Berliner*innen am Sonntag mit Arash Marandi: "Spazieren gehen ist das beste auf der Welt"

© Wiebke Jann

Der Sonntag ist heilig! Wir haben uns gefragt, was waschechte, zugezogene oder ganz frisch gebackene Berliner*innen an diesem besten Tag der Woche eigentlich so tun? Lassen sie alle Viere gerade sein oder wird doch gearbeitet, was das Zeug hält? Sind sie "Tatort"-Menschen oder Netflix-Binger*innen, Museumsgänger*innen oder festgewachsen am Balkon? Brunchen sie mit Freund*innen oder trifft man sie allein im Wald beim Meditieren an? Wir haben bei unseren liebsten Berliner*innen nachgefragt.

Wer sich in letzter Zeit in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen rumgetrieben hat, wird inzwischen schon häufiger über seinen Namen gestolpert sein: Arash Marandi. Arash Marandi ist in Teheran geboren, auf dem Land in der Nähe von Gießen aufgewachsen, hat seine Schauspielausbildung in Hamburg absolviert und ist dann vor einigen Jahren nach Berlin gezogen. Der Arbeit wegen. Und natürlich, weil letztlich alle in Berlin gelandet sind, wie er mir erzählt.

Ich treffe den 37-Jährigen, der eine der Hauptrollen in der ARD-Dramedy-Serie "All you need" spielt und erst kürzlich im "Tatort" an der Seite von Wotan Wilke Möhring zu sehen war, in seinem Heimatkiez, der zufälligerweise derselbe ist, in dem sich auch unser Berliner Büro befindet. Vom Rosenthaler Platz aus spazieren wir durch die Linien- und Auguststraße, entlang der Spree und über die Museumsinsel. Wir sprechen über Diversität in der Filmbranche, das Älterwerden und Naturtofu.

Gehst du gern spazieren?

Also eigentlich jogge ich. Wie das kam, dass ich angefangen habe, spazieren zu gehen, weiß ich gar nicht genau. Vielleicht mit meinen neuen Schuhen. Die habe ich gerade nicht an, weil die sich auf Fotos nicht so gut machen, das sind so Barfußschuhe. Aber nicht die mit den Zehen! Ich bin ehrlich, ich hab das immer verlacht, weil das ganz spezielle Leute sind, die das tragen, aber schwupps bist du irgendwann 37 Jahre alt und dann findest du dich mit Barfußschuhen an den Füßen wieder und denkst: "Das ist das Geilste auf der Welt. Ich kaufe nie wieder was anderes." Spazieren gehen ist das beste auf der Welt. Wahrscheinlich haben auch unzählige Leute Bücher darüber geschrieben.

© Wiebke Jann

Ich bin vor allem durch deine Rolle in "All you need" auf dich aufmerksam geworden. Wie bereitest du dich auf eine Rolle wie jene vor? Hattest du Respekt davor, einen Homosexuellen zu spielen, der ziemlich outgoing ist?

Respekt ja, Respekt habe ich immer. Aber ich hatte keine Hemmungen, die Rolle des "Levo" war eher eine Art Spielplatz für mich. Immer mit dem Schalk im Nacken, im Hinterkopf immer 'ne Idee, es zündelt immer ein bisschen bei ihm im Kopf. Das mochte ich total an der Rolle, den Humor sowieso und auch dieses Stichelnde, Wachsame und Lebenslustige. Das hat mir sehr gut getan. Ich habe in der Vergangenheit auch oftmals andere Rollen gespielt. Immer sehr traurige, depressive Charaktere, auch Geflüchteten-Geschichten. Was ja auch gut war, es kamen auch tolle Sachen dabei raus, aber so was wie "Levo" hatte ich noch nie und umso schöner war das.

Weil du für solche Rollen tendenziell weniger angefragt wurdest?

Tatsächlich wurde ich vorher noch nie für sowas angefragt. Das war das erste Mal, dass ich eine komödiantische Figur spiele, wo sich die Figur mit dem Genre ein bisschen deckt. Es war schon ein großes Geschenk, dass "Levo" so leicht an der Überspitzung und trotzdem immer realistisch und bei sich ist.

Ich mochte auch das Kostüm sehr. Während die anderen zwei Stunden bei der Anprobe waren, habe ich bestimmt vier gebraucht. Es war wirklich viel Kostüm und man musste darauf achten, dass es nicht verkleidet wirkt. Und dann habe ich das angezogen und gedacht: "Boah, geil, warum ziehe ich das nicht an?"

Und warum ziehst du das privat nicht an?

Ich bin eben ich. Ich bin nicht so modisch, ich bin eher zurückhaltend – Jeans, Lederschuhe und eine Lederjacke. Das ist für mich vermutlich das Exotischste, was ich habe. Ich bin modisch wie so ein ungewürzter Tofu, den du dann würzen kannst. Ich bin kein Räuchtertofu. Aber mir macht es wahnsinnig Spaß in meiner Rolle, in meinem Körper dann etwas anderes, ein anderes Zentrum zu finden.

© Wiebke Jann

Findest du dich in der Figur wieder?

Hundertprozentig. In gewissen Dingen wie etwa der Werdung und Befreiung von Altlasten. Als ich angefangen habe, Schauspiel zu studieren, spielte Diversität beispielsweise noch nicht so eine große Rolle. Da war das Rollenfach begrenzt. Es gab zwar ab und zu mal die Kategorie "türkischer bester Freund", aber man konnte sie eben an einer Hand abzählen.

Ich habe mal in einer mexikanischen Produktion einer iranisch-amerikanischen Regisseurin mitgespielt, die die Geschichte eines Mannes erzählt, der aus dem Iran flüchtet und dann gegen seinen Willen in Mexiko landet. Zu der Zeit hat mich das gecatched – diese Geschichten interessieren mich aufgrund meiner eigenen Familiengeschichte. Aber mittlerweile freue ich mich auf jeden Fall mehr auf Rollen wie im "Tatort" oder "All you need". Weil es hier mehr Selbstverständlichkeit war. Es wird nicht erstmal zwei Seiten lang erklärt, welchen kulturellen Background diese Rolle hat, sondern sie ist einfach Teil des Ganzen.

Als ich angefangen habe Schauspiel zu studieren, spielte Diversität noch nicht so eine große Rolle. Da war das Rollenfach begrenzt.

Wie findest du einen Ausgleich? Machst du irgendwas, um vor großen Rollen nicht nervös zu werden?

Auf jeden Fall. Ich gehe joggen und ich habe wieder angefangen zu meditieren – kein sportives Meditieren, nur zu Hause und ohne Druck von wegen "Ich darf an nichts denken". Das ist kein Wettbewerb für mich. Aber ich kann es jedem nur empfehlen, den ganzen Achtsamkeits-Shit zu machen. Es ist eben nicht nur Hokuspokus, es tut einfach gut. Früher war ich nicht so.

Wenn mir früher jemand erzählt hat: "Also die Sonja und ich, wir fahren am Sonntag um zehn Uhr in den Grunewald, wir kommen leider nicht auf deine Party", dachte ich immer nur: "Langweiler, um zehn Uhr sind wir noch wach". Irgendwann habe ich mich dann aber gefragt, was ich eigentlich noch in der Nacht suche. Aktuell stehe ich um sechs Uhr auf und liebe es.

Warum hast du dem wilden Partyleben abgeschworen?

Ich feier' immer noch gerne ausgelassen mit Freunden, aber nicht mehr so oft. Im Club war ich das letzte Mal 2019, ich war aber auch nie so ein Clubgänger. Und man kann ja nicht alles machen auf der Welt. Wenn ich jetzt bis vier Uhr morgens feier, dann brauche ich mindestens drei Tage, um wieder klarzukommen. Ich vertrage es einfach nicht mehr so.

Ich habe irgendwann mal ein Interview von Fatih Akin gelesen, indem er meinte, dass man irgendwann den Alkohol und den Rauch nicht mehr so verträgt. Und da dachte ich noch, dass ich mir das gar nicht vorstellen kann. Jetzt bin ich selbst in dem Alter und denke: "Boah, ich bin so Matsch im Kopf, ich kann überhaupt nicht mehr denken". Aber ich will Zeit haben, Dinge zu tun. Und daraus ergibt sich dann automatisch, dass man die Freude nicht mehr nur aus dem Feiern zieht, sondern aus anderen Dingen. Wenn ich dann eben doch sonntagmorgens um zehn Uhr im Grunewald spazieren gehen will.

Ich will Zeit haben, Dinge zu tun. Und daraus ergibt sich dann automatisch, dass man die Freude nicht mehr nur aus dem Feiern zieht, sondern aus anderen Dingen.

Wie sieht denn dein perfekter Sonntag gerade aus? 

Der Sonntag ist heilig, arbeiten tu ich am Sonntag nicht, wenn's nicht sein muss. Ich versuche, den Sonntag für Familienbesuch freizuhalten, für Spaziergänge mit Freunden, die Kinder haben. Ich schlafe dann aus, also bis um acht Uhr circa.

Mit oder ohne Wecker?

Puh, gute Frage. Idealerweise wache ich sonntags ohne Wecker auf, es darf dann auch mal 8.30 Uhr werden. Nach dem Motto: Heute mach' ich mal was Wildes, ich stell' mal keinen Wecker. Ich rede, als wäre ich schon 65. Aber ich merke eben schon diese Interessenverschiebung, die langsam beginnt, der Wunsch nach dem Ruhigeren ist auf jeden Fall da. Und Berlin ist halt auch wahnsinnig anstrengend. Da muss man auch diszipliniert Nein sagen.

© Wiebke Jann

Kannst du dir vorstellen aus Berlin wegzuziehen?

Sehr schwierig. Es gab einen Sommer, 2018 war das, da habe ich das Leben in Berlin voll ausgekostet. Ich war viel feiern, habe Freunde getroffen, habe alles gemacht. Ich bin kein einziges Mal weggefahren, hatte überhaupt kein Bedürfnis danach. Natürlich hatte ich Reiseziele, aber es war einfach zu geil hier, das wollte ich ausnutzen. Mittlerweile lerne ich, es zu genießen, mal weg zu sein. So richtig aus Berlin wegziehen? Ne. Ich könnte mir vorstellen, ein bisschen mehr ins Grüne zu gehen, aber den Vibe dieser Stadt möchte ich nicht aufgeben.

Gibt es denn einen Ort in Berlin, der für dich ganz besonders ist?

Wahrscheinlich ist es der Tiergarten und die ganze Gegend rund um den Rosenthaler Platz, ich mag das Lebendige dort. Aber ich muss auch sagen, dass ich mich an den ganzen touristischen Orten sehr wohl fühle, weil sie mich immer an meinen ersten Besuch in Berlin mit meinen Eltern erinnern. Da war ich 13 Jahre alt und wir haben im Hotel Unter den Linden übernachtet. Diese Orte erinnern mich an das Weltstädtische Berlins. Ich laufe manchmal Unter den Linden entlang und versuche von Touristen angesprochen zu werden, weil ich es schön finde, zu dieser Stadt zu gehören und dann helfen zu können.

© Wiebke Jann

Die zweite Staffel der Dramedy-Serie "All you need" ist ab dem 22. April 2022 in der ARD-Mediathek zu sehen. Neben Arash Marandi spielen auch Benito Bause, Frédéric Brossier, Christin Nichols, Ludwix Brix und Tom Keune mit.

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