Warum haben Brötchen beim Bäcker immer so bescheuerte Namen?

© Hella Wittenberg

In ihrer Kolumne "Fragen an das seltsame Leben" stellt Autorin Ilona diesem seltsamen Leben Fragen zu den großen, aber vor allem zu den kleinen, meistens ziemlich bescheuerten Rätseln des Alltags.

Bestimmt gibt es im Grundbuch der Deutschen Bäckerinnung eine Klausel dazu. Da steht dann, dass Brote und Brötchen auf keinen Fall normale Namen tragen dürfen. Wie Eltern ihren Kindern wollen Bäcker ihren Brötchen möglichst individuelle Namen geben. Aber eigentlich glaube ich, dass sie das aus purem Menschenhass tun. Nach Ladenschluss erzählen sich die Bäckereifachverkäuferinnen dann jeden Abend von den Kunden. Wie der Managertyp mit hochgestelltem Mantelkragen sich darum gedrückt hat, den Laugenspatz und zwei krosse Krüstchen beim Namen zu nennen. Und wie der ach so klug wirkende Vater aus dem Prenzlauer Berg mal wieder an der Aussprache vom Cerealien Trimmi gescheitert ist.

Es ist falsch, dass so etwas Wunderbares wie Bauernbrot, Baguette oder Brioche diese hässlichen Namen bekommt. Namen sind entscheidend für die Wahrnehmung und Außenwirkung. So wie der tolle Junge aus der Grundschule, der sehr schlau und charmant und lustig war, aber er hieß Werner und es war abzusehen, dass das früher oder später zum Problem werden würde. Mit acht zu heißen wie jemand, der noch an der Flak stand, das geht halt nicht. Schließlich saß Werner allein auf dem Pausenhof mit seinem “Datschweckle”, einem Laugenbrötchen mit einem zerdrückten Schaumkuss in der Mitte, die der Schulbäcker seit den 1970ern verkaufte. Genauso muss er sich gefühlt haben, wie ein Datschweckle.

Pantomime vor der Auslage als einziger Ausweg

Sicherlich gibt es Menschen, die über die Namen von Brötchen nicht nachdenken. Die am Sonntagmorgen mit Schlafanzuggesicht an der Theke stehen und ohne Schmerzen im Sprachzentrum drei Wikinger, einen Fitmacher (geschnitten) und zwei Mohn-Sesam-Kartöpfelchen bestellen können. Ich kann’s jedenfalls nicht. Meine Zunge weigert sich, das auszusprechen. Und das ist mein Problem. Ich will ja gerne Brötchen kaufen, aber ich kann es nicht beim Namen nennen. Wie damals, als ich zum ersten Mal in einen verliebt war, aber ich ihn nicht ansprechen konnte. Da ist eine Sprachbarriere, ein schamhafter Umgehungsversuch in Gesten, Blicken und Umschreibungen. Ich kann nur mit dem Finger auf das deuten, was ich möchte und versuchen, die demütigenden Namensschildchen der Brötchen zu ignorieren. Meistens klingt das ungefähr so:

Ich (mit dem Finger auf die Auslage zeigend): Hallo, ich hätte gerne eins von denen da.

Bäckereifachverkäufer/in: Welches? Ein Roggelini oder eine Drei-Saaten-Sonne?

Ich (deutlicher mit dem Finger zeigend): Nee, die daneben. Links.

Bäckereifachverkäufer/in: Ah, ein dreikörniges Weltmeisterbrötchen?

Ich (hilflos): Nein, das mit ohne Körnern drauf.

Bäckereifachverkäufer/in: Na, sagen Sie’s doch gleich. Hier, ein Schoko-Wuppi. Einszwanzig dann, bitte.

Warum, Bäckerinnen und Bäcker, warum tut ihr mir das an? Warum muss ich Roggelini sagen, wenn ich ein Roggenbrötchen möchte? Warum nennt ihr so etwas Schönes wie ein Schokoladenplunderteilchen “Schoko-Wuppi”? Wieso wird euer Körnerbrot mit dem furchteinflößenden Namen “Powerkorn” gestraft und wenn euer Weißbrot schon klangvoll “Bonjour” heißt, gibt es dann wenigsten in der französischen Boulangerie auch ein Brot mit den Namen “Guten Tag”? Gibt es eine eigene Abteilung, die sich mit Produktnamen für eure Brötchen beschäftigt und wenn ja, arbeiten da Schimpansen oder eher Bonobos?

Gutes Brot verdient normale Namen

In einer perfekten Welt sähen die Bäckereien ganz anders aus. Da hätten Brot, Brötchen, Teilchen und Kuchen einfache, ehrliche und ernsthafte Namen. Es gäbe dort nur fünf Sachen, denn mehr braucht man ohnehin nicht: Ein Brot, das hieße Brot. Von mir aus was mit Sauerteig und Vollkorn, Hauptsache gute Kruste. Dann zwei Sorten Brötchen. Helle Brötchen ohne Körner und Körnerbrötchen mit Körnern. Dazu Zimtschnecken mit dem Namen Zimtschnecken, kleine, saftige, wie aus dem Astrid-Lindgren-Buch. Und je nach Saison einen Obstkuchen. Von Mai bis September mit Erdbeeren (Erdbeerkuchen) und von Oktober bis April mit Äpfeln (Apfelkuchen). Ganz einfach. Und ganz ohne beschämtes Herumstottern vor der übervollen Auslage.

Ich weiß übrigens nicht, was Werner heute macht. Aber ich hoffe, dass auf all seinen Wegen die Krustensonne scheint und er eine verwandte Kürbiskern-Knusper-Seele gefunden hat, mit der er gemeinsam Datschweckle essen kann. Möge das Powerkorn mit ihm sein.

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