Wieso haben wir so Angst davor, nicht gebraucht zu werden?

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Solange meine Oma sich um ihre Enkelkinder kümmern konnte, sie gebraucht wurde, weil meine Tante arbeiten musste, ging es ihr gut. Sie war topfit und strotzte vor Energie. Doch Enkel werden älter. Sie brauchten niemanden mehr, der ihnen beim Laufen hilft oder ihr Essen kleinschneidet. Es sind solche Kleinigkeiten, die mit den Jahren wegfallen. Auf einmal wurde meine Oma nicht mehr gebraucht und ihr ging es rapide schlechter. Mir ist durchaus bewusst, dass das auch mit dem Alter zutun hat und das Menschen nicht ewig jung bleiben. Doch der Übergang war fließend. Können wir dem Gebrauchtwerden eine solche Bedeutung zumuten?

Eine Party zu verpassen, zu der man eingeladen ist, ist das eine. Etwas komplett anderes ist es jedoch, gebraucht zu werden. Wenn wir gebraucht werden, sagen wir in den seltensten Fällen ab. Es ist wie Balsam für unsere Seele. Es bestätigt uns darin, dass wir etwas geben können (und zwar nur wir und nicht noch die 50 anderen Menschen auf der Party). Etwas macht uns besonders für andere Menschen. Auch, wenn wir es manchmal nicht zugeben wollen, streichelt diese Vorstellung unser Ego.

Auch in der Wissenschaft ist das Gefühl gebraucht zu werden und die Probleme, die es mit sich führt, nicht unbekannt. Die Psychotherapeutin Doris Wolf beschreibt in einem Artikel für den PAL-Verlag, wie wichtig das Gefühl für uns Menschen zu sein scheint. Wenn wir in unserer Kindheit nicht das Gefühl hatten, gebraucht zu werden, kann dies enorm auf unser Selbstwertgefühl schlagen. Als Mutter können wir dafür im späteren Leben eine Art Sucht entwickeln. Die Sucht, das Gebrauchtwerden zum Leben zu benötigen – man denke nur an Helikopter-Eltern, die ständig um ihre Kinder kreisen, als hätten sie sonst nichts besseres zu tun.

Die Richtige für diesen Job

Wenn meine Freundin mir sagt, dass es ihr schlecht geht und sie jetzt mein offenes Ohr braucht, oder mein kleiner Bruder nach meiner Hilfe bei einem Projekt fragt – dann fühle ich mich gut. Es fühlt sich an, als würde mein Ego sich einen kleinen Button anstecken, auf dem „Die Richtige für diesen Job“ steht. An diesem Punkt könnte man einwerfen, dass mein Selbstwertgefühl zu niedrig sei und ich Lobhudeleien nötig hätte. Ich glaube aber, das diesen kleinen Button jeder mal braucht. Jeder braucht es, gebraucht zu werden. Ansonsten werden wir schnell einsam oder der Glaube an uns selbst bekommt einen Knacks.

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Ich glaube Bindungen, die aus dieser Art "Abhängigkeit" entstehen, aus einem Gebrauchtwerden, spenden Kraft und Selbstbewusstsein und lassen die Nähe zu Menschen wachsen. Gebrauchtwerden eröffnet uns letztendlich Liebe, Freundschaft und Geborgenheit. Das erklärt auch, weshalb wir ohne dieses Gefühl nicht sehr lange leben können. Selbst Batman hatte einen Robin.

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