"Es reicht nicht aus, selbst nicht rassistisch zu sein" – 11 Learnings & Erfahrungen, die wir letzte Woche gemacht haben
Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd durch einen weißen Polizeibeamten hat sich im Netz – ausgehend von der Aktion #BlackOutTuesday – und zeitgleich auf den Straßen weltweit eine Welle des Protestes gegen Rassismus formiert. Eine, die mit viel Wucht über uns gekommen ist und die hoffentlich nachhaltig anhalten wird. #BlackLivesMatter ist keine neue Protestbewegung, sie ist schon ganz lange da, nur haben viele, vor allem weiße Menschen, sie bisher nicht gehört. Auch wir haben das nur unzureichend getan.
Es reicht nicht aus, selbst nicht rassistisch zu sein
Deshalb haben wir uns letzte Woche am #BlackOutTuesday beteiligt. Uns vorgenommen, zuzuhören, besser zu informieren und dazuzulernen. Jede*r einzelne von uns, denn wir müssen bei uns persönlich anfangen, wenn wir kollektiv etwas verändern wollen. Aber wir haben auch darüber gesprochen, wie wir das Thema Rassismus auf unseren Kanälen und als Team für euch zukünftig besser aufarbeiten können. Uns ist klar geworden: Wir müssen Haltung zeigen, denn beim Thema Rassismus gibt es keine zwei Meinungen. Weil alles daran einfach nur falsch ist. Und wie meine Kollegin Talika aus der Hamburger Redaktion so treffend sagt: "Es reicht nicht aus, selbst nicht rassistisch zu sein. Wir müssen alle Anti-Rassist*innen sein". Hier folgen also als erster Schritt 11 Learnings und Erfahrungen, die wir in der vergangenen Woche gemacht haben. Damit ist es nicht getan, aber es ist ein Anfang. Darauf können wir aufbauen. Legen wir los!
Anna
Wir sind noch weit entfernt von wirklicher Gleichheit in unserer Gesellschaft
Die letzte Woche war eine emotionale, aber sehr lehrreiche Woche für mich. Als Vietnamesin gelte ich in Deutschland als "Musterimmigrantin", der es doch gar nicht so schlecht gehen kann wie anderen PoC. Während meiner Schulzeit und auch noch darüber hinaus habe ich immer Witze über meine Herkunft und mein "Anders-Sein" gemacht. Mir ist bewusst geworden, dass ich das vor allem gemacht habe, um mich selbst zu schützen und um anderen nicht die Chance zu geben, Witze über mich zu machen. Mir war es so wichtig von allen gemocht zu werden und dazuzugehören, dass ich mir selbst eingeredet habe, dass ich gar nicht von Rassismus betroffen bin. Dass das nicht wahr ist, muss ich seit einigen Jahren immer wieder feststellen. Durch die letzte Woche kamen alte Erinnerungen wieder hoch und auch Szenarien, die ich ganz verdrängt habe. Das zu verarbeiten braucht noch ein Weile und zeigt mir wie fern wir von wirklicher Gleichheit in unserer Gesellschaft sind.
Franzi
Ich bin nicht nur weiß, ich habe auch die Ressourcen, um mich weiterbilden zu können
Die letzten Tage haben mir bewusst gemacht, in was für einer priviligierten Situation ich mich befinde. Ich bin nicht nur weiß, ich habe auch die Ressourcen, um mich weiterbilden zu können. Genug Geld, um Bücher zu kaufen oder Filme zu leihen, Podcasts zu hören oder im Internet auf Medien zuzugreifen. Außerdem habe ich genug freie Zeit, die ich der Weiterbildung widmen kann. Es gibt für mich jetzt keine Ausreden mehr, mich besser über Rassismus in Deutschland und weltweit zu informieren. Ich habe viele Bücher und Filme lange aufgeschoben, weil ich wusste, dass sie mich aufwühlen und Beklemmungen auslösen werden. So stand "When They See Us" lange auf meine Watchlist – jetzt habe ich die Netflix-Serie endlich geschaut. Und es war hart, die Ungerechtigkeit zu sehen. Aber mir ist klar geworden, dass ich nur Zuschauerin bin, während andere in dieser Ungerechtigkeit leben müssen. Das Thema Rassismus muss unangenehm sein – denn wir müssen viel neu lernen und entlernen. Ich will meine Zeit nutzen, um zuzuhören und zu lernen.
Talika
Es reicht nicht aus, selbst nicht rassistisch zu sein
In der Schule wurde ich gefragt, ob meine Eltern denn auch "so krass gläubig sind, wie alle Türk*innen". Wenn ich dann antwortete, dass wir Atheist*innen seien, hörte ich meist ein "zum Glück". Menschen haben in meiner Anwesenheit oft darüber gesprochen, dass sie nicht in ein bestimmtes Viertel ziehen wollen, weil ihnen da "zu viele Kanaken" wohnen – damit sei natürlich nicht ich gemeint. Ich bin mit solchen Situationen groß geworden und erlebe sie auch heute noch. Ich habe jedoch nie Angst haben müssen, um mein Leben oder um das Leben meiner Familie. Und obwohl ich sagen kann, dass ich aufgrund meines nicht-deutschen Namens und meiner Herkunft Rassismus erlebe, werde ich niemals verstehen können, wie sich Menschen fühlen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft um ihr Leben kämpfen müssen oder täglich ihr Leben fürchten. Das ist mir gerade in der letzten Woche nochmal bewusst geworden. Lange habe ich gedacht, dass es ausreicht, dass ich selbst nicht rassistisch bin. In den letzten Tagen habe ich gelernt, dass das nicht stimmt. Wir müssen uns dem stellen, was täglich passiert: In den USA, in Deutschland und überall auf der Welt werden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert, benachteiligt oder sogar getötet. Es reicht nicht aus, selbst nicht rassistisch zu sein. Wir müssen alle Anti-Rassist*innen sein und vor allem: diesen Menschen zuhören und von ihnen lernen.
Wiebke
Es reicht nicht aus, einen Platz zu reservieren, wir müssen die Einladung auch rausschicken – und das als Dauerabo
Black lives matter. Übersetzt man sich diesen Satz, fällt auf, wie prekär und ungerecht die Situation für POC eigentlich ist. Diese Bewegung fordert das Mindeste, das wir jedem Menschen schuldig sind: dass ihr*sein Leben etwas bedeutet. Dass das derzeit nicht der Fall ist, wurde mir in der letzten Woche bewusst. Dass das unsere Schuld ist, leider auch. Wir haben in der Redaktion schon häufiger darüber gesprochen, dass wir gerne mehr Diversität in unseren Redaktionen hätten, weil die Stadt, in der wir leben und über die wir schreiben so viel diverser ist. Weil die Menschen, die hier leben so viel diverser sind. Das bloße Wollen genügt allerdings nicht. Es reicht nicht aus, einen Platz zu reservieren, wir müssen die Einladung auch rausschicken – und das als Dauerabo. Wir müssen als privilegierte Weiße aktiv werden. POC endlich den Platz in der Gesellschaft geben, der ihnen ohnehin zusteht. Und das passiert nun mal nicht einfach so. Es genügt nicht, einfach nur "nicht rassistisch" zu sein, wir müssen gegen den herrschenden Rassismus ankämpfen. Gemeinsam. Das wird ein ordentliches Stück Arbeit, es ist besser, wir fangen direkt damit an!
Marie-Therese
Ich trete in den Dialog, widerspreche und helfe bei der Meinungsbildung, wenn ich auf Widerstand stoße
Was ich in den letzten Wochen gelernt habe, ist, dass die Bereitschaft zur Weiterbildung zum Thema Rassismus bei vielen zum Glück da ist. Das finde ich sehr positiv. Ich finde auch gut, wie Verantwortlichkeiten neu gedacht werden (und werden müssen) – wie eine Art Filter, durch den unsere Gesellschaft, Unternehmen und ihre Strukturen beobachtet werden. In meinem Freundeskreis wurde viel über die "Blase" diskutiert, in der wir leben, den Common Sense, den man zum Thema Rassismus innerhalb seines Freundeskreises hat. Dass wir uns zwar alle sehr mit dem Thema beschäftigen, dass wir diskutieren, eine hohe Awareness haben. Aber wie viel schwappt davon über zu Menschen, die noch viel Aufklärung zu diesem Thema benötigen? Ich hoffe wirklich sehr, dass sich nachhaltig etwas ändern wird und die derzeitige Bereitschaft, sich zu engagieren, nicht abebbt. Zusätzlich zum "Auf die Straße gehen" und Demonstrieren beobachte ich, wie ich immer mehr mit Freund*innen und Bekannten sowie Familienmitgliedern in den Dialog trete, widerspreche und mit etwas mehr Nachdruck bei der Meinungsbildung helfe, sobald ich auf Widerstand stoße. Laut werden ist notwendig, vor allem dann, wenn man eine Plattform hat wie wir, hier bei Mit Vergnügen.
Matze
Ich habe es mir beim Thema Rassismus viel zu bequem gemacht
Ich habe in den letzten Tagen festgestellt, dass ich es mir beim Thema Rassismus viel zu bequem gemacht habe. Für mich waren "Rassist*innen" die anderen – die Neonazis, die Rechten. Durch das Buch Exit Racism von Tupoka Ogette ist mir bewusst geworden, dass es eben nur bequem, aber nicht richtig war, so zu denken. Ihr Buch zeigt unter anderem die vielen Privilegien auf, die ich als Weißer (Mann) habe. So habe ich zum Beispiel noch nie eine Wohnung oder einen Job aufgrund meiner Hautfarbe nicht bekommen. Ich bin noch nie nicht in einen Club gekommen aufgrund meiner Hautfarbe und allein, dass ich selbst wählen kann, mich mit dem Thema "Rassismus" zu beschäftigen, ist schon ein Privileg. Ich musste mir in den letzten Tagen immer wieder eingestehen, dass ich mehr Scheuklappen hatte, als mir bewusst ist. Gerade lese ich viel und unterhalte mich mit Freunden und Freundinnen zu dem Thema.
Camila
Ich hätte mir gewünscht, dass die Geschehnisse in Halle und Hanau schon Anlass gewesen wären, um laut über Rassismus in Deutschland zu sprechen
Rassismus und Diskriminierung sind mir nicht fremd und schon immer ein Thema in meinem Leben. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass die Geschehnisse in Halle und Hanau schon Anlass genug gewesen wären, um laut über Rassismus in Deutschland zu sprechen. Gleichzeitig bin ich froh, dass überhaupt darüber gesprochen wird. Diese Woche habe ich mich wieder viel mit dem Thema auseinandergesetzt. Nicht nur mit Rassismus in Deutschland und den USA, sondern auf der ganzen Welt. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass Menschen wirklich überall davon betroffen sind. Dass Nationalität und Herkunft total willkürlich sind, Menschen aber trotzdem danach be- oder verurteilt werden, ist mir unbegreiflich. Seit vielen Jahren begleitet mich die Geschichte vom Kleinen Prinz und heute scheint mir ein Zitat aus dem Buch aktueller denn je: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." – (Antoine de Saint-Exupéry). Ich würde mir wünschen, dass dieses Zitat alle Menschen erreicht und sich ganz tief in unseren Herzen verwurzelt und wir dieses weltweite Problem endlich lösen.
Caro
Ich will in einem Land ohne Rassismus leben und ich muss selbst noch mehr dafür tun
Ich habe gelernt, dass es für mich noch so viel zu lernen und vor allem zu tun gibt. Ich habe mich und meine Haltung schon immer als nicht nur nicht-rassistisch, sondern ganz klar als anti-rassistisch wahrgenommen – in den letzten Tagen habe ich aber auch deutlich gemerkt, dass eine Haltung allein noch keinen Unterschied macht. Rassismus ist trotzdem noch alltäglich und wenn meine Haltung nicht auch zur Folge hat, dass ich mich äußere oder auf andere Weise engagiere, bringt diese Haltung den Menschen, die von Rassismus betroffen sind, erstmal nichts. Ich will ganz klar in einem Land ohne Rassismus leben und ich muss wohl auch selbst noch mehr dafür tun, diesen Wunsch zur Realität werden zu lassen.
Marie
Nur weil etwas schon lange so ist, wie es ist, heißt es nicht, dass es okay ist
Mein größtes Learning der Woche war, vor allem alltägliche Dinge zu hinterfragen, die ich als ganz selbstverständlich in meinem Sprachgebrauch benutzt habe – ohne je wirklich darüber nachgedacht zu haben, was sie bedeuten. Ich selbst habe bisher nie hinterfragt, was falsch daran ist, wenn ich sage "hautfarbener BH" oder "hautfarbene Strumpfhose". Da man es als kleines Kind schon früh lernt, hat sich das für mich auch nie falsch angefühlt, zumal es auch nicht so auffällig ist wie andere offensichtlichere oder sichtbarere Diskriminierungen. Aber nur weil etwas schon lange so ist, wie es ist, heißt es nicht, dass es okay ist. Deswegen ist mein größtes Learning, in alltäglichen Momenten Worte wie zum Beispiel "Hautfarbe" einfach nicht mehr zu benutzen, um bestimmte Assoziationen zu vermeiden, die Hautfarbe weiterhin als irgendeine Kategorie oder ein Problem darstellen.
Insa
Wir brauchen dringend mehr Pluralität in unseren Redaktionen
Gerade in meiner Rolle als Redakteurin habe ich mir viele Gedanken um das Thema Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen und PoC in den Medien gemacht. Die Diskussionen um die Versäumnisse bekannter Talkshows, die das Thema Rassismus letzte Woche zwar aufgenommen haben, aber nicht mal eine*n Schwarze*n und/oder eine direkt von Rassismus betroffene Person eingeladen hatten, um über dieses Thema zu diskutieren, ist beschämend für unsere Gesellschaft. Wir müssen uns an dieser Stelle an die eigene Nase fassen, denn auch wir zeigen eindeutig zu wenig Vielfalt bei Mit Vergnügen. #BlackLivesMatter heißt, dass Schwarze Menschen, PoC und alle anderen, die Diskriminierung erleben, auch in unserer Berichterstattung sichtbarerer werden müssen – und zwar nicht nur am #BlackOutTuesday, sondern immer. Wir brauchen diversere Stimmen in allen Bereichen – vor sowie hinter der Kamera. Redaktionen, die mir ihrer Arbeit einen Großteil zur Meinungsbildung beitragen, müssen sich reflektieren, mehr Pluralität in ihren Teams schaffen – und damit meine ich nicht nur das Minimum, indem man zum Beispiel eine PoC einstellt. Das reicht nicht aus. Aufschieben ist jetzt nicht mehr – also machen wir uns an die Arbeit!
Nila
Wir müssen aktiv werden und uns engagieren
Mir ist in der letzten Woche bewusst geworden, dass es bei Black Lives Matter um so viel mehr geht, als nur ein schwarzes Quadrat auf Instagram zu posten. Ein Bild hochladen, für 24 Stunden Solidarität zeigen – und das war's? Bitte nicht! Wir müssen nachhaltig zuhören, uns informieren, uns austauschen, aktiv werden und uns engagieren. Und ich kann nur hoffen, dass alle User*innen, die sich am #BlackOutTuesday so solidarisch gezeigt haben, auch genau das tun und ihren Support ernst meinen. Wenn das zutrifft, sind wir für den Anfang schon ein kleines Stückchen weiter.