Shopping in Mitte als Mutter ist alles andere als barrierefrei
Endlich Elternzeit – Betonung auf "Zeit". Endlich liegen die größeren und kleinen Wehwehchen des Wochenbettes hinter mir und die butterweichen Wonnestunden mehren sich. Eins mit dem Kind verbringe ich viel, viel Zeit zu Hause – aber so langsam muss ich raus. Rauf auf die Läufe, die Wasser für den nächsten Dürresommer einlagern, und ab nach Downtown, denn: Ich will shoppen. Das hab ich mir nämlich echt verdient. Ich habe geboren und sowohl Kind als auch ich haben halt echt einfach nichts anzuziehen.
Also habe ich die andere Neumutter-Busenfreundin angerufen und alles eingestielt. Erst Kaffee und derbe öffentlich Stillen, so dass irgendwelchen Oppas die Augen aus dem Kopf fallen, dann rein ins Getümmel. Der Tag beginnt mit ca. 60 Minuten Verspätung beiderseits, das ist schön, das geht sich aus.
"Sie hat noch gekackt, musste nochmal komplett wieder hoch."
"Er auch, aber jetzt gerade erst, oh nein, hast du einen Wechselbody dabei, ich hab meinen gestern benutzt …"
Guten Morgen, wir sind’s, die Muddis, wir wischen die Popos der Generation Greta. Mit Vorliebe einfach direkt auf der Straße und im Kinderwagen, besonders gern direkt vor diesen Cafés mit dem Namen Scheune, wie heißt es noch auf Englisch? Vergesse das immer, Stilldemenz.
Guten Morgen, wir sind’s, die Muddis, wir wischen die Popos der Generation Greta.
Achso: Wir wickeln auf der Straße, weil es in Mitte-WCs ohnehin eher selten Wickeltische gibt. Wer in Mitte Kinder bekommt, zieht an den Kollwitzplatz, während die vom Kollwitzplatz dann nach Frohnau ziehen. So oder so ähnlich wohl die Logik von Mitte-Architekten, absichtlich ungegendert.
Ab an die Neue Schönhauser, endlich Boutiqenduft schnuppern. Ob Kette oder nicht, uns ist alles egal, wir sind willig und auch ein bisschen wabbelig, aber seit wir gebären können, können wir alles. Also können wir auch schöne Sachen in Größe 36/38 finden, ich bin schließlich immer noch dieselbe!
BONK. Beherzt will ich den Wagen in einen dieser schwedischen Shops lenken und knalle mit Schmackes gegen eine hohe Stufe am Eingang. Kind hat glücklicherweise keinen Schaden erlitten, denn Kind ist in der Trage. Ich schwitze. Kind schläft. Die Bedingungen wären also fast gut, wenn ich denn meinen Kinderwagen in dieses Geschäft kriegen würde. Heben findet mein Beckenboden gar nicht mal so geil. Muss er wohl durch. Schöne Grüße von meiner künftigen Inkontinenz. Ich werde sie Ingrid nennen, denn ich befürchte, ich muss mich mit ihr anfreunden.
Stehen zwar dauernd mit unseren Wagen im Weg, aber wenigstens dürfen wir hier ganz exklusiv inklusiv teilhaben.
Hab gehoben, bin drin. Alles, was ich will, ist im Untergeschoss, inklusive der geöffneten Kasse. Busenfreundin hat keine Trage und guckt mich traurig an. "Komm, wir gehen." Wir regen uns im Namen aller Rollstuhlfahrer*innen und Gehbehinderten gleich doppelt auf und haben das Problem mit der Barrierefreiheit an diesem Tag noch ca. 12 Mal. Nur ein namhafter Japaner hat sich dazu hinreissen lassen, einen ebenerdigen Eingang zu bauen und einen Fahrstuhl ins OG anzubieten. Genau unser Ding, hier gehen wir steil! Stehen zwar dauernd mit unseren Wagen im Weg, aber wenigstens dürfen wir hier ganz exklusiv inklusiv teilhaben.
16 Menschen vor uns in der Schlange an der Umkleide. Vielleicht sind wir doch zur 38/40 mutiert, mutt-iert, Anprobe muss also sicherheitshalber sein.
"Ich stille vielleicht gleich kurz in der Umkleide, er ist gerade wach geworden" – "Ja, lass eine zusammen nehmen." Was dann geschieht in Stichworten: Zwei Kinderwagen im Umkleidebereich = quasi unmöglich. Alles zu klein. Auf einem Hocker sitzend zwei winzige Säuglinge auf dem Schoß zu haben, ist wie Jonglieren um Leben und Tod, wenn man’s nicht kann. Schweiß, Schweiß, die Hormonumstellung macht mich überall feucht. Nur im Schritt nicht, andere Story. "Ach, scheiße ey, nichts passt. Nur die eine Bluse. In XL. Ich war vor einem Jahr noch eine S!" Und das alles auf einem Quadratmeter. So stelle ich mir WGs in New York oder Paris vor.
Zwei Kinderwagen im Umkleidebereich = quasi unmöglich.
Ich, mit Kind in Trage, probiere aus Angst vor der Wahrheit erst gar nichts an und bete, dass es weiterschläft. Wohin auch mit dem Kind, wenn meine Freundin nicht wär: Auf den flusigen Boden? Oder im Wagen liegen lassen, in fünf Metern Entfernung? Ist mein Wagen eigentlich noch da oder hat den schon jemand entfernt? Früher war echt mehr Fast Fashion, denk ich, und fühl mich plötzlich sehr nachhaltig. Pro-Tipp: So schnell wie sich der Körper nach dem Kind dann doch langsam zurückbildet, lohnt die Übergangsklamotte ohnehin nicht. Zieh coolen Scheiß von deinem Boy an und trag immer Lippenstift, fertig ist die Mitte-Mom.
Der Nachmittag schwindet dahin. Die mütterlichen Kräfte mit ihm, und der Vater vom Kind stellt bereits besorgte Nachfragen an. Ob das nicht alles ein bisschen zu viel sei für uns und die Kids? Ob ich nicht auch im Internet bestellen könne? Ja, ist zu viel. Nope, nichts gefunden. Kind happy. Mutti fertig. Aber online kaufen? Nee, lass ma. Acht von acht Hosen zurück schicken zu müssen ist noch frustrierender, als gar nicht erst eine anprobieren zu können. Und in den Paketshop komm ich mit Kinderwagen sowieso nicht rein.