Lesevergnügen #11: 11 wirklich lesenswerte Bücher für den Herbst

© Wiebke Jann

Der Herbst spielt gerade noch ein bisschen mit uns. Erst ist es bitterkalt und grau. Dann scheint die Sonne, die Temperaturen steigen schlagartig wieder an und er zeigt sich von seiner schönsten Seite. Aber egal, ob wir gerade noch die letzten Sonnenstrahlen draußen genießen oder schon mit einer Wolldecke auf der Couch liegen, eines können wir immer gebrauchen: gute Literatur. Und die gibt es auch im Herbst wieder zu Genüge: Peter Wittkamp erzählt in seinem neuen Roman tiefgründig und humorvoll von seinem Leben mit Zwangsneurosen. Sibylle Berg nimmt uns mit auf eine tiefdüstere Reise in eine dystopische Zukunft. Emma Braslavsky schreibt hingegen über die Abschaffung der Einsamkeit. Und Heinz Strunk veröffentlicht sein Tagebuch. Ihr braucht noch Lesestoff für die trübe Jahreszeit? Hier kommen unsere 11 Leseempfehlungen für den Herbst.

Peter Wittkamp: Für mich soll es Neurosen regnen

Peter Wittkamp ist nicht komisch. Humorvoll, nicht frei von Ironie und Süffisanz und einer der spannendsten Gag-Schreiber*innen der heutigen Zeit. Er schreibt Bücher und Gags – u.a. für Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann –, ist seit Jahren der Hauptautor der "heute show online", schreibt gelegentlich eine Kolumne bei Business Punk und zählte zuletzt die geniale #weilwirdichlieben-Kampagne zu seinen Erfolgen. Peter Wittkamp ist von Beruf aus lustig; was viele allerdings nicht wissen: Er leidet seit 20 Jahren unter Zwangsstörungen. Dass "Ich schaue noch mal, ob ich die Herdplatte vergessen habe" nicht gemeint ist, erklärt sich von selbst. In seinem neuen Buch – der Titel lässt es schon vermuten – spricht er über eben jene Neurosen, liefert neben wissenschaftlichen Fakten, aber auch die Wittkamp typische Portion (Selbst-)Ironie und Witz mit, ohne dieses ernstzunehmende Thema ins Lächerliche zu ziehen.

© btb Verlag | © Kiwi Verlag

Sibylle Berg: GRM – Brainfuck

Don, Karen, Hannah und Peter sind Kinder der britischen Unterschicht: Sie sind verarmt. Kulturell verkommen. Perspektivlos. Sie erleiden Schicksalsschläge, verlieren ihre Liebsten. Sie leben in einer Gesellschaft, in der junge Mädchen vergewaltigt werden und eine rechtspopulistische Regierung ihren Bürger*innen Überwachungschips einpflanzt, doch die vier wollen da nicht mehr mit machen. Sibylle Bergs neuester Roman ist alles andere als leichte Kost. Ab und zu muss man ihn sogar weg legen, um der Ernüchterung und Erschütterung kurz Raum zu geben, denn das, wovon Berg in ihrem Buch erzählt, ist alles andere als blühende Fantasie. Der Deutschlandfunk bezeichnet es als "Generalabrechnung mit der Gegenwart". Es könnte Realität werden – und gerade das ist es, was den Roman so faszinierend und beunruhigend macht.

Jamel Brinkley: Unverschämtes Glück

Was kann es heißen, ein Mann zu sein? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Kurzgeschichten des amerikanischen Autors Jamel Brinkley in seinem neuesten Buch "Unverschämtes Glück". Brinkley nimmt in der heutigen Zeit eine überraschende, fast schon unzeitgemäße Perspektive ein. Ein Buch mit vornehmlich männlichen Protagonisten, in dessen Gefühlswelt wir eintauchen und das in einer Zeit, in der vor allem die Wahrnehmung von Frauen gerade in den Fokus rückt. Dennoch sind Brinkleys Protagonisten, die wie der Autor selbst People of Color sind, fein skizziert: Während einige die Sympathie der Lesenden direkt auf sich ziehen, fällt es einem bei anderen Charakteren sichtlich schwer, dieses ungewollte Bündnis zwischen Leser*in und Protagonist zu verstehen. Wer hat schon Verständnis für einen Mann, der Frauen heimlich in der U-Bahn fotografiert? Das Buch regt einen zum Nachdenken an, was es eigentlich bedeutet in der heutigen Zeit als Mann durch die Welt zu gehen.

© Kein & Aber | © Rohwolt

Heinz Strunk: Nach Notat zu Bett: Heinz Strunks Intimschatulle

Heinz Strunk ist schräg. Ironisch. Und so wortgewandt, dass man insgeheim Angst hat, etwas gut zu finden, das er nicht mag, weil man genau weiß, dass es irgendwo zu diesem Thema sicher ein kleines Strunksches Gewitter zu lesen gibt. Das Opfer seines neuesten Buches sind Tagebücher. Er selbst hat drei Jahre lang ein herrlich ironisches Tagebuch in der Titanic geschrieben. Er setzt sich ironisch über die Diarien von namhaften Schriftsteller*innen hinweg und entwickelt daraus ein ganz eigenes Format, das von Quatsch, Trübsinn und Tiefsinn geprägt ist – ganz so, wie wir es von Strunk gewöhnt sind.

Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art

Spätestens seit ihrem Buch "Die Geschichte der Bienen" ist die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde in aller Munde. Am 21. Oktober erscheint ihr inzwischen dritter Roman "Die Letzten ihrer Art", der gemeinsam mit "Die Geschichte der Bienen" und "Die Geschichte des Wassers" die ersten drei Teile ihres Klima-Quartetts bildet. Dieses Mal erzählt sie die Geschichte von drei Epochen, drei Familien, einer vorm Aussterben bedrohten Pferderasse und der Frage, wie man das Artensterben aufhalten kann. Es geht um Freiheit und Verantwortung und darum, ob ein Menschenleben überhaupt reicht, um die Welt zu verändern.

© btb Verlag | © Kein & Aber

Elif Shafak: Unerhörte Stimmen

Elif Shafak zählt zu den meistgelesenen Autor*innen der Türkei. In ihrem neuesten Roman "Unerhörte Stimmen" lässt sie ihre Protagonistin Leila sich erinnern. Genau zehn Minuten und 30 Sekunden, ebenso lang, wie das Gehirn nach dem Tod noch Delta-Wellen versendet. Jeder Minute ist dabei ein Kapitel gewidmet. Zeit, in der sich Leila an Gerüche ihrer Kindheit erinnert, an ihr Leben, an ihre fünf Freund*innen. Das sind Nostalgie Nalan, Sabotage Sinan, Hollywood Humeyra, Jamila und Zaynab122 und sie alle haben ihr Päckchen zu tragen. Elif Shafak gibt in ihrem Roman denjenigen eine Stimme, die sonst zu oft ungehört bleiben.

Johann König: Blinder Galerist

Der in Berlin lebende Galerist Johann König hatte große Fußstapfen, in die es zu treten gilt. Sehr große sogar. Der Vater Kasper König ist einer der berühmtesten Kuratoren überhaupt – er war schon Kurator als es den Begriff noch nicht mal wirklich gab, der Onkel ist der Gründer der Buchhandlung, die allen Kunstinteressierten Tränen in die Augen treibt: die Buchhandlung Walther König. Sein Bruder Leo Koenig arbeitet zudem erfolgreich als Galerist in New York. Und er selbst? Ist aufgrund eines Unfalls seit seinem zwölften Lebensjahr fast blind. In seiner Autobiografie erzählt der nicht einmal Vierzigjährige nicht von seinen großen Entdeckungen (und die sind immerhin die Top-Künstler*innen Deutschlands), sondern sehr persönlich und ergreifend, wie es ist, als Sehender zu erblinden, plötzlich wieder einen Teil der Welt sehen zu können, wie man Kunst erfahren kann und wie hart der Weg ist, sich international als Galerist zu behaupten – Katastrophen und Fehlentscheidungen inklusive und damit sehr berührend.

© Ullstein | © Luchterhanf

Sally Rooney: Gespräche mit Freunden

Sally Rooney ist gerade einmal 28 Jahre alt, hat bereits zwei Bücher veröffentlicht und wird in der britischen Presse als die größte Schriftstellerin der Millennial-Generation gehandelt. Und ein bisschen hat die Presse damit auch Recht, denn thematisch könnte es kaum mehr Millennial sein. In ihrem Roman "Gespräche mit Freunden", der 2019 auf Deutsch und bereits 2017 als englisches Original erschienen ist, geht es um Liebe, Romanzen, Affären und alles, was sich irgendwie dazwischen befindet. Die beiden Studentinnen Frances und Bobbi lernen das ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Sie treffen sich zum Dinner, auf Partys, unterhalten sich über Liebe und Freundschaft, die Gesellschaft und Politik, über Kunst und natürlich über Gender. Mehr und mehr fühlen sich die Studentinnen zu dem Ehepaar hingezogen. Daraus entwickelt sich ein spannender (Beziehungs-)Roman, der so treffend geschrieben ist, dass er einfach nur gefällt.

Matthias Brandt: Blackbirds

"Schuster, bleib' bei deinen Leisten" möchte man fast entgegnen, wenn man liest, dass schon wieder ein Schauspieler ein Buch veröffentlicht. Dieses Mal ist es aber nicht irgendein Schauspieler, sondern Matthias Brandt, der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. Und der erzählt in seinem ersten Roman von (s)einer Jugend in den 70er Jahren. Als Morten Schumacher, genannt Motte, den Anruf erhält, dass sein bester Freund schwer krank ist, stellt das das Leben der gerade mal Fünfzehnjährigen ziemlich auf den Kopf. Doch das ist nicht das einzige, was das Leben eines Teenies bewegt. Es geht um erste Male, um das Freibad als Hotspot, um die erste Liebe, um schwere Herausforderungen und Menschen, die einem helfen, diese zu überstehen. "Blackbirds" ist ein hinreißender Roman mit Charakteren, die man so schnell nicht vergisst.

© KiWi | © Suhrkamp

Emma Braslavsky: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten

Berlin, ein Robotermärchen. Oder ein Albtraum? In Emma Braslavskys Roman "Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten" entwickelt sich in der nahen Zukunft in der Hauptstadt die Hubot-Industrie, die künstlich Partner*innen herstellen und vertreiben. Sie sind von echten Menschen nicht zu unterscheiden. Alle Wünsche können erfüllt werden. Niemand muss mehr allein sein. Doch die Sache hat einen Haken: Sie können zwar Liebe simulieren, Verantwortung für jemanden übernehmen, schaffen die Hubots allerdings nicht. Braslavskys Roman erzählt von der Abschaffung der Einsamkeit, sozialer Entfremdung und das so mitreißend, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Saša Stanišić: Herkunft

© Luchterhand

Saša Stanišićs Roman "Herkunft" wurde gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und gilt damit als das beste Buch des Jahres. In seinem Roman erzählt Stanišićs von seiner Großmutter, die langsam das Gedächtnis verliert, von der Flucht während des Bosnien-Kriegs und von Herkunft. Er fragt sich, was Herkunft bedeutet und welche Rolle sie spielt. Es ist ein autobiografisches Werk, in dem er erzählt, wie er mit seiner Familie in Heidelberg Fuß gefasst hat, wie er seine Liebe zur Deutschen Literatur entwickelte und wie es ihm gelang, mit den Demütigungen, die dem geflüchteten jugoslawischen Jungen entgegengebracht wurden, umzugehen. Stanišićs beweist dabei einmal mehr, dass er weiß, wie er mit Worten umgehen muss, wie er die Leser*innen mit Humor und Rührung um den Finger wickelt.

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