Wider den Optimismuszwang: Es ist heilsam, auch mal schlechte Laune zu haben

© Allef Vinicius | Unsplash

Neulich war ich mit einer Freundin verabredet – und sie hat sich direkt bei der Begrüßung dafür entschuldigt, heute nicht so supergut drauf zu sein. "Man kann ruhig auch mal schlecht gelaunt Eis essen gehen", habe ich ihr gesagt.

Denn immerzu glücklich sein zu wollen, ist schlichtweg bescheuert. Wir manipulieren unsere eigenen Gefühle, um anderen und unserem Ideal-Ich gerecht zu werden – nämlich dem von der Gesellschaft oktroyierten Bild eines totaaaaal happy Menschen. Das Ganze setzt uns nicht nur enorm unter Druck, sondern es führt dazu, sich immer noch besser fühlen zu wollen und nie wirklich zufrieden zu sein: Noch schönere Instagram-Bilder, noch tollere Urlaube, noch krassere Freizeitaktivitäten, noch mehr Spaß. Wer ist jetzt am glücklichsten?!

Die Kehrseiten sind Realitätsverlust und Intoleranz

Die Historikerin Brigitta Bernet geht der Glückssuche auf die Spur und kommt zu einem vernichtenden Urteil: "Die neonarzisstische Glückskultur will uns helfen, die erodierende Beschäftigungssicherheit als Weg ins Glück zu begreifen. Die Kehrseiten der zelebrierten Positivität sind Realitätsverlust und Intoleranz." Das gehe so weit, dass wir selbst negative Erlebnisse wie Kündigungen zwangsweise umdeuten müssen, als "Chancen", auf unserem Weg zum eigenen Glück. Es gibt keine unbefristeten Stellen mehr? Dafür unbezahlte Praktika und Städtehopping? Einfach eine Runde meditieren, das Glück von innen heraus herstellen und schon läuft's!

Dabei ist es doch klar wie Kloßbrühe, dass man Glück eben nicht nur von innen heraus kreieren kann. Der Mensch ist nun mal ein reziprokes Wesen, natürlich braucht er auch gewisse äußere Faktoren für sein Glück. Zum Beispiel Frieden, eine gesicherte Existenz – ergo Arbeit – und Freunde. Ohne diese Faktoren wird es mit dem inneren Glück verdammt schwierig. Oder habt ihr schon mal einen glücklichen, meditierenden Arbeitslosen ohne Freunde gesehen?

Wir verlieren Mitgefühl und Empathie

Und nein, er ist nicht zwangsläufig selbst schuld an seinem Unglück. Wir sind es, die irgendwann die Empathie verlieren für Menschen, die es in den Augen der Gesellschaft "nicht so weit gebracht haben". Dabei ist es ein alter Hut in der soziologischen Wissenschaft, dass nicht allein eigenes Versagen den American Dream scheitern lässt, sondern immer auch die Strukturen, in denen wir leben.

Bleiben wir in der Arbeitswelt: Die viel zitierte Soziologin Arlie Hochschild hat in den 80ern als eine der ersten das Thema Gefühlsunterdrückung bei der Arbeit in die Wissenschaft geholt – am Beispiel von Stewardessen, die stets freundlich und darüber hinaus fröhlich sein sollen. Zum Problem wird das, wenn die zu zeigenden Emotionen nicht mit der aktuellen tatsächlichen Gefühlslage übereinstimmen. Das nennt man "Emotionale Dissonanz". Diese kann zu Stress und Erschöpfung führen.

Unterdrückte Gefühle machen krank

Dabei predigte schon der gute alte Doktor Freud, dass es äußerst ungünstig ist, Gefühle zu unterdrücken. Egal, um welche es sich handelt. Denn unverarbeitete Gefühle bahnen sich dann auf andere Weise ihren Weg an die Oberfläche – zum Beispiel in Form von Kopfschmerzen. Eine typische psychosomatische Reaktion eben. Dass ständiges Verdrängen von negativen Emotionen wie Stress und Ärger tatsächlich krank macht, wurde inzwischen mehrfach empirisch belegt. Es soll sogar Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Krankheiten begünstigen.

Auch seelisch und geistig hat die Verdrängung Konsequenzen: Wenn wir uns ständig bemühen, gut drauf zu sein, setzen wir uns nicht mit unseren negativen Emotionen auseinander. Entsprechend lernen wir nicht daraus, entwickeln uns nicht weiter und wir lernen auch nicht, uns auf Schicksalsschläge vorzubereiten. Ähnliche Diagnosen stellt übrigens der dänische Psychologe Svend Brinkmann in seinem aktuellen Buch "Pfeif drauf! Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn".

Schlechte Laune ohne schlechtes Gewissen

Von all diesen Konsequenzen mal abgesehen: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich gezwungen werde, etwas zu fühlen, dann fühle ich es erst recht nicht. Das ist wie mit dem Verliebtsein. Kann man nicht erzwingen. Wenn ich mich absolut unter Druck setze, jetzt aber wirklich gut drauf zu sein, kann ich drauf setzen, dass es nicht klappt. Und das Schlimme: Die schlechte Laune geht automatisch mit einem schlechten Gewissen einher. Denn ich müsste jetzt eigentlich direkt wieder total gut drauf sein. Total.

Natürlich sollte man seine Freunde (und sich selbst) nicht ständig mit Nörgeleien quälen. Aber woher weiß man denn, ob es gerade richtig ist, gegenzusteuern oder die negativen Gefühle zuzulassen? Wenn man merkt, dass ein Gegensteuern gerade nicht funktioniert, sollte man das vielleicht einfach akzeptieren. Und sich bewusst dafür entscheiden, dem Gefühl Raum zu geben. In unserer kontrollwütigen Gesellschaft sind Gefühle wohl die letzten kleinen Unkontrollierbarkeiten. Natürlich darf man sich von ihnen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Aber vielleicht funktioniert es manchmal einfach nur mit deren Akzeptanz.

Meine Freundin, mit der ich schlecht gelaunt Eis essen war (Spaghettieis im Übrigen), fährt jetzt in den Urlaub. Sie muss also echt viel Spaß haben. Und erlaubt sich schon im Vorhinein explizit fünf schlechte Laune-Tage. Da muss nichts Sinnvolles oder Tolles gemacht werden. Wahrscheinlich werden das die fünf besten Tage ihres Urlaubs, weil sie nicht erzwungen sind. Sondern einfach von allein so sein dürfen, wie sie gerade sind. Herrlich!

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