Lesevergnügen #15: 11 spannende Neuerscheinungen für den Herbst
Jetzt beginnt die Zeit, in der man um 07.30 Uhr aufwacht, es entweder noch immer stockdunkel ist, oder sich langsam abzeichnet, dass der Tag nicht sehr viel heller wird. Um 16 Uhr geht die Sonne, sollte sie sich gezeigt haben, dann auch schon wieder unter. Das kann einem aufs Gemüt schlagen, man kann sich aber auch – abgesehen von mittäglichen Spaziergängen, die einem das Tageslicht zeigen – in tolle Literatur flüchten, bis die Tage wieder länger werden. Denn auch wenn die Zeit im Jahr 2020 stillzustehen scheint, hat sich in den vielen Verlagshäusern ziemlich viel getan.
Maria Popova versucht mithilfe der Biographien brillanter Denker*innen die großen Fragen des Lebens zu beantworten, Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter schreiben ein Duett, Barack Obamas Biographie erscheint und die Mutter des Bestsellerautors Jonathan Safran Foer, Esther, schreibt ihr erstes Buch über die Suche nach ihrer im Holocaust ausgelöschten Familie. Kurz gesagt: Es sind so viele gute Bücher erschienen, dass die kalte Jahreszeit – und der Lockdown – fast nicht ausreichen, um alles zu lesen. Hier sind deswegen 11 Neuerscheinungen, mit denen ihr am besten direkt anfangt.
"How to be an Antiracist": Imbram X. Kendi
Wenn eines sicher ist – das hat nicht zuletzt die jüngere Geschichte gezeigt –, dann ist es die Tatsache, dass Neutralität im Kampf gegen Rassismus keine Option ist. Wir können und müssen uns aktiv dafür entscheiden, antirassistisch zu sein und dementsprechend handeln, denn eines ist leider auch klar: Unsere Ignoranz und die fehlende Reflexion darüber, inwieweit unser Handeln rassistisch ist, ist Teil des Problems. In seinem New York Times Bestseller "How to be an Antiracist" entwickelt der Historiker und Professor an der Boston University, Ibram X. Kendi, ein neues Verständnis von Rassismus. Er erklärt, was Rassismus ist, wo er sich verbergen kann, wie wir ihn erkennen und aktiv bekämpfen können.
"How to be an Antiracist" von Imbram X. Kendi | 416 Seiten | erschienen im btb Verlag | Mehr Info
"Findungen": Maria Popova
Wenn wir in Zeiten wie diesen etwas unbedingt brauchen, dann sind das kluge Denker*innen und Wissenschaftler*innen. Genau diese porträtiert Autorin Maria Popova in ihrem Buch "Findungen". Es geht um Visionär*innen, die unsere Gesellschaft geprägt und maßgeblich verändert haben. Es geht um Menschen, die mutig genug waren, außerhalb von Kategorien und Normen zu denken, Menschen, von denen wir etwas lernen können. Popovas Erkenntnishunger nimmt uns mit durch eine Reise durch die letzten 400 Jahre, auf der wir die Astronomin Maria Mitchell und die Journalistin Margaret Fuller, eine Pionierin der amerikanischen Frauenbewegung, kennenlernen, aber auch die Meeresbiologin Rachel Carson kennen, auf deren Arbeit die heutige Umweltbewegung basiert.
Basierend auf all diesen Lebensgeschichten, versucht Popova die wichtigen Fragen des Lebens zu beantworten: Wie kann man ein sinnerfülltes Leben führen, woher kommt das menschliche Streben nach Bedeutung und wie funktioniert eigentlich die Liebe? Popova erzählt von Dingen, die unsere Gesellschaft dazu bewegen können, die Zukunft anders zu gestalten, als wir das gerade tun.
"Findungen" von Maria Popova | erschienen im Diogenes Verlag | 896 Seiten | Mehr Info
"Das Neue Buch": Rafael Horzon
Ooops, he did it again. Nach zehn Jahren veröffentlicht Rafael Horzon sein zweites Buch und es trägt, ähnlich wie schon sein erstes, einen wirklich aussagekräftigen Titel. "Das Neue Buch". Eigentlich wollte er damit den Nobelpreis gewinnen und sich zum wichtigsten Intellektuellen des 21. Jahrhunderts schreiben, allerdings fällt ihm nichts ein, worüber er schreiben soll – und deswegen schreibt er genau das auf. Auf den ersten Seiten dürfen wir deswegen in klassisch-schräger Horzon-Manier von einem verpatzten, weil nicht vorhandenen Pressetext lesen, von einem sehr von sich überzeugten Rafael Horzon und einem Verlag, der nicht so recht weiß, was er von diesem Autor eigentlich halten soll. Anschließend schreibt er aber dann doch wieder darüber, was er weiß und was er erlebt hat. Und deswegen begleiten wir ihn durch das wilde und schöne Berlin-Mitte und treffen seinen guten und viel zu früh verstorbenen Freund Carl Jakob Haupt, dem er das Buch auch gewidmet hat. Wir begleiten ihn auf Fashion Week Partys und in Szeneclubs, auf Dinnerabende und zu Galerieeröffnungen.
"Das Neue Buch" von Rafael Horzon | erschienen im Suhrkamp Verlag | 303 Seiten | Mehr Info
"Quality Land 2.0": Marc-Uwe Kling
Wenn Marc-Uwe Kling ein neues Buch veröffentlicht, freue ich mich immer, denn einer Sache kann man sich bei ihm sicher sein: Es wird wahnsinnig komisch. Genauso wie in seinem letzten Buch, begleiten wir in der Fortsetzung "Quality Land 2.0" den Protagonisten Peter Arbeitsloser, der es nicht übers Herz brachte, alte Maschinen zu verschrotten – obwohl das sein Job war –, sondern sie alle in seinem Keller hat wohnen lassen und seinen treuen Begleiter Pink, ein sehr vorlautes QualityPad. Im letzten Band fiel der zum Präsidenten gewählte Androide John of Us einem Attentat zum Opfer. Doch ist das wirklich wahr? Wer steckt eigentlich hinter der Entführung von Peter Arbeitsloser? Und was hat Kiki Unbekannt damit zu tun?
Für alle Kling-Fans ist das Buch Pflicht – wie großartig ist bitte Quality Land? – und für diejenigen, die den ersten Band noch nicht gelesen haben: Lucky you, dann könnt ihr direkt beide Bände lesen, denn eine komischere und absurdere Lektüre werdet ihr wohl kaum finden.
"Quality Land 2.0" von Marc-Uwe Kling | erschienen im Ullstein Verlag | 432 Seiten | Mehr Info
"Die Gesellschaft der Anderen": Naika Foroutan und Jana Hensel
"Den Kampf gegen die Ungleichheit kann man nicht allein führen." In diesem Buch diskutieren Migrationsforscherin Naika Foroutan und Journalistin Jana Hensel über aktuelle Geschehnisse in Deutschland. Aber was genau ist Deutschland? Wie setzt sich die Gesellschaft zusammen? Wer gehört dazu, wer nicht? Welche Ereignisse prägen und spalten sie? In lebhaften Debatten über die Anschläge in Hanau, Ost-Migrantische Analogien, die Wiedervereinigung und das Recht auf Gleichheit versuchen die beiden verständlich zu machen, dass für eine plurale Gegenwart in Deutschland, die Erfahrungen und Prägungen aller zählen. Ein wichtiges Buch, in einer Zeit, in der wir schier unsichtbar immer mehr Schritte in eine Richtung gehen, die gefährlich ist.
"Die Gesellschaft der Anderen" von Naika Foroutan und Jana Hensel | erschienen im Aufbau Verlag | 356 Seiten | Mehr Info
"Alle sind so ernst geworden": Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre
Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter gehören zu den gefragtesten Autoren unserer Zeit. Ihre Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt, einige von ihnen sogar erfolgreich verfilmt und jetzt machen uns die beiden ein kleines vorweihnachtliches Geschenk: ein gemeinsames Buch. Statt eines Romans, liefern sie uns Gespräche. Gespräche, die so witzig, klug und manchmal auch absurd sind, dass wir am liebsten selbst dabei gewesen wären. Sie reden darüber, wie sie einander kennenlernten, dass einer von beiden währenddessen eine knallorange Badehose trug und wie man auch als mittelalter Mann in Badehose die Würde und die Sixpackillusion aufrecht erhalten kann. Sie reden über LSD, den Teufel und Madonna. Über Ibiza, das Verliebtsein und Wiedersehen. Und all das mit einer rhetorischen und literarischen Rafinesse, dass so ziemlich jeder Comedy-Podcast neidisch auf diese Seiten blicken wird. Können die beiden bitte gemeinsam einen Podcast machen?
"Alle sind so ernst geworden" von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre | erscheint am 09. Dezember 2020 im Diogenes Verlag | 272 Seiten | Mehr Info
"Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind": Esther Safran Foer
Falls, ihr euch gerade fragt, woher ihr diesen Namen, ja, Esther Safran Foer ist die Mutter des berühmten Autors Jonathan Safran Foer. In ihrem ersten Buch begibt sie sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Familie, die, wie bei so vielen jüdischen Familien, vom NS-Regime teilweise ausgelöscht wurde. Von ihrer Mutter erfährt sie, dass ihre Vater eine frühere Ehefrau und sogar eine weitere Tochter hatte, Esthers Halbschwester. Beide wurden im Holocaust ermordet. Wie konnte ihr Vater überleben? Mit einem Foto und einer handgezeichneten reist Esther Safran Foer gemeinsam mit ihrem Sohn in die Ukraine, um das Shetl zu finden, indem sich ihr Vater damals versteckte. Und tatsächlich finden sie die Nachfahren der Menschen, die ihren Vater damals versteckten und sie erfährt sogar den Namen ihrer Halbschwester.
Dieses Buch erzählt eine Familiengeschichte, wie sie es leider viel zu oft gibt. Eine Geschichte, die vier Generationen maßgeblich geprägt hat und noch viele weitere prägen wird.
"Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind" von Esther Safran Foer | erschienen im KiWi Verlag | 288 Seiten | Mehr Info
"A promised Land": Barack Obama
Am 4. November 2008 schrieb Barack Obama Geschichte. Er wurde als erster POC in das höchste Amt der vereinigten Staaten gewählt, zum Präsident der vereinigten Staaten von Amerika. Vier Jahre nach seiner letzten Amtszeit und pünktlich zur zum Glück beendeten Amtszeit Donald Trumps erscheint jetzt seine langersehnte Biographie. In "A promised Land" nimmt Obama seine Leser*innen mit zu den Anfängen seines politischen Werdegangs und startet in frühen Jahren, als ein Barack Obama noch selbst auf der Suche nach seiner Identität war. Er erzählt emotional von Turbulenzen und dramatischen Ereignissen und natürlich auch von der entscheidenden Nacht 2008. Wir begleiten Obama ins Weiße Haus und nach Moskau. Er schreibt über die Reformation der Wall Street, über die Problematik Wladimir Putin einzuschätzen, darüber wie das Leben seiner Frau und Töchter durch die Zeit im Weißen Haus geprägt wurde, welche Hindernisse es auf dem Weg zu einer Gesundheitsreform zu überwinden gab, aber auch welche Selbstzweifel und Enttäuschungen ihn in den letzten Jahren beschäftigten. Barack Obama ist ein beeindruckender Mann und ebenso beeindruckend, tiefgründig und hoffnungsvoll ist auch der erste Band seiner Präsidentschaftserinnerungen.
"A promised Land" von Barack Obama | erschienen bei Penguin Books | 751 Seiten | Mehr Info
"Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin": Stefanie Sargnagel
Stefanie Sargnagel gehört zum Internet wie die 11 zu Mit Vergnügen. Obwohl sie eigentlich vor allem für ihre kurzen Texte und einige Zeichnungen bekannt ist, erscheint jetzt ihr erster Roman. "Dicht" speist sich nicht etwa aus der Fiktion, sondern aus Stefanie Sargnagels eigener Jugend. Texte, die sie auf einem mittelmäßigen, eigenen Blog zwischen 15 und 20 schrieb, bieten dabei die Grundlage. "Mein Alltag jetzt ist halt sehr langweilig, da müssen jetzt die anarchischen Jugendjahre herhalten.", schreibt sie selbst zu Beginn ihres Coming-of-Age-Romans, in dem sie mit viel Sprachwitz und einer scharfen Beobachtungsgabe von ihrer Jugend erzählt. Sie spricht darüber, wie sie in ihrer Mitschülerin Sarah eine Komplizin gefunden hat, wie sie von der Modeschule doch zurück auf ein klassisches Gymnasium wechselte, das sie allerdings nie beendete. "Dicht" ist eine Ode des jugendlichen Verweigerns, des Ausprobierens und des Sich-findens.
"Dicht" von Stefanie Sargnagel | erschienen im Rowohlt Verlag | 247 Seiten | Mehr Info
"Hotel der Schlaflosen – Erzählungen": Ralf Rothmann
Ralf Rothmann lebt über 40 Jahren in Berlin, mit schlaflosen Nächten sollte er sich also auskennen. In seinem Erzählband "Hotel der Schlaflosen" sind es allerdings keine bewusstseinserweiternden Mittel, die für Schlaflosigkeit sorgen, sondern Ängste. In elf Geschichten skizziert er eine Chronik menschlicher Befindlichkeiten, in denen den Protagonist*innen ihre Angst auch eine Hilfe in der Not sein kann. Seine Geschichten handeln von einem Kind, das im Treppenhaus auf seine Prügelstrafe wartet, von einer Geigerin, die eine finale Diagnose erhält – und diese erstmal geheim hält – oder von Schriftsteller Isaak Babel, der mit einem Henker spricht. Bei all dem, lässt Rothmann allerdings weder seinen Protagonist*innen noch seinen Leser*innen einen Funken Hoffnung, sondern offenbart einem mit seiner klaren und eindrucksvollen Sprache einen Raum voller Finsternis.
"Hotel der Schlaflosen – Erzählungen" von Ralf Rothmann | erschienen im Suhrkamp Verlag | 200 Seiten | Mehr Info
"Die Kunst der Großzügigkeit": Susanne Kippenberger
Zu schenken bedeutet, jemandem eine Freude zu machen. Zu geben ist nicht immer nur ein Akt von Großzügigkeit, sondern auch eine Form der Wertschätzung und der Kommunikation. Egal ob wir Geschenke erhalten oder sie jemandem machen, diese Form der Kommunikation löst immer etwas in uns aus. Das kann Freude, Enttäuschung, Überraschung, Glück oder auch Kränkung sein, ganz unabhängig des materiellen Werts. Susanne Kippenberger, die selbst eine leidenschaftliche Schenkerin ist, hat sich mit der Geste intensiv auseinandergesetzt und hinterfragt in ihrem neuen Buch "Die Kunst der Großzügigkeit", wieso es häufig Frauen sind, die sich um die Geschenke kümmern und warum häufig diejenigen Geschenke einen am meisten erfreuen, die man in keinem Laden kaufen kann. Sie erzählt von großer Freude und großen Desastern beim Schenken und zeigt aber vor allem, wie viel Freude einem Großzügigkeit bereiten kann.
"Die Kunst der Großzügigkeit" von Susanne Kippenberger | erschienen im Hanser Verlag | 256 Seiten | Mehr Info