Keine Termine und leicht einen sitzen – Mein erstes halbes Jahr in Berlin

© Matze Hielscher

Es ist jetzt ziemlich genau ein halbes Jahr her, dass ich nach Berlin zog. Ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken auf diese ersten sechs Monate, die so ganz anders waren, als gedacht, aber viel besser als gehofft. Weil: Berlin ist bisher fürchterlich nett zu mir. Bei sehr vielen Dingen hatte ich unverschämtes Glück, was den Einstieg in eine neue Stadt und einen neuen Lebensabschnitt natürlich sehr einfach gemacht hat. Das macht mich vor allem eins: ziemlich dankbar. Aber von vorne:

Januar

© Ilona Hartmann

Die Entscheidung für Berlin und der Umzug passieren innerhalb von zwei Wochen. Wie ich es geschafft habe, in der Kürze der Zeit eine bezahlbare Wohnung zu finden und zu bekommen, kann ich rückblickend nicht mehr rekonstruieren. Hui! Alles ist krass. Ich arbeite zum ersten Mal in meinem Leben Vollzeit und verstehe jetzt den Sinn von Yoga-Urlauben, 5-Minuten-Terrinen und Komasaufen. Zeitmangel und Stress sind die bestimmenden Faktoren und ich bin ständig krank. U5, U8, Gut' Nacht. Nach einer Woche sehe ich meine Wohnung zum ersten Mal bei Tageslicht. Ganz nett hier, glaub ich.

Status: "People are just bags of skin that slow down my day."

 

Februar

© Matze Hielscher

Landung bei Mit Vergnügen. Ich liebe alles und alle. Am ersten Tag läuft Michi Beck am Fenster vorbei. Hey, der ist auch Schwabe, der ist einer von uns! Aufgeregt rufe ich meine Mutter an. Sie fragt: "Wer isch des?!" – Dorfkind: 1, Hauptstadtgirl: 0. Na gut. Die Umgewöhnung an einen neuen Arbeitsplatz mit neuen Strukturen ist anstrengender, als gedacht. Ich bin immer noch dauerkrank. Was ist das für 1 Life? Ich würde gerne die Stadt mehr erkunden, aber die Kraft reicht nicht mal für ein Selfie vor dem Fernsehturm. Wenigstens habe ich diesen Monat gelernt, dass der nicht Alex heißt.

Status: thug life

 

März

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© Nora Tabel

Aus organisatorischen Gründen beschließe ich, Optimistin zu werden. Die Zeit, die sonst immer für hysterische Zusammenbrüche draufgeht, brauche ich jetzt leider für andere Dinge. Zum Beispiel nachts auf der Simon-Dach-Straße bei -5 °C Leute interviewen oder glückliche Menschen am Kotti suchen. Außerdem höre ich zum ersten Mal jemanden im echten Leben "Ölf" statt "Elf" sagen. Daraufhin kurzer Zweifel, ob ich hier leben kann. Das ganze Unterwegssein ist anstrengend, aber es hilft. Wogegen, weiß ich noch nicht.

Status: Uff.

April

© Ilona Hartmann

Zum ersten Mal wieder genug Zeit, Kraft und Motivation, mir dieses Berlin genauer anzusehen. Im U-Bahnhof Moritzplatz fühle ich mich sehr zu Hause, meine Oma hat genau die gleichen Fliesen im Gäste-WC. Nach einem schönen Ausflug nach Brandenburg bin ich dann aber doch froh, wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Der Hermesbote trägt kurze Hosen, das heißt, es wird Frühling. Ich rasiere mir den Kopf, zu 90% aus Pragmatismus und zu 10% wegen "Ich bin jetzt in Berlin, da geht das". Geht tatsächlich. Nennt mich Sinead.

Status: "Keine Termine und leicht einen sitzen."

Mai

© Ilona Hartmann

Seit ich ein Fahrrad habe, fühlt sich Berlin ganz anders an. Immer noch genauso groß, aber aus eigener Kraft bezwingbar. Und ich sehe viel mehr davon. Gutes Gefühl. Ich fahre zum ersten Mal mit dem Rad nach Neukölln und notiere die Reihenfolge der Gerüche auf der Hermannstraße: Benzin, Döner, Pisse, U-Bahn, Zimt. An einem anderen Tag fahre ich allerdings um ein Haar H.P. Baxxter um. Ups. Viel Kaffee, viel wach, viel alles. Zum ersten Mal "Nach Hause" gesagt und Berlin gemeint. Es stehen nur noch 12 Umzugskisten herum.

Status: Geht doch.

Juni

© Matze Hielscher

Weil es Mit Vergnügen jetzt auch in München gibt, fahre ich zur Launch-Party dort hin. Insgeheim habe ich ein bisschen Angst, dass ich danach München besser als Berlin finde und das Herziehen bereue. Passiert nicht, richtige Entscheidung getroffen damals im Dezember, kurzes innerliches High Five. Die Tage werden länger, meine To-Do-Listen auch. Kann mich jemand bei der Post auf die Gästeliste schreiben? Mir fällt ein, dass es Sommer wird und alles geht plötzlich leichter. Finde Berlin immer schöner und die Berliner noch mehr. Ich lerne, wie der Bürgermeister heißt. Alles ist immer noch krass. Aber ich glaube, das ist was Gutes.

Status: Vielleicht bleib ich einfach hier.

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