Bezahlbare Wohnungen sind kein Glücksfall, sondern unser gutes Recht
Kürzlich bin ich umgezogen, mitten in die City, in eine Straße, in der die Mieten regelmäßig neue Spitzenrekorde erzielen. Ein Blick auf den freien Markt in Form des prominenten Vermietungsportals immobilienscout24.de offenbart die schwindelerregenden Steigerungen. Für meine Straße werden dort tatsächlich die erwarteten, astronomisch hohen Mieten aufgerufen: Ein möbliertes, knapp 14 Quadratmeter großes Zimmer soll über 700 Euro kosten, eine Einzimmerwohnung mit gerade einmal 40 Quadratmetern Gesamtfläche sogar über 800 Euro. Im "Mittelfeld" ist überhaupt keine Wohnung zu finden, vom Luxussegment muss ich gar nicht anfangen zu sprechen... Meine neue Wohnung würde ich im gesunden Mittelfeld einordnen: gute 70 Quadratmeter, drei Zimmer, Badewanne und Balkon. Kostenpunkt: 600 Euro. "Was für ein Glücksfall", sagte mir ein Freund beim Einzug. Doch reicht es, die neue Wohnung mit der günstigen Miete als "Glücksfall" abzutun?
Ich will mich keinesfalls beklagen. Ich bin äußerst froh, eine Wohnung gefunden zu haben. Eine, die schön ist, aber eben auch bezahlbar. Ich könnte mich jetzt zurücklehnen und sagen: "Nach mir die Sintflut". Doch so einfach möchte ich es mir nicht machen. Ich meine: Ist es nicht unser verbrieftes Recht, in bezahlbaren Wohnungen leben zu können? Wie lange sollen wir diesen absurden Wohnungsmarkt noch erdulden? Welche Schmerzgrenze muss erst erreicht werden, ehe die Politik die Reißleine zieht und endlich mit der Konsequenz agiert, sodass sich zumindest ein wenig Entspannung abzeichnet?
Welche Schmerzgrenze muss erst erreicht werden, ehe die Politik die Reißleine zieht und endlich mit der Konsequenz agiert, sodass sich zumindest ein wenig Entspannung abzeichnet?
Neue Mittel müssen her
Dabei wurden von der Politik verschiedene Mittel probiert. Die Mietpreisbremse hat ihre Wirkung völlig verfehlt. Luxussanierungen konnten ebenso vielfach nicht verhindert werden. Mit dem Vorkaufsrecht wurden immerhin einige Objekte aus der Hand der Spekulanten gerettet, doch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und auch das wichtigste Anliegen, der Neubau von Wohnungen, geht nur schleppend voran. Wie auch, wenn die Baubehörde im Sommer Hitzefrei feiert. Seit Jahren ist zudem nicht klar, ob die kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften überhaupt in der Lage sind, in kurzer Zeit so schnell zu bauen wie etwa private Unternehmen.
Die Bürger nehmen die Sache selbst in die Hand
Derweil nehmen die Bürger die Sache selbst in die Hand. Neben den zahlreichen Baugruppen und Genossenschaften, die wie Pilze aus dem Boden schießen, wird überall in der Stadt an experimentellen Formen des Wohnens gearbeitet. So hat die Tiny-House-Community, angeführt von Van Bo Le-Mentzel, vor 2-3 Jahren ein Dorf aus kleinen Häusern auf dem Hof der Urania eröffnet, in dem der Tiny-House-Pionier höchstpersönlich mehrere Wochen lebte. Zugleich werden in der Rummelsburger Bucht – die eigentlich ja schon voll sein sollte - immer mehr Hausboote gesichtet.
Allein, diese experimentellen Formen des Lebens sprechen nur einen Bruchteil der Wohnungssuchenden, vor allem die jungen und neuen Konzepten gegenüber aufgeschlossenen Menschen an. Spätestens wenn ein Paar seinen Nachwuchs plant, ist es noch immer die klassische Wohnung, die bevorzugt wird und die nötige Größe und Sicherheit bietet. Eine, die günstig liegt, gut geschnitten ist, einen Mindeststandard vorweist (wir lieben schließlich im Jahr 2021!) und am Ende vor allem eins ist: bezahlbar.
Doch hierfür muss noch einiges geschehen. Und das passiert nur, wenn der Druck auf die Politik zunimmt. Die, die eine Wohnung haben, dürfen sich nicht zurücklehnen, sondern müssen sich mit den Menschen, die auf der Suche sind, solidarisieren. Zigtausend Menschen ziehen alljährlich nach Berlin. Die Hauptstadt ist der place to be. Das ist kritisch zu sehen, doch will Berlin sein offenes und weltgewandtes Gesicht behalten, dürfen wir uns gegenüber den Zuziehenden nicht verschließen. Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft wieder weniger von "Glücksfällen" reden müssen und stattdessen eine bezahlbare Wohnung wieder als das sehen, was sie ist: ein normaler Standard, der uns allen zusteht.
Die, die eine Wohnung haben, dürfen sich nicht zurücklehnen, sondern müssen sich mit den Menschen, die auf der Suche sind, solidarisieren.