DIN-Norm für Start-ups: Wie kontraproduktiv kann man eigentlich sein?

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Einen Leitfaden kenne ich noch allzu gut aus Uni-Zeiten. Da wurde einem ein Leitfaden zum Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten gleich zu Beginn des Studiums nahe gelegt. Damit man nichts falsch macht und nur so von einem Semester zum nächsten flutscht. Für mich, die das Studieren als notwendiges Übel ansah, das man asap hinter sich bringen sollte, eine gute Sache. Ich hielt mich an die „Vorschriften“ und kam so auf geradlinigem Weg zum Ziel. Was danach auf mich wartete, war eh viel verheißungsvoller – das Berufsleben! Am besten in einem Start-up arbeiten, in dem es nicht diese eine festgelegte Arbeitsweise gibt und neue Ideen angenommen oder zumindest abgewogen und nicht direkt abgeschmettert werden. Schließlich werden Innovationen exakt in dem Moment im Keim erstickt, wenn man dem Motto folgt: „Wir machen das so, weil wir das immer genau so gemacht haben.“

Und dann höre ich von der DIN SPEC 91354. Einem 17-seitigem Dokument, herausgegeben vom Deutschen Institut für Normung (DIN). Ein sogenannter „Leitfaden für technologie- und wissensbasierte Gründungen“, mit dem Start-ups mal schön an die Hand genommen werden sollen. Hier steht, wie sie idealerweise die ersten drei Jahre nach Gründung vorgehen. „Die Gründung soll nach objektivierbaren und nachprüfbaren Maßstäben laufen. Damit wollen wir die Überlebenswahrscheinlichkeit von Start-ups erhöhen und die vielen Fehler, die man bei jungen Gründern immer wieder beobachtet, minimieren“, erklärt Initiator Dr. Meiko Hecker den Gedanken dahinter. Doch nur weil etwas gut gemeint ist, ist es noch lange nicht gut gemacht. Wo bleiben die wirklich unkonventionellen, so noch nie vorgekommenen Vorgehensweisen, wenn sich alle an ein und dasselbe Schema F halten? Eine Normung der Gründerszene ist ungefähr so logisch und zielführend wie Fans entscheiden zu lassen, dass jeder zukünftige Song ihrer Lieblingsband genau so zu klingen hat wie ihr bisheriger Lieblingssong. Dabei kommt vermeintlich zwar etwas Gutes heraus, das auch auf dem Markt funktioniert, aber eine echte Kreativleistung fehlt. Man befindet sich in einer sich selbst reproduzierenden Dauerschleife, die mit der Zeit langweilt.

Sicher, das DIN-Dokument ist eine Empfehlung und keine Pflicht. Sie stellt keine Regeln auf, sondern zeigt abstrakt einen Weg auf, an dem sich jeder so entlang hangeln kann, wie er möchte. Aber allein die Existenz dieses hochoffiziellen Leitfadens erscheint bedenklich. Es wirkt einschränkend und so, als würde man den Entrepreneuren Deutschlands wenig zutrauen. In der Erklärung heißt es gleich in der Einleitung, über 80 Prozent aller Start-ups würden innerhalb der ersten drei Jahre scheitern. Projektmanager De-Won Cho sagt dazu: „Wer eine Geschäftsidee entwickelt oder ein Start-up gründet, steht vor besonderen Herausforderungen. […] Zum Beispiel sind nicht alle Einflussfaktoren auf den Gründungsprozess bekannt, es stehen nur begrenzte Ressourcen an Zeit, Geld und Kompetenzen zur Verfügung und die Unternehmer müssen viele Annahmen über künftige Ereignisse treffen.“ Ja was für eine Überraschung! Natürlich ist das so. Die Intelligenz einer Person, die gründen will, sollte man aber auch nicht unterschätzen. Die Daten, die mit einer derartigen Norm abgecheckt werden sollen, muss jeder Neuunternehmer kennen – das ist so kristallklar wie das Ende einer Romcom. Und wer überhaupt keinen Peil von Finanzierung, Wirtschaftlichkeit und sonstigen Geschäftsstrategien hat, der wird auch ohne die Norm-Empfehlung früher oder später auf seinen eigenen Fehler aufmerksam werden.

Für Investoren ist so eine Normung sicherlich der Himmel auf Erden. Genauso wie beispielsweise für Banken, die Gelder bewilligen müssen oder eben nicht. Doch selbst wenn mithilfe des DIN-Docs ein Häkchen nach dem anderen gesetzt werden kann, spiegelt das keine hundertprozentige Sicherheit wieder. Dafür handelt es sich eben immer noch um ein Start-up. Und dieses macht im besten Fall eben Sachen anders, als alle anderen. Wie soll das gemessen werden? Anstatt den Versuch zu starten, alle Gründer auf das gleiche Startlevel zu normen, wäre es doch viel besser, andere weiterbildende Hilfsmittel anzubieten. Ganz individuell und auf jeden Fall speziell zugeschnitten.

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