Dieses Berlin verschwindet – und der Fotograf Alexander Steffen hält den Wandel fest

Berlin verändert sich rasant. Häuser verschwinden und werden durch neue ersetzt, Menschen kommen und gehen, neue Viertel entstehen. Ob das nun gut oder schlecht ist, muss wohl jeder für sich entscheiden. Einer, der die Entwicklung festhält, ist der Berliner Fotograf Alexander Steffen, der auf seinem Instagram-Account Vanishing Berlin seit geraumer Zeit genau das festhält: ein altes Berlin, das langsam verschwindet.

Dieser Bilder möchte er jetzt in Eigenregie veröffentlichen und sammelt dafür gerade auf Indiegogo Gelder ein. Wir haben mit ihm über sein Projekt gesprochen.

© Alexander Steffen
© Alexander Steffen

Berlin verändert sich ständig, irgendein Gebäude weicht immer einem neuen. Was ist an den Orten, die du für das Buch festgehalten hast, so besonders?

Es gibt eine politische und eine private Antwort auf diese Frage: Zum einen interessiert mich der Zustand der Stadtentwicklung. Natürlich ist eine Stadt immer in Bewegung und das gilt in besonderem Maße für Berlin. Den Lauf der Zeit kann und will ich mit meinen Bildern nicht aufhalten. Die Frage ist vielmehr: Wer baut was und für wen?

Der aktuelle Bauboom ist befeuert von der Aussicht auf maximale Rendite pro Quadratmeter. Lebensqualität, Individualität und nachhaltige Architektur, die ihren Namen tatsächlich verdient, bleiben dabei leider häufig auf der Strecke. Im Zuge dieser Entwicklung werden Kiez-Strukturen zerstört und traditionelle Ladengeschäfte verschwinden aus dem Stadtbild. Die Brachflächen der Stadt werden wahllos mit Baumärkten zugepflastert. Durch meine Fotos möchte ich dem Betrachter die Verwandlung der Stadt vor Augen führen, die sich in rasantem Tempo und gleichzeitig seltsam stillschweigend vollzieht. Das Fotobuch zum Projekt ist kein Geschichtsbuch. Es zeigt Aufnahmen aus dem jetzigen Berlin. Kein Foto ist vor 2009 aufgenommen, viele sind erst in den letzten ein bis zwei Jahren entstanden.

Das ist der politische Blick. Zum anderen ist Vanishing Berlin aber auch eine Spurensuche nach dem Berlin meiner Kindheit. Eine lebendige Stadt voller Hoffnung und Selbstüberschätzung, aber auch mit Mut zur Tristesse. Auf dieser Erinnerung fußt der Ruf Berlins als Sehnsuchtsort. Mich interessieren die Geschichten, die die vergessenen Sehenswürdigkeiten der Stadt zu erzählen haben. Traditionsgeschäfte wie Korsett Engelke, Schuhpflege des Westens oder Juwelen Gelegenheiten erzählen mehr als ein neuer Starbucks, eine Spielothek oder ein Handyshop. Ich denke, das geht nicht nur mir so.

© Alexander Steffen
© Alexander Steffen

Du bist in Berlin geboren und aufgewachsen – wie hat sich Berlin für dich die letzten Jahre verändert?
Berlin ist internationaler geworden. Und es ist offensichtlich, dass sehr viel mehr Geld in die Stadt fließt. Das Tempo der Bautätigkeiten hat nach dem ersten Bauboom Mitte der 1990er wieder extrem zugenommen. Im Gegensatz dazu bleibt die Politik provinziell. Man hat unter Wowereit viele landeseigene Wohnungsbaugenossenschaften verkauft und es zugelassen, dass der Immobilienmarkt von mafiösen Strukturen dominiert wird (Geldwäsche und Gentrifizierung). Ich habe aber auch das Gefühl, dass sich wieder mehr Menschen organisieren, um Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen.

Was ist dein persönlicher Lieblingsort in Berlin?
Den einen Lieblingsort habe ich nicht. Ein interessanter Ort, der für mich den Wandel der Stadt symbolisiert und wo ich häufig fotografiere, ist die Yorckstraße zwischen Schöneberg und Kreuzberg. Da sind die düsteren Yorckbrücken mit ihren alten Graffitis, die seit ein paar Jahren Stück für Stück ausgetauscht wurden. Die letzte Brücke haben sie in vier Teile zersägt und hinter dem Baumarkt ins Brachland gelegt. Die verbliebenen Stahlträger stehen jetzt verloren auf der Straße und erinnern an alte römische Säulen. Der Gleisdreieckpark, für mich eines der Beispiele für gelungene Stadtentwicklung, zieht sich über den Yorckbrücken weiter in Richtung Südgelände. Auf den alten Ziegelwänden rechts und links der viel befahrenen Straße findet man immer wieder interessante 'wilde' Plakate und Streetart. Um die Ecke in der Katzbachstraße hatte ich im Juli 2016 meine erste Einzelausstellung in den ehemaligen Räumlichkeiten von Linoleum Pannier. Aber ich mag auch das romantische Berlin, wie z.B. den Glienicker Park kurz vor der berühmten Agentenbrücke.

© Alexander Steffen
Rütlibrache Neukölln. © Alexander Steffen

Du könntest deine Bilder auch einfach online veröffentlichen? Was ist für dich an der Form des Buches spannend?
Ich liebe Bücher. Ich habe selbst jahrelang in einem Verlag für Fotobücher gearbeitet (Dirk Nishen). Ein schön gestaltetes Buch ist eine vielseitige sinnliche Erfahrung. Und die Leute nehmen sich in der Regel mehr Zeit für ein Buch als für eine Website. Ein Buch ist gewissermaßen die Königsdisziplin für die Präsentation von Bild und Text. Ich bin aber kein Purist. Mir macht es auch großen Spaß meinen Instagram-Account und meine eigene Website zu bespielen.

Warum hast du dir für die Veröffentlichung keinen Verlag gesucht?
Mich reizt die Idee, meine Projekte mit Hilfe eines Netzwerks von Gleichgesinnten unabhängig zu finanzieren. Ich bin fasziniert von den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters und wollte die Erfahrung machen, mir Tools wie Indiegogo, Facebook, Instagram, Mailchimp etc. für mein Projekt zu erschließen. Trotz aller berechtigten Kritik an diesen Diensten, bieten sie einem die Möglichkeit mit geringem finanziellem Aufwand eine professionelle Kampagne zu realisieren. Hinzu kommt, dass ich das Gefühl hatte mit der Suche nach einem geeigneten Verlag wertvolle Zeit zu verlieren und ich mit dem Vanishing Berlin Buch jetzt an die Öffentlichkeit gehen wollte. Trotzdem bin ich natürlich offen für die Möglichkeit nach Ablauf der Crowdfunding Kampagne mit einem Verlag für eine Buchhandelsausgabe zu kooperieren. Dank meiner Eigenregie habe ich dafür inzwischen weit mehr anzubieten, als nur eine Idee für ein Buch.

Vielen Dank, Alexander!

Wenn ihr Alexander bei der Produktion des Buches finanziell unterstützen wollt, dann könnt ihr es hier vorbestellen. Der Teaser gibt schon mal einen visuellen Vorgeschmack.

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