Wer die Corona-Regeln befolgt, sollte sonst keine Pflichten mehr haben

© Hella Wittenberg

Ja, ich find's auch scheiße, ständig über die Pandemie zu schreiben. Nur passiert halt nichts anderes. Und ich kann sie besser ertragen, wenn ich versuche, sie schönzureden. Sie hat ja auch etwas Gutes! Zum Beispiel waren die Staaten dieser Welt letzthin so mit sich selbst beschäftigt, dass sie völlig verschwitzt haben neue Kriege anzuzetteln. Große, stolze Menschen wie Xavier Naidoo und der Wendler konnten in ihren Führungsqualitäten glänzen. Und sich zu Hause allein zu betrinken ist endlich salonfähig geworden.

Die Pandemie muss man sich schönreden

Für mich war letztes Jahr am tollsten, dass ich mich null mit dem Finanzamt auseinander setzen musste. Als im März die vierteljährliche Vorauszahlung fällig war, ließ ich die Frist einfach verstreichen. Und konnte auf die Mahnung mit dem heiligen Zorn des Freischaffenden reagieren, dem sämtliche Einnahmen weggebrochen sind. Woraufhin ich von allen Zahlungen befreit wurde.

Seit Februar dieses Jahres verdiene ich nun wieder ein bisschen was, müsste dem Finanzamt also Bescheid geben. Und auch die Steuererklärung ist langsam fällig. Aber soll ich euch was sagen? Ich kann mich dazu einfach nicht aufraffen. Manche Verpflichtungen sind ja schon ohne globale Krise extrem nervig. Und während einer Pandemie kann ich sie noch weniger brauchen.

Pandemie und Finanzamt zusammen geht gar nicht

Letzte Woche kam wie jedes Quartal eine Zahlungsaufforderung der GEZ, die nun ungeöffnet auf meinem Küchentisch liegt. Jedes Mal, wenn ich den Raum betrete, glotzt sie mich vorwurfsvoll an, das verdammte Biest. Klar, ich weiß schon, ich müsste mich nur eben bei der Bank einloggen, den Betrag überweisen, und die Sache wäre erledigt. Aber ich will einfach nicht.

Und ich sehe das auch gar nicht ein! Früher, als junges rebellisches Ding, habe ich mir nach jedem Umzug Schlachten mit der GEZ geliefert. Weil ich nie einen Fernseher oder ein Radio hatte und deshalb auch nichts bezahlen wollte. Inzwischen bin ich so arriviert, ihr wisst schon, über 30 und Vater und so weiter, dass ich resigniert habe und den Scheiß eben zahle. Obwohl ich noch immer keinen Fernseher habe. Aber jetzt reicht's. Corona ist lästig genug.

Noch mehr Horrorpflichten aus der Hölle

Beinahe jeden Tag kriege ich E-Mails von der Schule meiner Tochter. Updates bezüglich Präsenzunterricht, Umfragen zum Homeschooling, gerade erst einen Petitionsaufruf. Einige Eltern haben sich zusammengeschlossen, um ihren Protest gegen die Schulschließungen zu formulieren. Ihre Haltung ist vernünftig und völlig im Rahmen. Und ich weiß, dass es gerade jetzt wichtig wäre, sich zu engagieren, oder zumindest an der Diskussion zu beteiligen. Aber ich hab einfach keinen Bock.

Warum auch? Ich erwarte vom Leben keine Goodie Bags. Mir ist klar, dass es mir ziemlich gut geht. Aber wenn mir schon alles verboten ist, was Spaß macht, kann der Alltag mich wenigstens mit seinem Nervkram in Ruhe lassen. Genauso wie ich mir wünsche, dass ich für Alkoholismus in der Öffentlichkeit nicht schief angeschaut werde.

Aber wenn mir schon alles verboten ist, was Spaß macht, kann der Alltag mich wenigstens mit seinem Nervkram in Ruhe lassen.

Ich möchte mit meiner Tochter und ihrem Opa eine Sauf-und-Spielplatz-Tour durch Prenzlberg machen. Auf dem Teutoburger Platz blühen die Kirschbäume. Mein Kind flitzt durch die Gegend, schmückt mit den Blüten alle möglichen Sachen, während ihr Opa und ich Kirschwasser aus kleinen Glasflaschen trinken. Gibt's bei Edeka an der Kasse. Gut gegen Keime in Mund und Rachen. So sitzt man nämlich eine Pandemie aus. Nicht am Schreibtisch über der Steuererklärung.

© Grafik: Mit Vergnügen | Foto: Hella Wittenberg
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