Warum ich meinen Freund*innen nur noch ungern Geld leihe

@ Anne-Catherine Piétriga

Wer wie ich eine gewisse Zeit im sogenannten Schwabenländle verbracht hat, weiß: Das Vorurteil, Schwaben seien geizig, ist absolut wahr. Tut mir leid, aber es ist so. Ich musste einmal einer Freundin 50 Cent Spritgeld für's "nach Hause fahren" zahlen. Für Geburtstagsgeschenke wurde nie mehr ausgegeben als absolut nötig und nicht einmal meine Dates kamen auf die Idee, mich zum Essen einzuladen.

Vielleicht sind es die zehn Jahre im Süden, dich mich derart geprägt haben, dass ich trotz meiner (durchaus spendablen) Berliner Wurzeln noch heute ein Problem damit habe, Freund*innen Geld zu leihen. Und wir reden hier nicht von Hunderten von Euro. Lasst es zehn, zwanzig Euro sein. Natürlich lege ich solche Summen aus – aber eben ungern. Für gemeinsame Geschenke oder wenn jemand im Restaurant kein Bargeld hat, das gehört sich so. Aber ganz ehrlich: Oft habe ich Angst, dem Geld hinterherlaufen zu müssen. Gibt es etwas Unangenehmeres als "Hey, sorry, könntest du mir noch meine zehn Euro paypalen?"-Nachrichten? Ich finde nicht.

Gibt es etwas Unangenehmeres als "Hey, sorry, könntest du mir noch meine zehn Euro paypalen?"-Nachrichten? Ich finde nicht.

Tatsächlich ist es relativ einfach, mich um kleine bis mittlere Beträge zu betrügen. Man muss einfach nur zwei solcher Nachrichten ignorieren, denn eine dritte werde ich ganz sicher nicht schicken. Aber was würde ich machen, wenn es um – sagen wir – 100 Euro ginge? Würde ich so viel überhaupt verleihen? Bisher kam ich noch nie in die Situation, dass man mich darum gebeten hätte, aber das Internet ist voll von Einträgen zu der Frage: "Sollte ich Freund*innen Geld leihen oder besser nicht?" Dabei geht es um alle möglichen Beträge: von 80 Euro bis hin zu Summen, die so groß sind, dass vom privaten Darlehen die Rede ist.

Was ich nicht wusste, ist, dass man selbst 80 Euro bereits mit einem Mahnverfahren einklagen kann. Die Freundschaft ist danach allerdings hinüber, nehme ich an. Aber es gibt solche Fälle und zwar nicht zu knapp. Ich überlege, wo meine Schmerzgrenze beim Verleihen von Geld läge. Bei meinem jetzigen Einkommen würde ich sagen bei 100 bis (wenn es ein echter Notfall ist) 300 Euro. Das muss dann aber schon die beste Freundin sein, die ich seit vielen Jahren kenne und der ich vertraue.

Damit oute ich mich im Deutschen Durchschnitt als Geizhals (Danke, Schwaben-Sozialisation!). Denn rund 50 Prozent der Befragten einer Statista-Studie würden ihren Freund*innen ganze 1000 Euro leihen. Tja, und wenn dieses Geld nicht zurückgezahlt wird, haben diese 50 Prozent genau zwei Möglichkeiten: darauf bestehen, es notfalls einklagen und die Freundschaft zerstören. Oder ab jetzt mit 1000 Euro weniger leben.

Wenn ich Freund*innen Geld leihen soll, überlege ich: Kann ich ohne dieses Geld leben? Wenn ja, dann weg damit.

Wer Geld an Freund*innen verleiht, schenkt ihnen in erster Linie jede Menge Vertrauen. Nicht nur darauf, dass die Person das Geld auch zurückzahlt, sobald sie wieder flüssig ist. Sondern auch das Vertrauen darauf, dass die Person überhaupt in der Lage ist, sich das Geld zusammen zu sparen, um es zurückgeben zu können. Und hier liegt ein wichtiger Knackpunkt: Es scheint mir klüger, beim Geldverleihen nicht nur zwischen "Freund*innen", "guten Freund*innen" und "seeeehr guten Freund*innen" zu unterscheiden, sondern auch zwischen "kann mit Geld umgehen und ist in einer Notlage" und "Keine Chance, morgen fährt sie wieder mit dem Taxi statt mit der U-Bahn nach Hause".

Der zweite Knackpunkt betrifft die zu verleihende Summe. Wenn ich Freund*innen Geld leihen soll, überlege ich: Kann ich ohne dieses Geld leben? Wenn ja, dann weg damit. Denn auch wenn ich es nicht zurückbekomme, heißt das schlimmstenfalls, dass ich jemandem, den ich mag, Geld geschenkt habe. Wenn ich wegen des Verleihens aber meine eigene Miete nicht mehr bezahlen kann, werde ich das meinem Freund oder meiner Freundin übel nehmen. Selbst wenn er oder sie mir das Geld zu einem späteren Zeitpunkt zurückzahlt. Um der Freundschaft (und meiner Schufa) Willen bleibe ich also bei meinen 100 bis 300 Euro. Im Notfall. Wenn es unbedingt sein muss. Aber eigentlich eher ungern. Im Ernst, bitte fragt mich nicht!

Mehr Themen gibt's hier

Freundschaft auf Distanz
Unsere Autorin hat Freund*innen, die über 650 Kilometer entfernt leben und dennoch stehen sie sich sehr nahe. Sie erzählt, wie man in einer Fernfreundschaft überlebt.
Weiterlesen
Kein Alkohol für mich
Unsere Autorin mochte Alkohol noch nie, hat sich aber aus Gruppenzwang immer zum Trinken gezwungen. Darum ist Schluss damit.
Weiterlesen
Zurück zur Startseite