Schluss mit Freizeitstress: Ein Plädoyer für die Planlosigkeit
"Hey, na alles gut? Hast du Lust 'n Bierchen trinken zu gehen?" – "Ja klar, voll gerne. Ich muss mal eben checken. Nächste Woche Donnerstag hätte ich so von 19 bis 21 Uhr Zeit, davor bin ich arbeiten, danach bin ich im Kino und die anderen Tage sind auch schon ziemlich voll diese Woche. Wie sieht's bei dir aus?" – "Ah, ganz schlecht. Donnerstag bin ich schon mit Martha verabredet, wir sind zu einem Dinner eingeladen. Wie wär's mit Samstag?" – "Samstag? Also diesen kann ich nicht, nächstes Wochenende bin ich auch nicht in Berlin, das passt also nicht. Mittwoch in zwei Wochen hätte wieder Zeit, also abends." Seit einer halben Stunde sitze ich nun an meinem Handy, schreibe mit einer Freundin, switche zwischen Terminkalender und iMessage hin und her.
Dass wir eine halbe Stunde brauchen, um ein Bier-Date auszumachen, liegt nicht daran, dass wir krasse Manager-Jobs haben, mehrere Arbeitshandys und unendlich viele Businesstrips anstehen. Der Grund dafür ist viel einfacher: Ich habe Stress. Freizeitstress. Mein privater Terminkalender ist enger getaktet als der beim Bürgeramt. Aber wie kann das sein? Wie kann es sein, dass ich mich in meiner Freizeit stresse? Allein das Wort "Freizeitstress" ist ein Paradoxon. Freizeit ist doch genau dazu da, den Stress endlich abzuwerfen, sich zu entspannen und keine Verpflichtungen zu haben.
Allein das Wort Freizeitstress ist ein Paradoxon
Als wir noch Kinder waren, hat das Konzept Freizeit in dieser Form noch Sinn ergeben. Da haben wir einmal kurz angerufen, sind manchmal sogar einfach bei unseren Freunden vorbeigegangen und haben geklingelt. Haben gefragt: "Darf die Anna mit spielen kommen?" und dann waren wir spielen. Ohne große vorherige Verabredung. Wo ist die Zeit hin, in der wir einfach bei Freunden vorbei gehen. Klingeln. Spontan einen Kaffee zusammen trinken, einfach nur, weil man gerade in der Gegend war. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, wann ich das letzte Mal spontan bei eine*r Freund*in geklingelt habe. Wieso muss ich inzwischen ernsthaft einen Kalender rausholen, um mich mit meinen Freund*innen zu verabreden? Und wieso muss eigentlich jedes Zeitfenster in meinem Terminkalender belegt sein? Kann ich nicht einfach mal wieder nichts planen und schauen, was sich ergibt?
Wo ist die Zeit hin, in der wir einfach bei Freund*innen vorbei gehen. Klingeln. Spontan einen Kaffee zusammen trinken, weil man gerade in der Gegend war. Wieso muss ich inzwischen ernsthaft einen Kalender rausholen, um mich mit meinen Freund*innen zu verabreden?
Ich glaube, diese Planungswut hat mich gepackt, als ich vor drei Jahren angefangen habe zu arbeiten. Seit ich nicht mehr ohnehin jeden Tag mit meinen Freund*innen in der Uni bin, gemeinsam mit ihnen in Cafés arbeite oder mittwochs die Uni einfach mal skippe. Seit ich arbeite, hat sich das Freizeitkontingent drastisch minimiert. Was vorher selbstverwalteter quasi Dauerzustand war, ist jetzt ein wertvolles Gut geworden, denn ich kann nicht mehr einfach den ganzen Tag im Café abhängen. Und meine Freund*innen können das auch nicht mehr. Wir müssen unseren Tag planen, damit wir es überhaupt schaffen, uns regelmäßig zu sehen. Und das verstehe ich auch, ich will meine Liebsten ja auch regelmäßig sehen. Aber muss es unbedingt zwei Monate im Voraus geplant werden? Können wir uns nicht mal wieder aktiv nichts vornehmen?
Ich glaube, wir sollten alle wieder lernen, etwas planloser zu sein.
Vor ein paar Wochen habe ich genau das gemacht. Ich habe eben keine Verabredungen ausgemacht. Bin nicht weggefahren. Habe mich zu Hause hingelegt, stundenlang Serien geglotzt, zig Warenkörbe in Onlineshops angelegt, die ich am Ende eh nicht kaufe. Ich war mit unserem Hund spazieren. Habe gekocht, spontan eine Freundin zum Essen eingeladen. Anschließend sind wir noch in eine Bar, einen Club, waren tanzen bis lang in den nächsten Morgen. Und das war gar kein Problem, denn ich hatte ja auch am nächsten Tag keine Verabredungen. Wir hatten Spaß. Spontan. Ohne Kalender. Es war großartig. Doch genau diese Planlosigkeit und Spontanität möchte niemand mehr so richtig. Zu groß ist die Angst davor, dass eben doch keiner Zeit hat. Man keine spontane Verabredung mehr findet und zu Hause bleiben muss. Aber was wäre so schlimm daran, einfach mal wieder einen Abend zu Hause zu verbringen?
Ich glaube, wir sollten alle wieder lernen, etwas planloser zu sein. Einfach mal wieder spontan schauen, ob man mittwochs Lust hat, mit Anna Kumpir essen zu gehen oder doch lieber mit Milena und Katja den Bachelor schauen möchte. Ich jedenfalls versuche, mir weniger Verabredungen in meinen Terminkalender zu packen, ein bisschen flexibler zu bleiben. Denn sind wir mal ehrlich: die spontanen Abende sind meistens ja doch die schönsten.