Darf man noch politisch unkorrekt sein? Ein Plädoyer für mehr Debattenkultur
Darf ich in einem Titel überhaupt noch „man“ schreiben? Ich kann mich an meine Zeit als sechzehnjähriger Antifa erinnern, als ich jede Woche Flugblätter für irgendwelche Demos verfasst habe. Natürlich benutzte ich willfährig das Ersatzwort „mensch“, hängte überall pflichtbewusst ein „-Innen“ an. Doch selbst als linientreuer Teenager war mir das bald zu unelegant. Und konfus. Wenn man in jedem Satz über so ein sprachfremdes Konstrukt stolpert, verliert man das Ziel des Textes aus den Augen.
Heute, knapp zwanzig Jahre später, kommt es nicht selten vor, dass Redakteure ungefragt die Nachsilben „*innen“ in meine Texte einbauen. Bei allen anderen Änderungen halten sie nochmal Rücksprache, aber in diesem Fall nicht. Im Gegenteil, wenn ich wissen will, was das soll, dass es den Rhythmus des ganzen Satzes zerstört, wird mein Einwurf als reaktionäres No-Go abgekanzelt.
Gegen jedes Dogma – auch in der Sprache
Ich mag nicht, wenn ich irgendetwas nicht darf. Das heißt nicht, dass ich alles zu jeder Zeit tun will. Doch wenn Leute es darauf anlegen, mir meine Freiheit nehmen zu wollen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit drastisch, dass ich renitent werde.
Als ich hier noch meine Kolumne „Cool trotz Kind“ schrieb, kam es irgendwann zum Eklat in der Kita meiner Tochter. Weil ein humorloses Elternpaar meinen Sarkasmus ungefiltert auf sich selbst bezog. Um den Frieden wiederherzustellen, stellte die Kita mich vor ein Ultimatum: „Entweder du versprichst, dass du nicht mehr über uns schreibst, oder wir können deine Tochter nicht länger betreuen.“ Was wiederum dazu führte, dass wir den Kitaplatz kündigten. Ich hatte gar nicht vor, nochmal über die zu schreiben. Aber es ging ums Prinzip.
Doch wenn Leute es darauf anlegen, mir meine Freiheit nehmen zu wollen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit drastisch, dass ich renitent werde.
Man merkt, ich definiere mich ein Stück weit über die Widerstände, auf die ich stoße. Sie helfen mir bei der Entwicklung der Figur, die ich in der Öffentlichkeit darstelle. Von daher sollte ich dankbar sein. Allerdings stört mich dieses Klima der Tabuisierung. Es stört mich, wenn Künstler und Künstlerinnen auf der Bühne Kompromisse eingehen, weil sie Angst haben, in eines der sich ständig vermehrenden heiligen Fettnäpfchen zu treten.
Ich habe dieses Phänomen zum ersten Mal während und nach der #metoo-Debatte bemerkt. Wenn ich einen Auftritt bei einer Lesung oder meinem Live-Podcast hatte. Man verbringt den Abend mit einem Publikum, nach einer Stunde ist die Stimmung behütet und gelassen. Instinktiv würde man annehmen, es bestünde ein stiller Konsens darüber, dass es falsch ist, den Holocaust zu leugnen, oder jemanden sexuell zu belästigen.
Immer rein ins Fettnäpfchen
Doch dann benutzt man ein Reizwort, sagt etwas über Kevin Spacey, und schlagartig breitet sich eisiges Schweigen im Raum aus. Als säße man vor einem Tribunal. Und das einfach nur aus dem Grund, weil man bestimmte Dinge nicht mehr sagen darf. Weil es nicht mehr erwünscht ist, dass politisch unkorrekte Meinungen existieren.
Das klingt alles etwas schwammig. Hier ein Beispiel: Im Juli hatte ich einen Auftritt bei einem Techno-Festival. Im Podcast-Gespräch mit einer Kollegin kamen wir darauf zu sprechen, warum die Lesebühnen- und Poetry-Slam-Szene so männlich dominiert ist. Ich sagte, dass Frauen oft viel reflektierter und dadurch zögerlicher seien. Und wollte weiter ausführen, dass ich mindestens fünf oder sechs Freundinnen habe, die alle genug Talent hätten, auf der Bühne zu stehen. Die aber einfach nicht diese Rampensau-Attitüde haben, ins Scheinwerferlicht drängen zu wollen. Und dass das völlig in Ordnung ist. Und dass man sich diese Zögerlichkeit von vielen männlichen Künstlern wünschen würde.
Aber so weit kam ich gar nicht. Nach meinem ersten Satz sprang eine Frau im Publikum auf und brüllte: „So eine sexistische Kackscheiße muss ich mir hier nicht anhören!“ Und forderte dann die anderen Zuschauer auf, die Veranstaltung zu boykottieren. Tut mir leid, aber sowas verstehe ich einfach nicht. Wo soll das hinführen, wenn jede Debatte dogmatisch beendet wird, weil irgendwer sich getriggert fühlt?
Hands up for Debattenkultur
Ich weiß, das ist bei Gott keine originelle Frage. Und man gewinnt keinen Blumentopf mehr damit, frech und politisch unkorrekt zu sein. Aber es wird dauernd davon geredet, dass die Demokratie sich selbst abschaffen würde. Meistens meint man damit dann rechte Wähler, die sicherlich einen großen Teil dazu beitragen. Aber man kann die Demokratie auf tausend verschiedene Arten abschaffen. Und ein Boykott der Debattenkultur gehört definitiv dazu.
Warum hat die Frau im Publikum mir nicht widersprochen? Dann hätte ich mich erklären können. Es hätte ein Meinungsaustausch stattgefunden, der die ursprüngliche Frage vielleicht viel besser beantwortet hätte. Aber so haben sich sowohl bei mir als auch bei der Frau nur die Fronten verhärtet.
Demokratie ist, wenn man trotzdem lacht
Neulich habe ich bei Facebook einen Troll-Kommentar zum Profil seines Urhebers verfolgt. Dort waren allerhand Dinge zu lesen. Er leugnet den Klimawandel, findet Dieselmotoren gut, weil die Akkus für Elektroautos schließlich auch scheiße sind, bagatellisiert den Lübke-Mord. Gleichzeitig postet er rührselig-nachdenkliche Sprüche und Katzenvideos.
Bei sowas könnte mir das Messer im Sack aufgehen. Und ich fände es besser, wenn Menschen nicht so komische Meinungen hätten. Sich aber vor der Tatsache zu verschließen, dass es sie gibt, bringt auch nichts. Im Gegenteil. Es ist wichtig, sie zu registrieren. Und sich im besten Fall mit ihnen auseinander zu setzen.
Habe ich zur Veranschaulichung meines Standpunktes gerade einen rechten Troll ins Feld geführt? Sieht so aus. Da seht ihr mal, wie weit ich zu gehen bereit bin. Ich will nicht in einer Welt der Verbote und Tabus leben. Demokratie ist, wenn man trotzdem lacht.