Quarantänehotel & Geisterspiele: Wir haben gefragt, wie sich der Fußball verändert hat

Der 1. FC Union Berlin ist vielleicht kein Big Player wie der FC Bayern, aber ein Verein mit Geschichte und Zusammenhalt. Die Stimmung im Stadion ist legendär – der Verein zählt zu den 15 mitgliederstärksten Vereinen Deutschlands. Das Stadion in Köpenick betreibt der Verein selbst, deshalb ist es für ihn auch aus finanzieller Sicht sehr wichtig, wieder spielen zu können. Gerade zu Beginn der Geisterpiele wurde die Wiederaufnahme der Liga aber scharf kritisiert. Harte Zeiten für Union Berlin, die Spieler und die Menschen, die im Hintergrund arbeiten. Wie das so war während der Corona-Anfangszeit, wie sich Geisterspiele anfühlen und was man in der Diskussion über sie antworten kann, habe ich Hannes, 27 Jahre alt, gefragt. Er ist im Verein verantwortlich für den Bereich Sportkommunikation.

Union Berlin Stadion leer Geisterspiel Fußball
© Unsplash | Andre Roma

Es ist gegen sieben, wir haben beide spät Feierabend gemacht. Hannes schenkt sich ein Feierabendbier ein und wir stoßen über unsere Bildschirme an. Ich mit einer Coke, weil mich im Laden das Retro-Design der Glasflasche gecatcht hat und ich kein Bier zuhause habe. Ein Stück blauer Berlin-Himmel strahlt mir durch den Laptop-Bildschirm entgegen und ich wünsche mir ein bisschen, mein Münchner Arbeitszimmer gegen den sonnigen Berliner Balkon tauschen zu können.

Der Jubel von 22.0000 Menschen fehlt

Hannes steckt die Kopfhörer ein und los geht’s. Er erzählt von den Tagen vor Corona. Als alle noch Scherze über dieses Virus gemacht haben. Er erzählt bis die Feierabendhalbe ausgetrunken ist, meine Coke nicht – zu süß, trotz Logo-Charme – wir quatschen noch ein bisschen darüber, wie seltsam gerade alles ist und in welch verschiedenen Welten die Leute gerade leben. Rave auf dem Landwehrkanal oder sich ein bisschen verantwortungsbewusst, aber auch ein bisschen einsam im Homeoffice fühlen. Wie viel der Job gerade im Privaten fordert. Und ich merke, dass Fußball eben doch nicht nur ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, sondern gerade jetzt einer, an dem man mit Herz und Seele hängen muss.

Stadion leer Geisterspiel Fußball
© Unsplash | Bruce Tang

Hannes, wie waren die letzten Tage bevor die Corona-Beschränkungen losgingen für euch?

Unser erstes Heimspiel gegen den FC Bayern wäre am Samstag, den 14. März gewesen – eine riesen Sache, wir sind ja gerade erst in die erste Liga aufgestiegen. In den Tagen vor dem Spiel gab es ein ewiges Hin und Her, ob wir mit oder ohne Zuschauern spielen dürfen. Ein Geisterspiel hatte es in dieser Woche schon gegeben – das war Gladbach gegen Köln. Weil es in der Nähe von Gladbach einen Corona-Hotspot gab. Am Freitagnachmittag hieß es dann wir müssen ohne Zuschauer spielen und dann wurde das Spiel auf einmal komplett abgesagt. Die ganze Liga wurde unterbrochen. Und wir wurden alle ins Homeoffice geschickt.

Wie ging es dann weiter?

Die Spieler haben alleine zuhause trainiert mit Laufplänen etc., nach drei Wochen durften sie wieder in Kleingruppen trainieren. Erst zu viert, dann zu acht. Für unsere Fans haben wir uns ein Kommunikationskonzept entwickelt und umgesetzt, damit trotzdem jeden Tag etwas passiert. Unter dem Hashtag #wartenaufunion haben wir legendäre Spiele, Highlights und auch unseren Aufstiegsfilm gezeigt. Außerdem haben zwei Kolleginnen von mir auf Anregung von Fans einen virtuellen Kiosk an den Start gebracht: Zuschauer*innen konnten sich virtuelles Bier und Snacks kaufen, da ist ganz schön was zusammengekommen. Grundsätzlich ging es darum, mit den Menschen in Verbindung zu bleiben und ihrem Bedürfnis den Verein zu unterstützen entgegen zu kommen.

Wie habt ihr trainiert? Es gab ja strenge Auflagen. 

Die DFL (Deutsche Fußball Liga) hat ein Hygienekonzept entwickelt. Als es wieder losging, war eine Bedingung, dass alle Leute, die spielen und alle, die nah an der Mannschaft sind, auf Corona-Viren getestet werden. In der Regel findet jetzt alle drei bis vier Tage ein Test statt. Zur Wiederaufnahme der Liga sind wir eine Woche lang in ein Quarantäne-Trainingslager gefahren.

Das war schon verrückt: absolute Maskenpflicht im Hotel, die ganze Zeit. Beim Essen saßen wir in einem riesigen Essraum, in den normalerweise 150 Leute reingepasst hätten. Wir waren 40, 45 Leute. Jeder saß alleine an einem Tisch mit 1,5 Metern Abstand zu den anderen. Hat sich absurd angefühlt, weil man ja wusste, dass alle negativ getestet waren, aber die Regeln wurden sehr streng eingehalten. In den ganzen letzten Monaten gab es bei uns insgesamt zwei Corona-Fälle, die waren dann zwei Wochen in Quarantäne.

Wie fühlt sich die Stimmung bei einem Geisterspiel an?

Das ist krass. Wir haben ein sehr enges Stadion mit 80 Prozent Stehplätzen und einer unfassbaren Stimmung. Selbst wenn man nichts mit Fußball am Hut hat, kann man das genießen. Das fühlt sich jetzt ganz anders an. Für die Spieler ist es auch besonders, aber das sind alles Wettkampftypen, wenn die im Modus sind, merken sie das gar nicht mehr so sehr. Aber wenn zum Beispiel ein Tor fällt, dann fehlt die Emotionalität von 22.000 jubelnden Menschen schon sehr. Die Jungs müssen in solchen Momenten außerdem aufpassen: Sich ausgelassen über ein Tor freuen und umarmen geht natürlich nicht. Fühlt sich komisch an.

Wenn man unsere Situation vergleicht zu dem was draußen schon wieder los ist, schränken wir uns, auch privat, extrem ein.
Hannes, verantwortlich für den Bereich Sportkommunikation bei Union Berlin

Hast du einen Moment aus der Anfangszeit, an den du dich besonders eindrücklich erinnerst?

Der komischste Moment war eine halbe Stunde bevor das Spiel gegen den FC Bayern losging. Vor jedem Spiel hat unser Trainer ein Interview mit Sky. Einer meiner Jobs ist es den Termin zu koordinieren, heißt mit dem Trainer rechtzeitig auf das Spielfeld zu kommen. Dazu gehen wir durch einen Tunnel und dann eine Treppe hoch zum Feld. Im Normalfall hören wir da schon 22.000 Leute johlen, es scheppert, die Stimmung knistert richtig. Du verstehst dein eigenes Wort nicht und bekommst deshalb In-Ear Kopfhörer, damit man überhaupt beim Interview zuhören kann. Damals sind wir hochgekommen und: Gar nichts. Einfach nur Stille. Schon seltsam, wenn man dann Thomas Müller und Lewandowski sieht, die sich auf dem Feld bereit machen.

Wie gut funktioniert das mit dem Hygienekonzept und dem Sicherheitsabstand? Wir haben das Video von Salomon Kalou im Netz gesehen.

Bei den Spielen schaut jeder auf die Spieler und wartet auf einen Fehltritt und wenn dann solche Videos im Netz umgehen, ärgern sich die Leute zurecht. Wir versuchen umso mehr zu zeigen, dass das bei uns nicht so ist. Unsere Spieler dürfen sich, auch wenn sie ein Tor machen, nicht zu nahe kommen, nicht aufeinander springen, es gibt kein Händeschütteln beim gemeinsamen Einlaufen mehr. Aber die Krux ist ja: Bei einer Ecke stehen die Spieler oft super nah zusammen. So ist es halt, Fußball ist ein Zweikampfsport. Alle, die spielen, sind nachweislich negativ getestet. Wir halten uns trotzdem sehr streng an die Regeln, nicht zuletzt wegen dem Bild, das wir nach außen transportieren. Alle schränken sich ein und reißen sich zusammen, weil wir vermitteln wollen: „Hey wir passen auf, wir halten uns an die Regeln und nehmen das ernst.“ – wir sehen uns da in einer Vorbildfunktion. Die Spiele können außerdem ein positives Signal sein, um den Leuten zu zeigen: „Es geht weiter!“

Es gab ja schon vor diesem Video Kritik daran die Liga wieder aufzunehmen, was antwortet man da?

Die Wiederaufnahme der Spiele wurde häufig anderen Einschränkungen gegenübergestellt, wie den geschlossenen Kitas und Schulen: Aber das sind einfach verschiedene Branchen. Es hilft auch gar nichts, sie gegeneinander auszuspielen, denn ob die Kitas wieder öffnen oder nicht, hatte überhaupt nichts damit zu tun, ob wieder Fußball gespielt wird oder nicht. Anders als viele andere Bereiche verfügt der Profifußball über eine sehr gute und effiziente Organisation, die DFL. Sie hat mit wissenschaftlicher Unterstützung ein Hygienekonzept erarbeitet und vorgestellt, mit dem wir jetzt arbeiten können. Das ging natürlich auch, weil sie es sich leisten kann, dieses aufwändiges Konzept auszuarbeiten und umzusetzen. Deshalb hinken die Vergleiche zur Gastronomie beispielsweise. Die Gastro ist ja unendlich vielfältiger und daher organisatorisch nicht in gleicher Weise aufgestellt.

Wir tun aber auch einiges dafür, arbeiten strikt nach einem Konzept, das vor zehn bis zwölf Wochen erarbeitet wurde. Wenn man das vergleicht mit dem, was draußen schon wieder los ist, schränken wir uns, auch privat, extrem ein.

Glaubst du die Corona-Krise wird den Fußball nachhaltig verändern?

Vielleicht ist ein positiver Aspekt der Corona-Krise, dass gerade auch große Vereine lernen müssen, nachhaltiger zu wirtschaften. Vielleicht kommt es auch zu einer anderen Form der Verteilungsgerechtigkeit. An Vorschlägen mangelt es jedenfalls nicht und die Bereitschaft, etwas zu tun, scheint jetzt tatsächlich größer zu sein.

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