DAS LEBEN DER ANDEREN #16 – Knietief im Dispo und nicht krankenversichert: Schauspielerin Katja Sallay

„Ein Regisseur sollte keine Adjektive verwenden, wenn er dir sagt, was du machen musst. Sondern Verben. Weißt du, was ich meine?“ Ich überlege und nicke dann. Beim Schreiben verwende ich auch ungern Adjektive. Weil sie die Fantasie des Lesers einengen.

„Und was war deine Regieanweisung?“, frage ich dann.
„Naja“, Katja lacht, „in dem Stück gibt es den Moslem, den Juden, die Schwarze. Meine Anweisung war: Du bist die rassistische, weiße Fotze.“
„Und war das ein Scherz?“
„Ja, klar. Aber am Ende läuft’s darauf hinaus.“

Meine Erwartungen an das Treffen waren enorm. Katja Sallay, Berlinerin mit ungarischen und jüdischen Wurzeln, spielt die weibliche Hauptrolle in dem Stück „GEÄCHTET“, das den Broadway 2015 in Aufruhr versetzte, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und nun seinen Weg auf die Bühne des Theaters am Kurfürstendamm gefunden hat – ein großes Ding also. Aber natürlich gibt es auch Wermutstropfen.

So sollte eigentlich Cosma Shiva Hagen die Hauptrolle spielen, schied dann drei Wochen vor der Premiere aus. Wegen „künstlerischer Differenzen“. Ein paar Tage später folgte der Regisseur. Die Regie übernahm der Produzent. Der eigentlich Schauspieler ist. Und Katja hatte nur drei Wochen um zu proben und sich ein monströses Quantum an Text anzueignen. Die Premiere war trotzdem ein großer Erfolg.

Meine Anweisung war: 'Du bist die rassistische, weiße Fotze'. Dabei bin ich nicht mal Deutsche.

„Rassistische, weiße Fotze“, sagt Katja nochmal. „Und weißt du, was das Lustige ist? Mir ist aufgefallen, dass ich das dauernd spiele. Schon in Wien war ich Alma Mahler-Werfel, eine leidenschaftliche Antisemitin. Und dann Winifred Wagner.“
„Die ja auch nicht zimperlich war.“
„Eben. Und dabei bin ich nicht mal Deutsche.“

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Es ist kurz vor halb eins. Wir sitzen im Fleury am Weinbergsweg. Katja ist gerade erst aus ihrer Neuköllner Einzimmerwohnung hierher gefahren. Hat sich einen Salat mit Ziegenkäse bestellt, die erste Mahlzeit für heute. Das Brot lässt sie liegen.

Ich will wissen, wie sie solche kontroversen Figuren spielen kann.
„Die Figuren wissen ja selbst nicht, dass sie kontrovers sind. Nimm Emily, meine Rolle bei 'GEÄCHTET': Eine Vorzeige-WASP. Upper East Side. Die ein romantisches Faible für den Islam hat. Also geh ich zum Beispiel ins Pergamon. Da ist gerade eine Ausstellung Islamischer Kunst.“
Katja will jeden Tag etwas machen, was Emily tun würde. Sie trägt auch keine Sportschuhe mehr. Aber für Schellack-Nägel haben Zeit und Geld nicht gereicht.
„Ich bin nur noch im Dispo“, sagt sie fröhlich. „Und auch gerade nicht krankenversichert.“ „Wieso das denn?“, frage ich.
„Naja, die Versicherung und ich haben so’ne Art On-Off-Beziehung.“
„Und wenn du zum Arzt musst?“
„Die Karte funktioniert meistens noch ein paar Wochen. Bis der Arztbrief kommt, bin ich dann hoffentlich wieder versichert.“
„Und warum hast du kein Geld?“
„Die Vorstellungen laufen noch nicht lange. Deshalb kann ich jetzt erst Rechnungen stellen.“ Grundsätzlich läuft es bei ihr total gut. Sie muss nur die Pausen zwischen den Drehs hinter sich bringen.

Die Versicherung und ich haben so ’ne Art On-Off-Beziehung.

Auf meine Frage, warum sie solche Flauten nicht mit ALG I überbrückt, schüttelt sie energisch den Kopf.
„Ich kann keine Behörden ertragen. Da arbeite ich lieber in Kleiderboutiquen und lass mich von verbitterten, reichen Frauen piesacken.“
„Alles klar. Und was wird Emily heute machen?“
„Ich weiß nicht. Hast du Lust, was zu trinken?“
Ich sage, dass ich darauf immer Lust habe.
„Dann lass uns ins KaDeWe fahren.“

Sie zahlt für uns beide, wir spazieren den Berg hoch zur U2. Dabei erzählt sie mir, dass auch die Kostümbildnerin inzwischen gekündigt hat. Katja trägt im Stück ihre eigene Bluse, den eigenen Schmuck, eine goldene Uhr.
„Aber damit fühle ich mich eh am wohlsten.“

Wir fahren zum Wittenbergplatz, fahren die KaDeWe-Rolltreppen hoch in den 6. Stock und bestellen zwei Gläser Brut an der Veuve-Cliquot-Bar. Um uns sitzen Leute, die aus der gleichen Epoche wie dieses morbide Kaufhaus stammen. Sie versuchen so zu wirken, als wäre Champagner am Mittag eine Alltäglichkeit.

Ich will wissen, wie Katja Schauspielerin geworden ist.
„Eigentlich durch Zufall. Ich steh am Set, seit ich achtzehn bin. Allerdings war ich damals Kamera-Assistentin. Auch gut gebucht, Projekte mit Roehler und Hochhäusler. Dann bin ich nach L.A., weil ich Regisseurin werden wollte.“
„Und wie war’s?“
„Sagen wir so: Die Amis haben mir ziemlich deutlich gesagt, dass ich nicht der Regie-Typ bin. Und mir stattdessen ein Schauspiel-Stipendium angeboten.“

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Drei Jahre Method-Acting, dann zurück nach Berlin. Inzwischen ist sie seit acht Jahren Schauspielerin. Wir trinken aus, diesmal zahle ich, vielleicht auf Spesen von Mit Vergnügen.

„Wenn wir im Theater sind, muss ich dich mal für eine Weile allein lassen“, warnt Katja mich vor. Ihr Ablauf sieht nämlich so aus: Von fünf bis sechs hört sie Musik, eine spezielle Playlist.
„Zuerst Downer-Sachen, die mich so runter bringen, dass ich heulen kann.“
Dann um 18 Uhr Maske. Im Anschluss die Gegen-Playlist, damit sie beschwingt ins Stück startet.
„Was hörst du, um traurig zu werden?“, frag ich.
„Mahler 1.3, King of Sorrow, Barbara Streisand: The way we were.”
„Und um wieder hoch zu kommen?”
„Johnny Nash: Mellow Mood. Oder Ma mie von Charles Aznavour.”

Ich bin total glücklich. Ich hab die tollsten Kollegen der Welt. Und spiele in einem großartigen Stück. Alles andere ist nur das übliche Drama.

Ich gehe derweil ins „Dressler”, ein österreichischer Laden zwischen den beiden Kudamm- Theatern. Nutze die Zeit, um meine Notizen in Ordnung zu bringen und den ein oder anderen Crémant zu trinken. Hole meine Karte an der Kasse ab, Parkett rechts, Reihe 6, Platz 15, und setze mich.

Das Stück gefällt mir und ich bin froh, dass es mir gefällt. Was hätte ich sonst sagen sollen? Zuerst erwische ich mich beim Analysieren. Dann lausche ich nur noch gebannt. Emily, die Tochter aus gutem Hause, richtet ihren muslimischen Mann zugrunde. Wenn auch unbeabsichtigt. Ein feines Stück. Mit feinen Schauspielern. Ich treffe sie nachher im „Dressler“. Katja bestellt sich einen Crémant. Morgen ist Doppelvorstellung.

„Weißt du, was das Wichtigste ist?“, fragt sie.
Ich hebe die Augenbrauen.
„Ich bin total glücklich. Ich hab die tollsten Kollegen der Welt. Und spiele in einem großartigen Stück. Alles andere ist nur das übliche Drama.“
„Und was ist dein Traum?“
„Hm, vielleicht mal Strindberg im Gorki Theater.“
„Und beim Film?“
„Episodenhauptrolle Tatort natürlich. Und vielleicht schaff ich es auch zum James-Bond- Bösewicht.“ Sie muss lachen. „Da könnte ich auch wieder die rassistische, weiße Fotze spielen.“


Beim letzten Mal haben wir mit Paartherapeutin Daniela Vogeley getroffen. Alle Beiträge über “Das Leben der Anderen” findet ihr hier.

Fotos: © binujamin

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