmittel zu bekommen. Telefonate mit Großhändlern und Herstellern bleiben leider erfolglos. Wie erkläre ich das meinen Kunden? Ich kann nur auf meine eigene, von einer Freundin angefertigten Maske mit Einschub – eine Damenbinde –hinweisen und bitten, Abstand zu halten. Es gibt Lieferengpässe für Pneumokokken-Impfungen, blutdrucksenkende Arzneimittel, Schilddrüsen-Tabletten und vieles, vieles mehr! Wir geben nicht auf, rufen Ärzte oder Hersteller an, versuchen Alternativen zu finden. Es wird viel telefonisch bestellt und besprochen. Viele Kunden sind alleine zu Hause, über 70 Jahre alt und komplett verunsichert. Wir liefern nach Hause, viel mehr als früher, trösten und geben Hoffnung. Ein Tag in meiner Apotheke ist manchmal wie ein Film, ein bisschen Komik, ein bisschen Drama und nicht zuletzt ein bisschen surreal. Auf jeden Fall anders als vor Corona…

Welche Sorgen hast du?
Ich sorge mich um meine Mitarbeiter, mein wichtigstes Kapital. Die Devise lautet: an die Regeln halten und die Geduld nicht verlieren. Wir bedienen unsere Kunden seit zwei Wochen durch das Notdienstfenster. Wir halten mehr zusammen, auch wenn es nur darum geht, den anderen daran zu erinnern, Wasser zu trinken oder die Hände zu desinfizieren. Die zehn Stunden jeden Tag vergehen schnell. Sie zu verarbeiten dauert etwas länger und trotzdem ist es ein gewonnener Tag im Kampf gegen diesen sinnlosen Virus.

Katharina, 35 Jahre alt, Sozialarbeiterin in einer therapeutischen Wohngemeinschaft

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Die größte Herausforderung ist es, flexibel mit bestehenden Regeln umzugehen.
Katharina, Sozialarbeiterin

Wie geht es dir gerade?
Soweit ganz gut. Die Pandemie stellt uns alle vor große Herausforderungen. Nach den ersten Wochen ergeben sich nun langsam neue Routinen und Rituale, die den Alltag etwas vorhersehbarer und ruhiger machen.

Woran denkst du, wenn du dich auf den Weg zur Arbeit machst?
Zum einem schätze ich mich glücklich, meine Wohnung zu verlassen mit dem Wissen, gebraucht zu werden und Menschen unterstützen zu können. Zum anderen strukturiere ich den Tag so gut es geht gedanklich schon mal vor. Ich frage mich, was mich erwartet. Ob es neue Sicherheitsmaßnahmen geben wird, die mitgedacht und in die tägliche Arbeit eingebunden werden müssen?

Wie sieht dein Tagesablauf normalerweise aus?
In der therapeutischen Wohngemeinschaft leben sechs Menschen mit einer Doppeldiagnose. Das heißt, sie haben eine psychische Erkrankung und eine Suchtmittelabhängigkeit. Normalerweise findet die Betreuung vorwiegend im Gruppensetting statt. Es gibt einen festen Wochenplan mit gemeinsamen Mahlzeiten bis hin zur Therapiegruppe. Daneben finden therapeutische Einzelgespräche statt. Als Unterstützung und zur Reflexion unserer Arbeit haben wir regelmäßige Supervisionen und Intervisionen.

Was hat sich jetzt in der Krise verändert und wo liegen die größten Herausforderungen für dich?
Ein normaler Alltag ist so nicht mehr vorhanden. Ich sehe alle Bewohner*innen mehrmals wöchentlich und gehe mit ihnen im Einzelkontakt und mit Abstand  spazieren. Gespräche finden größtenteils telefonisch statt, Supervision und Intervision nach Bedarf. Die größte Herausforderung ist es, flexibel mit bestehenden Regeln umzugehen. Da wir eine suchttherapeutische Einrichtung sind, verlassen  Bewohner*innen nach einem Konsum normalerweise die WG zur Rückfallunterbrechung. Da die Entzugsstationen der Krankenhäuser aber gerade nur im Notfall Menschen aufnehmen, müssen sie in der WG bleiben. Das bringt Unruhe mit rein und stellt für einige auch eine tägliche Herausforderung an die Abstinenzentscheidung dar.

Welche Sorgen hast du?
Eine mögliche Quarantäne in der Wohngemeinschaft versuche ich gedanklich erstmal auszublenden. Sollte es dazu kommen, werden wir das Beste aus der Situation machen und Wege finden, alle weiterhin gut zu betreuen. Auch Krisen einzelner Bewohner*innen sowie Konflikte in der WG benötigen gerade ein Umdenken und eine erweiterte Kreativität im Umgang mit ihnen.

Was wünschst du dir für die Zukunft in deinem Job? 
Anerkennung und Wertschätzung sind für alle systemrelevanten Berufe wichtig und wünschenswert. Auch für unsere Klient*innen. Es wäre schön, wenn psychische Erkrankungen kein Tabuthema bleiben und gesellschaftlich akzeptiert und integriert werden.

Johanna, 29 Jahre alt, Social-Media-Redakteurin beim SPIEGEL

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© Jessica Lewis | Unsplash
Es hilft uns sehr, wenn du dich einmischst, wenn du mit uns und anderen diskutierst, wenn du uns konstruktiv kritisierst, wenn du dubiose WhatsApp-Nachrichten hinterfragst, wenn du den digitalen Raum nicht den Grantlern überlasst.
Johanna, Social-Media-Redakteurin

Wie geht es dir gerade?
Mir geht es den Umständen entsprechend ganz gut.

Woran denkst du, wenn du dich auf den Weg zur Arbeit machst?
Der aktuelle Weg zu meinem Arbeitsplatz lässt nicht viele Gedanken zu: Durch das Wohnzimmer in den Flur, ein paar Stufen hoch in unser umfunktioniertes Gästezimmer...denn Gäste kommen ja aktuell sowieso nicht. So habe ich natürlich wenig Zeit mich auf die Arbeit einzustellen, aber auch wenig Raum, mich nach der Arbeit auch wieder zu distanzieren, das fehlt mir schon.

Wie sieht dein Tagesablauf normalerweise aus?
In meinem Job gibt es eigentlich kein "normal". Wir arbeiten in Schichten und auch die Themen und Inhalte sind natürlich jeden Tag neu, jeden Tag offen. Dieser Umstand ist sicherlich gerade ein kleiner Vorteil für mich: Ich habe viele Lagen und Ausnahmesituationen in meinem Job erlebt, ich bin stressresistent, kann Inhalte verifizieren, Themen einordnen und weiß gleichzeitig auch, dass ich auf meine Teamkolleg*innen und mich achten muss, damit niemand von uns in der Informationsflut untergeht.

Was hat sich jetzt, in der Krise, verändert und wo liegen derzeit die größten Herausforderungen im Job für dich?
Ich bin erst einmal sehr überrascht, wie gut die digitale Zusammenarbeit bei uns im Team, aber auch im ganzen Haus funktioniert. So einen großen Laden innerhalb kürzester Zeit beinahe komplett aus den jeweiligen Wohnzimmern laufen zu lassen, ist ein unglaublicher Kraftakt. Ich denke, die größte Veränderung und auch Herausforderung ist deshalb die Kommunikation. Der direkte Kontakt zu den Kolleg*innen fehlt, Zwischentöne können missverstanden werden, inhaltliche Anmerkungen oder Ideen kann man nicht einfach mal so rüber rufen und natürlich fehlen auch die gemeinsamen Mittagspausen. Außerdem wissen wir nicht immer voneinander, wie es dem oder der anderen gerade geht, wie die private Situation aussieht, wie gut er oder sie im Homeoffice klarkommt: Deswegen sind besonders viel Sensibilität und Empathie gefragt – auch und gerade in stressigen Situationen.   

Welche Sorgen hast du?
Ich glaube, meine Sorgen ähneln der Sorgen vieler und sie alle münden in die immer wieder gleichen Fragen: Wie geht es weiter? Wie lange dauert das alles noch? Was bedeutet das gesellschaftlich und wirtschaftlich? Was bedeutet es für mich und meine Liebsten?

Was wünschst du dir für die Zukunft in deinem Job?
Ich wünsche mir, dass uns die Krise als Haus und auch als Journalist*innen noch stärker macht. Wie wichtig guter, kritischer und verlässlicher Journalismus ist, zeigt sich in der aktuellen Flut an Falschinformationen und Fakes, in Zeiten der Unsicherheit und Überforderung ganz besonders. Außerdem hoffe ich, dass der digitale Fortschritt nicht wieder zurückgeschraubt, sondern nach der Krise weiter ausgebaut wird und so neue Möglichkeiten schafft.

Wie kann man euch am besten unterstützen?
Guter Journalismus kostet Geld. Insofern kann man uns und auch andere Medienhäuser natürlich mit einem Kauf oder Abo unterstützen. Aus Sicht einer Social-Media-Redakteurin kann ich aber auch sagen: Es hilft uns sehr, wenn du dich einmischt, wenn du mit uns und anderen diskutierst, wenn du uns konstruktiv kritisierst, wenn du dubiose WhatsApp-Nachrichten hinterfragst, wenn du den digitalen Raum nicht den Grantlern überlässt. Das alles gilt aber nicht nur in der Krise – und nicht nur im Journalismus.

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