Warum eure Handys auf Konzerten nichts zu suchen haben

© Dominik Schelzke

Auf Festivals – wie im Leben – stellt sich manchmal ja die Frage, platziere ich mich jetzt acht Stunden lang vor der Hauptbühne oder probiere ich auch mal etwas Abseitiges? Im Allgemeinen gehe ich ja lieber auf kleine Konzerte in intimen Locations. Manchmal gibt es aber dicke Fische, die man als Fan einfach gesehen haben muss. Letzten Sonntag war es mal wieder so weit. Lieblingskünstler, größtmögliche Bühne, ausgedruckte Tickets. Der Tisch war also gedeckt. Mit freudiger Aufregung in der Schlange und ersten gierigen Blicken Richtung Merch-Stand. Aber der muss warten, mit Plastikbecher im Anschlag geht es in die Halle.

Aufgeladene Stimmung, lockere Unterhaltungen, dann wird es dunkler und ganz ruhig. Explosionsartiger Applaus setzt ein und der Barde betritt samt Band die Bühne. Der erste Beat wird frenetisch bejubelt – es ist angerichtet. Doch schon beim zweiten Song hat das metaphorische Tischtuch einen riesigen Fleck: Die Band und ihre perfekt inszenierte Lichtkulisse sehe ich eigentlich nur über den Second Screen – durch einen Wald eurer verdammten Handys.

Wenn man es nicht mal bei emotionalen Balladen schafft, seine digitalen Extremitäten bei sich zu behalten, dürfte man vom 'Moment' wohl noch einige Pandemien entfernt sein.

Jetzt ist das mit den mobilen Endgeräten im Sichtfeld ja nichts Neues. Jack White hat auf seinen Konzerten vor einigen Jahren Smartphones sogar komplett verboten, so genervt war er. Aber irgendwie hatte ich die Hoffnung, dass sich das durch die Corona-Erkenntnisse verändern würde. Da hatten doch alle davon geredet, wie gut es ihnen getan hat, mal zu sich zu kommen. Mal weniger zu machen, mal wieder mehr im Moment zu leben. Aber wenn man es nicht mal bei emotionalen Balladen schafft, seine digitalen Extremitäten bei sich zu behalten, dürfte man vom "Moment" wohl noch einige Pandemien entfernt sein.

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Ich bin übrigens auch kein Musikexpress-Redakteur, der in seinem Kunstgenuss gestört wurde und jetzt beleidigt ist. Oder der nicht akzeptieren will, dass es manchmal schon Gründe für Videos gibt. Ich werde die Smartphone-Sucht auf Konzerten nie verstehen, aber bei Beyoncé oder beim Super Bowl gibt es wenigstens etwas zu filmen. Da werden choreografische Bühnenshows abgefeiert, über deren Entstehung es eigene Dokumentationen gibt. Ich rede auch nicht über Rammstein, wo eh alles brennt und jede*r schreit – und Handys im Sichtfeld meine geringste Sorge sind. Nein, es geht um alle anderen Konzerte, deren Szenerie bei aller musikalischer Brillanz eher an einen Proberaum mit unverhältnismäßiger Beleuchtung erinnert. Hier geht es um den Sound, nicht das Bild. Aber das wollt ihr für immer festhalten? Wirklich?

Die Videos sieht sich am Ende niemand an

Vielleicht ist das mein größtes Problem mit der Mitfilmerei. Die Musiker*innen blicken in eine Endgeräte-Wand, ich glotze in die Schaltzentrale der Truman Show – aber die Videos schaut sich doch niemand an! Aus unserer Gruppe haben drei Menschen die Handys gezückt, nur eine Freundin meinte, sie würde sich das Material auch wirklich anschauen. Die anderen – wie bestimmt der Rest der Halle – haben das Konzert nur als Beweis aufgenommen. "Social Media, schau mal, wie geil ich gerade auf dem XY-Konzert bin." Und für diese 15 Sekunden Selbstbestätigung versaut ihr anderen Menschen die Stimmung.

© Dominik Schelzke

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle anfügen, dass das Handy-Meer auch besonders gut an mir brandet, da ich mit 1,95 Metern Körpergröße generell ziemlich viel sehe auf Konzerten. Jetzt könnte man einwenden, du hast eh so ein Glück, jammer doch nicht rum! Dem würde ich entgegnen, dass ihr euch alle gern mal auf meine Schultern setzen dürft und dann selbst mitbekommt, wie viel nerviger das von oben ist. Denn da werden alle Unfähigkeiten der Möchtegern-Tarantinos nur noch deutlicher. Das komplett hochgedrehte Bildschirmlicht, der vergessene Blitz, die durchgestreckten Arme.

Vorschlag: Einfach Konzertmitschnitt kaufen

Besagte Freundin, die sich die Videos tatsächlich hinterher ansieht, hat zweimal ihr abgedunkeltes Handy kurz über ihrem Kopf schweben lassen und ohne Blitzlicht 30-Sekünder aufgenommen. Von mir aus. Aber bei jedem zweiten Song das halbe Lied auf voller Helligkeit mitzufilmen, das mag mir nicht in den Kopf. Ich will allerdings nicht nur mäkeln, ohne eine Lösung parat zu haben. Wir sind hier ja in Berlin, beim Feiern kleben sie seit Jahren Handykameras ab. Warum nicht auch bei Konzerten? Und irgendwo beim Mischpult steckt ein Smartphone in einem Stativ und nimmt auf. Den Mitschnitt können sich dann alle kaufen, die wirklich ein Video zur Erinnerung haben wollen. Viel verdienen werden die Acts damit aber nicht, da bin ich mir sicher.

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