Warum telefonieren wir nicht mal wieder miteinander?

© Kyle Loftus | Unsplash

Erinnert ihr euch noch an die Zeiten, als das Telefon eine Schnur hatte, an der Wand hing, meistens im Wohnzimmer oder in der Küche, wo jeder mithören konnte, was man mit dem Menschen am anderen Ende der Leitung besprach? Nein, dann seid ihr wahrscheinlich nach 2000 geboren. Nichtsdestotrotz ist dieser Text auch für alle, für die Telefonieren zu einer komplizierten Sache geworden ist. Aber warum eigentlich?

Ich erinnere mich noch, wie ich stundenlang mit meinem ersten Freund telefoniert habe und dafür meine Eltern aus dem Zimmer schicken musste. Ich erinnere mich aber auch noch an die viel aufregenderen Zeiten, die darauf folgten – wie aufgeregt ich Ende der 90er-Jahre war, als ich, voll drin in der Pubertät mit entsprechendem Mitteilungsdrang, mein erstes Handy bekam und, nachdem ich stundenlang mit dem Freund telefoniert hatte, danach noch ein paar Kurznachrichten verschickte. Das war zwar nicht unbedingt günstiger als das Telefonieren, denn eine SMS kostete stolze 19 Cent und war gerade mal 160 Zeichen lang. Ab 161 Zeichen begann automatisch eine zweite SMS, so dass der Spaß dann 38 Cent kostete und das schmale Prepaid-Guthaben somit ruckzuck aufgebraucht war.

Auf stundenlanges Telefonieren folgte stundenlanges Texten

Ich begann, vieles in wenigen Worten zu sagen, ohne dafür ein ganzes Telefonat zu brauchen. Es war ja auch so neu, entspannt und einfach, sich mal kurz eine Nachricht zu schicken. Nach der SMS kam mit den ersten eigenen Computern der Windows Live Messenger, besser bekannt als MSN, der kostenlos und das Ende vom Anfang war. Ich erinnere mich an stundenlange Sessions, in denen ich mit Freunden hin- und herschrieb, bis mir die Finger glühten. Schon damals sah man, wenn jemand gerade schrieb und war genauso verwirrt, wenn dann doch keine Nachricht kam und der andere plötzlich offline war.

Dabei war es beim Texten schon immer extrem wichtig, nicht falsch verstanden zu werden. Ganze Freundschaften sind schon halb zerbrochen, weil wahnsinnig lustig oder ironisch gemeinte Nachrichten nicht als solche verstanden wurden, weil man den Zwinkersmiley vergessen hatte oder der Zwinkersmiley als Affront aufgefasst wurde. Woraufhin man dann eine weitere halbe Stunde schriftlich zu erklären versuchte, dass das doch alles nicht so gemeint sei, "das war ein Scherz, man, jetzt sei doch nicht böse."

Ganze Freundschaften sind schon halb zerbrochen, weil wahnsinnig lustig oder ironisch gemeinte Nachrichten nicht als solche verstanden wurden

Schon damals war mir das ganze Geschreibe lästig, vor allem, weil ich den blöden Anspruch hatte, alles in korrekter Rechtschreibung und Grammatik zu verfassen, was einfach ewig dauert. Kleinschreibung und inkorrekte Zeichensetzung beim Texten verursachen bei mir heute noch manchmal leichte Zuckungen. Ich wollte also irgendwann wieder lieber telefonieren, aber das war damals immer noch teurer als online zu schreiben und so musste man die ganze Emotionalität, die man so Anfang 20 mit sich trug, für den anderen in Worten, Zeichen und Emojis verständlich machen.

Heute ist das mit den Preisen egal. Handyverträge sind günstig, Telefonieren und SMS verschicken inkludiert und Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram sind eh umsonst. Aber das Texten ist mittlerweile so internalisiert und vor allem für jüngere Menschen total natürlich, dass es schwer fällt, sich davon zu befreien. Dabei ist so ein Telefonat viel persönlicher. Die Stimme und die Worte des anderen berühren einen anders als ein paar digital verschickte Worte, denn man hört im Zweifel sofort, was und wie es gemeint ist. Nach einem zweistündigen Telefonat hat man eine andere Bindung zu dem Menschen auf der anderen Seite der Leitung als nach zwei Stunden Schreiben. Und, seien wir ehrlich: Dass der andere mal nicht zurückschreibt, ist zwar mittlerweile leider Usus in der digitalen Kommunikation, aber niemand legt einfach ohne Vorwarnung auf, weil er kein Bock mehr auf Telefonieren hat – was ja vor allem ein Zeichen von Respekt ist.

Dass der andere mal nicht zurückschreibt, ist zwar mittlerweile leider Usus in der digitalen Kommunikation, aber niemand legt einfach ohne Vorwarnung auf, weil er kein Bock mehr auf Telefonieren hat – was ja vor allem ein Zeichen von Respekt ist.

Versteht mich nicht falsch, ich finde Messenger-Dienste eine der großartigsten Erfindungen der letzten 20 Jahre, weil es das Kommunizieren, vor allem das spontane, mit Menschen extrem vereinfacht hat. Gleichzeitig hat es aber auch dazu geführt, dass wir im Alltag kaum noch richtige Konversationen führen, es sei denn, wir treffen uns tatsächlich mal mit unseren Freunden – was natürlich stundenlanges Ausknobeln des Ortes und des Zeitpunktes über Tage hinweg erfordert. Warum muss man sich umständlich bei Whatsapp verabreden, warum muss man vor allem im Berufsalltag 20 E-Mails am Tag hin und her senden, anstatt einfach mal zehn Minuten zu telefonieren, und warum kann man sich nicht einfach mal wieder eine Stunde an der Stimme und den Geschichten des anderen erfreuen?

Denn am Ende ist es doch so: In 30 Minuten kann ich mehr erzählen, als schreiben. Telefonieren ist also nicht nur persönlicher, sondern spart auch noch Zeit – und von der haben wir ja heute alle nur noch sehr wenig.

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