11 Fakten über Mobbing und was wir dagegen tun können

© Verne Ho | Unsplash

In Berlin hat sich ein 11-jähriges Mädchen umgebracht, vermutlich weil es in der Schule gemobbt wurde. Die genauen Umstände sind noch unklar, aber seit Bekanntwerden des tragischen Vorfalls ist in den Medien mal wieder eine Debatte darüber entbrannt, ob man die Schule dafür verantwortlich machen kann oder nicht. Meine einfache persönliche Antwort darauf ist: Nein. Man sollte die Gesellschaft dafür verantwortlich machen. Mobbing ist ein Problem der Menschen, nicht einer einzelnen Institution, in der sie sich bewegen. Eine PISA-Sonderauswertung ergab, dass rund jede*r sechste deutsche Schüler*in Opfer von Mobbing ist; und rund 60 Prozent der Erwachsenen sind einer Studie zufolge in Mobbing oder Cybermobbing involviert. Dabei ist Mobbing so weit verbreitet, dass es schwer ist festzustellen, wo es überhaupt anfängt. Daher möchte ich versuchen, ein paar Fragen zu beantworten.

1. Was ist Mobbing und wo fängt Mobbing an?

Mobbing kann so viele Handlungen beinhalten, dass es oftmals schwer ist, eine genaue Definition dafür zu finden. Gemeinhin bezeichnet Mobbing das regelmäßige und wiederholte Schikanieren, verbales und physisches Attackieren und damit seelische Verletzen einer anderen Person. Das kann in der Schule, am Arbeitsplatz und überall dort passieren, wo Menschen miteinander interagieren. Mobbing zeichnet sich allgemein durch ein feindseliges und asoziales Verhalten gegenüber einer anderen Person aus.

Wahrscheinlich haben wir alle im Laufe unseres Lebens schon mal jemanden gemobbt. Vor allem die Schule ist ein ganz besonders fruchtbarer Boden für Mobbing. Erinnerst du dich an die "Loser" und "Streber" in der Schule, die eigentlich jeden Tag für ihr Dasein, ihr Aussehen oder ihr Können bloßgestellt wurden? Erinnerst du dich an die sexuell aufgeladenen Gerüchte über das hübsche Mädchen, die verbreitet wurden? Erinnerst du dich an das kleine pummelige Mädchen, das immer traurig in der Ecke saß, weil sie ständig für ihr Gewicht gehänselt wurde? Und weißt du noch, wie du mal deine beste Freundin von heute auf morgen ausgegrenzt hast, weil... ja warum eigentlich? All das ist Mobbing. Am Arbeitsplatz äußert sich Mobbing oft in Kompetenzentzug oder Zuteilung sinnloser Aufgaben, Demütigung vor den Kollegen oder Meiden einer Person.

2. Warum mobben Menschen?

Wie schön wäre es, wenn man die Ursache für Mobbing klar bestimmen könnte. Aber leider ist jeder Mensch anders und die sozialen Prozesse so komplex, dass es schwer ist, eine konkrete Ursache zu finden. Aus meiner Erfahrung mobben Menschen, um sich überlegen zu fühlen und ihr Selbstvertrauen auf den Schultern anderer zu stärken. Dabei kann jeder ganz schnell zum Mobber werden: eine kleine Spitze hier und da über das Aussehen und Gewicht eines guten Freundes, ein Witz, der auf Kosten eines Arbeitskollegen geht – Mobbing ist so fein, das man oftmals selbst nicht merkt, wie sehr es andere verletzen kann. Dabei können Gemobbte oftmals selbst zu Mobbern werden, um sich aus dem Strudel aus Beleidigungen und Ausgrenzung zu befreien.

3. Was sind die Folgen von Mobbing?

So viele Formen, Ursachen und Gründe es für Mobbing gibt, genauso weitreichend können auch die Folgen von Mobbing sein. Opfer fühlen sich oft hilflos, alleingelassen und machtlos, dabei kann Mobbing zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen wie Selbstzweifel, Depressionen, Schlafstörungen, Migräne oder  Erschöpfungszuständen führen. Es kommt vor allem auf den Charakter und die Psyche des Gemobbten sowie die Dauer und Stärke des Mobbings an. Während wir als Erwachsene oftmals besser mit verschiedenen Formen des Mobbings umgehen können, sind wir als Kinder und Jugendliche viel empfänglicher für Kränkungen, da wir die Taten und Worte nicht als sinnlose Akte der Provokation verstehen, sondern als Angriff auf den Wert der eigenen Person. Mobbing im Kindesalter kann so das gesamte spätere Leben prägen.

Nehmen wir das Beispiel des kleinen dicken Mädchens, das ständig für ihre Figur gehänselt wird. Das Mädchen wächst in einem Umfeld auf, das sie für ihr Aussehen abstraft. Das Schönheitsideal, das sie in den Medien sieht, verstärkt diese Annahme. Obwohl es dem Mädchen eigentlich gut geht, fühlt es sich unwohl und unwert, es schaut sich im Spiegel an und entwickelt eine Wahrnehmungsstörung für den eigenen Körper, der plötzlich hässlich ist. Das Mädchen will, dass die Sticheleien aufhören, also macht es Sport, nimmt ab, isst immer weniger und entwickelt eine Essstörung, die sie vielleicht ein paar Jahre, vielleicht aber auch für immer mit sich trägt. Und wir reden noch nichtmal davon, wie lange es dauert, bis das Mädchen wieder ein gesundes Selbstbild entwickelt hat, obwohl sie mittlerweile Freunde hat, denen ihr Aussehen egal ist. Klingt drastisch? Ich kann dir sagen, dass es Tausenden Mädchen so geht. Viele von ihnen sind vielleicht schnell über das Mobbing im Kindesalter hinweg gekommen. Aber genauso viele hadern noch im Erwachsenenalter mit sowas Vergänglichem wie dem eigenen Körper, haben Selbstzweifel oder empfinden Selbsthass – nur weil ein paar Idioten vor 20 Jahren glaubten, dass es lustig wäre, jemand anderen für fünf Kilo mehr auszulachen.

traurig, sad
© Xavier Sotomayor | Unsplash

4. Was kann ich tun, wenn mein Chef oder meine Arbeitskollegen mich mobben?

Ich habe persönlich noch keine Erfahrung mit Mobbing am Arbeitsplatz gemacht und bin extrem glücklich, mit einem fantastischen Team zu arbeiten, das täglich miteinander lacht und Scherze macht. Andere haben aber manchmal weniger Glück und müssen acht Stunden oder mehr mit Kollegen und Chefs auskommen, die ihnen das Leben zur Hölle machen. Die Arbeitergewerkschaft verdi schätzt, dass rund 1,8 Millionen Erwerbstätige in Deutschland gemobbt werden. "Wer am Arbeitsplatz Mobbing betreibt, zweifelt die Fähigkeiten der gemobbten Person an, übt unsachliche Kritik an ihrer Arbeit, ordnet sinnlose oder kränkende Tätigkeiten an, verschweigt wichtige Informationen oder manipuliert sogar Arbeitsergebnisse.", heißt es bei verdi.

Nicht nur bei Mobbing am Arbeitsplatz, sondern generell gilt: Schweige das Thema nicht tot, es gibt immer Freunde und Kollegen, die dir helfen können. Allein darüber zu sprechen, hilft oftmals schon beim Umgang mit dem Problem. In größeren Firmen kann man sich zudem an den Betriebsrat und die Personalabteilung wenden. Hier hilft es, wenn ihr ein Mobbing-Tagebuch führt und die Vorfälle mit den Beteiligten, dem Zeitpunkt und dem Ort chronologisch auflistet.

Und ganz ehrlich: Wenn alles nichts hilft, dann solltest du vielleicht darüber nachdenken, den Job zu kündigen. Denn kein Job ist es wert, so behandelt zu werden.

5. Is Cyber-Mobbing a thing?

Hell yes! Nie war mobben leichter. Der Großteil des Mobbings findet wohl heutzutage im Internet statt. Vor ein paar Jahren nannte man Menschen, die andere online verbal angriffen, noch liebevoll "Troll". "Trollen" ist aber nicht nur ein bisschen Provokation einer Person, die man (meistens) gar nicht kennt, sondern ein verbaler Angriff, der genauso Einfluss hat auf die Psyche eines Menschen. Wenn man sich so die Kommentarspalten bei Facebook oder Instagram anschaut, kann man sich schonmal fragen, wie es Menschen überhaupt im Internet aushalten. Wer noch nie unüberlegt oder übereifrig einen Kommentar unter der Gürtellinie geschrieben hat, der werfe den ersten Stein. Unter dem Mantel der Anonymität beleidigen sich fremde Menschen gegenseitig für ihr Aussehen und ihre Ansichten, denn sie müssen keine Konsequenzen fürchten. Zum Cyber-Mobbing gehören aber auch Verleumdung, Belästigung, Bedrängung, Nötigung, Stalking, Diffamierung – im Prinzip alles, was andere Personen auf unangemessene Weise attackiert.

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6. Warum wehren sich Mobbing-Opfer eigentlich nicht?

Es ist die Standardantwort von Personen, die vermutlich noch nicht selbst gemobbt wurden oder generell weniger empathisch sind: "Wehr dich doch mal!" sagen sie dann oder "Das bisschen Kritik sollte dich doch nicht so einschüchtern." Mobbing-Opfer können sich aber oft nicht wehren, vielleicht weil sie generell schüchterne Menschen sind, die aus welchen Gründen auch immer schon ein angeknackstes Selbstwertgefühl haben. Oftmals wird Mobbing auch systematisch von einer größeren Gruppe auf eine einzelne Person ausgeübt, auch hier fällt es schwer, sich gegen eine Überzahl zu wehren. Und wenn auf Arbeit der Chef mobbt, der in der Hierarchie höher steht, dann fällt es noch schwerer, sich zu wehren. Da Mobbing von Außenstehenden oftmals nicht als der Psychoterror wahrgenommen wird, der er ist, fällt es Betroffenen noch schwerer sich zu öffnen. Der Fall des 11-jährigen Mädchens aus Berlin zeigt, dass Mobbing nicht Kritik oder "gar nicht so ernstgemeint" ist, sondern langfristige Schäden auf Personen haben kann.

7. Was kann man generell gegen Mobbing tun?

Die einfachste Antwort ist: Mobbt einfach selbst nicht und greift direkt ein, wenn ihr Mobbing wahrnehmt. Wichtig ist, die Situation sofort anzusprechen und den Mobbenden auf sein Fehlverhalten hinzuweisen. Es hilft nichts, dem Opfer nach dem Vorfall gut zuzusprechen, dann, wenn der Schaden längst angerichtet ist und der "Täter" davon gekommen ist.

Nichtsdestotrotz solltet ihr natürlich ein offenes Ohr für Mobbing-Opfer haben. Da es keine trennscharfe Definition für Mobbing gibt, fühlt sich Mobbing für jeden anders an. Was nicht hilft, sind Sätze a la "Hab dich nicht so", "Das war doch nur ein Scherz" oder "Da solltest du drüber stehen". Hört zu, nehmt die Person und ihre Gefühle ernst, macht Mut, motiviert und helft, wenn Hilfe gewünscht ist.

8. Wo finde ich in Berlin Hilfe?

In Berlin hilft die Mobbingberatung vor Ort, telefonisch und online. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bietet ein Hilfetelefon speziell für Frauen an, die Gewalt erfahren (zu erreichen unter 08000116016, kostenfrei in Deutschland). Arbeitnehmer können sich in größeren Unternehmen an den Betriebsrat wenden; verdi-Mitglieder haben die Möglichkeit, zur offenen Sprechstunde bei der Konfliktberatungsstelle der Gewerkschaft zu gehen.

9. Therapie und Coaching bei Mobbing

Sei es der Blick auf den eigenen Körper oder das eigene Können: Mobbing kann langfristige Selbstzweifel und ein gestörtes Selbstbild hinterlassen, selbst wenn man beruflich viel erreicht hat und den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Hier bietet sich zum Beispiel eine Verhaltenstherapie an, bei der man sein Verhalten und seine Einstellungen untersuchen und zusammen mit einem Therapeuten verändern kann, in dem man Techniken zum Umgang mit den Belastungen erlernt. Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Auch ein Coaching kann zum Beispiel für Führungskräfte, die mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben, eine gute Möglichkeit zur Weiterentwicklung sein. Oft stellt man ja sein eigenes Können und seine Führungsqualitäten in Frage. Ein Coaching kann dabei helfen, die eigenen Stärken zu erkennen und auszubauen, die Schwächen in Stärken umzuwandeln, eigene Unzulänglichkeiten nicht auf das Team zu projezieren sowie mit schwierigen Situationen, Konflikten und Kritik umzugehen.

10. Was kann ich noch tun, um mich langfristig wieder gut zu fühlen?

Blöde Antwort, aber jeder muss für sich selbst herausfinden, was hilft – und das geht nur durch jahrelanges Ausprobieren. Das kann ein Coaching, eine Therapie oder das Lesen von Selbsthilfebüchern und Ratgebern sein, die sich mit dem Thema beschäftigen. Als Opfer fühlt man sich ja aber irgendwann nicht nur psychisch, sondern auch physisch schwach. Hier kann Sport extrem helfen. Ein Selbstverteidigungskurs  pusht das eigene Selbstbewusstsein. Meditation und Yoga helfen dabei durch Achtsamkeits- oder Konzentrationsübungen den Geist zu beruhigen und Gedanken loszulassen. Mir persönlich helfen, nachdem ich das Mobbing aus meiner Kindheit und dessen Folgen aufgearbeitet habe, Sport, gute Ernährung, Yoga, aber vor allem auch ein kritischer Blick auf meine eigene Person und das Reflektieren vergangener Konflikte und Situationen.

Frau meditiert mit Blick auf die Sonne
© Jared Rice | Unsplash

11. Serien & Filme, die sich mit Mobbing beschäftigen, können therapeutisch sein

Als die erste Staffel der umstrittenen Serie "13 Reasons Why" (deutscher Titel: "Tote Mädchen lügen nicht") erschien, ging ein Aufschrei durch die Medien. Die Serie handelt von Hannah Baker, die in ihrer Schule so lange von ihrem Mitschülern schikaniert wird, bis sie sich selbst umbringt. Viele Kritiker argumentierten, dass die Serie junge Menschen in den Suizid treibe, vor allem durch die drastische Darstellung des Selbstmordes von Hannah. Auch meine Kollegin Marit hat kritisch über "Tote Mädchen lügen nicht" geschrieben. Ich muss sagen, dass die Serie für mich therapeutisch war. Sie zeigt einerseits, welche Handlungen Mobbing sein können, und andererseits wie es sich für Menschen anfühlt, dauerhaft Sticheleien ausgesetzt zu sein und wie diese kleinen Nadelstiche das eigene Selbstbewusstsein und die eigene Psyche nach und nach aushöhlen und sich wie Krebs im Körper einnisten. Ich finde nicht, dass die Serie Menschen, die von Mobbing betroffen sind, den Ratschlag gibt, Suizid zu begehen, sondern ganz im Gegenteil: Das Wichtigste, was die Serie geschafft hat, ist zu zeigen, dass Mobbing und Hass nichts Alltägliches sein sollten. Und sie zeigt jenen Mobbing-Opfern, dass es nicht ihre Schuld ist, sondern jeden treffen kann.

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