Streit um das Café Niesen: Ist Till Lindemann von Rammstein ein böser Gentrifizierer?
Die Wohnungssuche ist in Berlin schon lange kein Vergnügen mehr. Der Markt ist leergefegt. Die Optionen, die bleiben, sind meist unbezahlbar. Dabei ist es egal, ob es um ein WG-Zimmer, ein kleines Apartement oder die familienfreundliche Wohnung geht. Vor einigen Monaten habe ich schon einmal festgehalten: Bezahlbare Wohnungen sind kein Glücksfall, sondern unser gutes Recht! Geändert hat sich seitdem wenig. Im Gegenteil, die Lage wird immer auswegsloser, nicht nur auf dem Wohnungsmarkt, sondern auch bei Gewerbe-, Büro- und Einzelhandelsflächen. Wie angespannt die Situation ist, wurde in den vergangenen Tagen durch den Streit zwischen Rammstein-Sänger Till Lindemann und Christine Wick, ehemalige Besitzerin des Café Niesen, besonders deutlich.
Was war geschehen?
Wick, die ihr Café 13 Jahre lang in der Schwedter Straße betrieb, wurde der Mietvertrag zu den bestehenden Konditionen nicht verlängert. Und das ausgerechnet von Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein, dessen Bandkollege Christian "Flake" Lorenz kürzlich noch über die Gentrifizierung in Prenzlauer Berg wetterte. Schnell entwickelte sich der Streit zur öffentlichen Schlammschlacht: Auf der einen Seite die Verteidiger des angeblichen Kult-Cafés, auf der anderen Seite Lindemann und seine Hausverwaltung, die von Lindemanns Ex-Freundin Sophia Thomalla durch einen, sagen wir mal drastisch formulierten, Insta-Post Rückendeckung bekamen. Ob das Café nun wirklich so verkommen war, wie von Lindemann und Co. beschworen, oder ob tatsächlich Gier und Rücksichtslosigkeit gesiegt haben, ist schwer zu beurteilen. Aussage steht gegen Aussage.
Fest steht aber: Die Fronten sind verhärtet, und das nicht nur im Fall des Café Niesen, sondern in der ganzen Stadt. Auf der einen Seite stehen die vermeintlichen Gentrifizierer, die Vermieter, Eigentümer und auch Neumieter, die sich selbst schuldig machen, schließlich lassen sie das Konzept aufgehen, indem sie einem teuren Mietvertrag zustimmen. Auf der anderen, deutlich größeren Seite stehen die Verlierer der Gentrifizierung, die sich die Mieten nicht mehr leisten können, die ihre Träume aufgeben müssen, die keine Alternativen mehr haben.
Wir können nicht ewiggestrig bleiben, verarschen sollten wir uns aber auch nicht lassen
Die Frage, was in der Stadt erhaltenswert ist und was seinen Zenit einfach überschritten hat, ist nicht einfach zu beantworten. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich ein neues Café im Wedding besucht hatte, dessen Fasade die einzige in der gesamten Straße war, die nicht grau oder braun, sondern in grellem Pink getüncht war. Als ich draußen meinen Kaffee schlürfte, fuhr an der Besitzerin und mir ein Radler vorbei, der sich lautstark über den Gentrifizierungsscheiß aufregte. Der Laden stand zuvor leer. Niemand wurde verdrängt, gleichwohl wäre das Café vielleicht der Startschuss für eine Veränderung des Kiezes gewesen. Doch das ist ungewiss, die Besitzerin gab bereits nach einem halben Jahr auf.
Was ist nun aber mit dem Café Niesen? Ein ausgewogenes Urteil zu fällen, fällt angesichts der aufgeladenen Stimmung nicht leicht. Manch einem Anwohner mag das Café, das nicht den gängigen – auch von uns – goutierten Chic hatte, aufgrund seiner Eigenartigkeit gefallen haben, andere Berliner wiederum hätten nie einen Fuß herein gesetzt. Schwierig finde ich persönlich vor allem die Bezeichnung "Kult", denn als das Café eröffnet wurde, im Jahr 2005, war der Prenzlauer Berg schon aufs heftigste vom Gentrifizierungsfieber befallen. Hätte das Café nun mehrere Jahrzehnte am Standort bestanden, hätte es legendäre Geschichten gegeben, die nicht nur den Kiezbewohnern etwas sagen, wäre es etwas anderes. Aber so war es eben doch nur ein Café wie jedes andere, dessen Besitzerin eben nur Mieterin war und darum wusste, dass ihr wahrgewordener Traum womöglich nicht für immer Bestand hat.
Schwierig finde ich persönlich vor allem die Bezeichnung "Kult", denn als das Café eröffnet wurde, im Jahr 2005, war der Prenzlauer Berg schon aufs heftigste vom Gentrifizierungsfieber befallen
Nicht immer sollte Drama vorprogrammiert sein
Ich bin ein klarer Gentrifizierungsgegner, doch im Fall des Café Niesen führt die Diskussion in die falsche Richtung, da zu schnell Urteile gefällt wurden, ohne über sämtliche Aspekte differenziert nachzudenken. "Drama, Baby", hieß die Devise. Dass auf das Problem der Verdrängung aufmerksam gemacht wird, ist löblich. Dass einzelne Menschen durch den Fleischwolf gezehrt werden, eher weniger. Wir sollten sensibel gegenüber unserer Umwelt sein und demgegenüber, wie diese sich ändert. Einzelne Menschen an den Pranger zu stellen und sie allein für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung verantwortlich zu machen, ist jedoch zu kurz gegriffen. Der Fall Niesen geht deshalb am eigentlichen Thema vorbei.