Wie steht es abseits von CSD und Regenbogenpartys um die Toleranz in Berlin?

© Daliah Hoffmann-Konieczka

Während der Pride Week feiert sich das bunte, offene und tolerante Berlin. Regenbogenflaggen flattern im Sommerwind und wenn der CSD in einer riesigen Wolke aus Konfetti und Glitzerstaub den Kudamm hinunterrollt, sind auch in diesem Jahr wieder jede Menge großer Unternehmen und selbst die evangelische Kirche mit eigenen Wagen vertreten. Die Teilnahme am CSD ist gut für das eigene Image, der Kampf für die Rechte von schwulen, lesbischen, intersexuellen und trans*Personen scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber wie steht es abseits der Paraden und Regenbogenpartys um die Toleranz in der Stadt?

Wie steht es abseits von CSD und Regenbogenpartys um die Toleranz in der Stadt?

Berlin ist seit Jahrzehnten ein Sehnsuchtsort für alle, die in ihrer sexuellen Identität von der heterosexuellen Norm abweichen. Für alle, die irgendwie anders sind. Die Stadt hat eine große LSBTI*-Subkultur, doch das bedeutet noch lange nicht, dass man überall auf Offenheit trifft. Die Geschlechterforscherin Patsy l'Amour laLove beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit Homosexualität und Konzepten von Männlichkeit. In ihrer Rolle als Aktivistin bezeichnet sie sich selbst als Polittunte und veranstaltet monatlich Diskussionsrunden in der Kunstkneipe Ludwig in Neukölln. Zu ihren Auftritten fährt sie generell mit dem Taxi statt mit der U-Bahn. Und das nicht, weil es glamouröser ist.

„Sobald man als Homosexueller wahrgenommen wird, wird es gefährlich. Dabei kommt es natürlich auch darauf an, in welchem Stadtteil man sich bewegt. In Mitte und Schöneberg ist es anders als in Marzahn oder in Teilen von Neukölln. Es gibt Leute, die laufen überall als Tunte herum, denen ist das egal. Aber ich vermeide das, weil ich dann doch meine eigene Sicherheit vor den Aktivismus stelle“, sagt laLove.

Sobald man als Homosexueller wahrgenommen wird, wird es gefährlich.
Patsy l'Amour laLove

Die Politik hat im Hinblick auf die Gleichberechtigung große Fortschritte gemacht. Doch lässt sich daraus nicht schließen, dass sie auch in den Köpfen der Menschen angekommen ist. Ein schwules Ehepaar ist vor dem Gesetz nicht anders als ein heterosexuelles, doch wenn sich zwei Männer in der Öffentlichkeit küssen, wird das von vielen Leuten noch immer nicht akzeptiert. Die Freiheit existiert auf dem Papier, aber wer sie ausleben will, braucht oft Mut.

Patsy l'Amour laLove © Dragan Simicevic Visual Arts

„In der Gesellschaft gibt es eine Gleichzeitigkeit von einer gewissen Toleranz und einer großen Feindseligkeit“, sagt Patsy l'Amour laLove. Der rechtliche Fortschritt treffe dabei auf eine Sehnsucht nach traditionellen Strukturen und klar definierten Geschlechtern. Die Feindseligkeit gegenüber Homo- und Bisexuellen oder trans*Personen ende im schlimmsten Fall in Gewalt bis hin zu versuchter Tötung. „Dahinter steckt der Wunsch, dass die Person, so wie sie ist, nicht mehr existiert. Das klingt brutal. Ist es auch.“

Die Freiheit existiert auf dem Papier, aber wer sie ausleben will, braucht oft Mut.

Im Mai wurde eine Trans*Frau an einer Neuköllner Bushaltestelle attackiert. Der Angreifer schlug sie dabei ins Gesicht und trat ihr zum Schluss gegen den Kehlkopf. Von der Brutalität erschüttert, organisierten Aktivist*innen am nächsten Tag eine Demo auf der Sonnenallee und verlasen dabei alle im Jahr 2018 bisher registrierten Vorfälle verbaler und körperlicher Gewalt gegen LSBTI*.

Eine von ihnen war Annet Audehm, die sich seit Jahren in und außerhalb der queeren Community politisch engagiert. „Ich war schockiert, wie viele Vorfälle es waren, egal in welchem Bezirk. Die Demo richtete sich nicht speziell gegen Neukölln. Es hätte auch im Wedding oder in Tempelhof sein können. Das ist dann nicht wie beim CSD am Kudamm, wo alle feiern. Ich will dahingehen, wo es weh tut.“ Noch während der Demo wurden die Teilnehmer*innen mehrfach homophob beschimpft. Für Annet war es keine neue Erfahrung, Beleidigungen von LSBTI* gehören in Berlin zum Alltag, trotzdem will und wird sie sich nie daran gewöhnen. „Das ist keine Normalität, dass ist jedes Mal so, als ob mir jemand ins Herz sticht. Ich bin oft beleidigt worden, und das hat Narben hinterlassen.“

Beleidigungen von LSBTI* gehören in Berlin zum Alltag

Wie viele andere ist Annet nie zur Polizei gegangen, weil sie keine Anzeige gegen Unbekannt stellen wollte. Die Dunkelziffer, gerade bei verbalen Angriffen, schätzt sie deshalb sehr hoch ein. Um der Gewalt und der Diskriminierung von LSBTI* entgegenzutreten, wünscht sie sich seitens der Politik mehr Unterstützung. Vor allem an Schulen müsste es mehr Aufklärung und Projekte gegen Diskriminierung geben, dazu mehr psychologische Unterstützung für Opfer von Homo- und Transphobie. Allgemein wünscht sie sich von den Menschen mehr Interesse und Engagement und vor allem die Bereitschaft, auch mal über den eigenen Tellerrand zu schauen. Das gilt auch für die queere Community selbst, die ihre ganz eigenen Probleme mit Intoleranz und Vorurteilen hat.

Die queere Community ist nicht toleranter als der Rest der Gesellschaft

„Die Toleranz ist genauso gut oder schlecht ausgeprägt wie im Rest der Gesellschaft“, sagt Patsy l'Amour laLove. „Das heißt im Klartext ziemlich schlecht.“ Sie beobachtet in der Community eine Tendenz, bestehende Konflikte aus Angst vor Shitstorms nicht direkt anzusprechen. Zum Beispiel bei Themen wie Rassismus oder Religion in Verbindung mit Homo- und Transfeindlichkeit. Und dann ist da noch ein altes Thema, das immer wiederkehrt. „Lesben gegen Schwule, das ist so eine Art Dauerbrenner. Ich frage mich, warum das schon wieder so präsent ist: Diese Diskussion, als wären Lesben und Schwule von anderen Planeten, nur weil das eine Frauen und das andere Männer sind. Die Leute feiern, diskutieren und arbeiten auch zusammen – aber in den Konflikten wird dann so getan, als könnte man nicht miteinander sprechen, und das finde ich bei Lesben und Schwulen absurd.“

Lesben gegen Schwule, das ist so eine Art Dauerbrenner. Diese Diskussion, als wären Lesben und Schwule von anderen Planeten, nur weil das eine Frauen und das andere Männer sind.
Patsy l'Amour laLove

Aktuell geht es konkret um ein Grundstück, um dass sich die Berliner Schwulenberatung und die lesbische Initiative Rat und Tat (RuT) streiten. RuT will dort ein Wohnprojekt für lesbische Frauen mit besonderem Betreuungsbedarf realisieren, die Schwulenberatung einen weiteren „Lebensort Vielfalt“ eröffnen. Der Konflikt scheint bestehende Klischees über die angebliche Feindschaft zwischen Lesben und Schwulen, Männern und Frauen, zu bestätigen und sorgte in den Berliner Medien schon für eine Menge Schlagzeilen und Schwarz-Weiß-Malerei, die die beteiligten Streitparteien zum Teil selbst zu verantworten hatten. Auch Patsy l'Amour laLove hat diesen Konflikt verfolgt und hält es in diesem Fall für wichtig, die Argumente zu prüfen, anstatt sinnlose Grabenkämpfe auszutragen. „Es passiert, dass Lesben Schwulen ganz allgemein Vorwürfe machen und andersrum. Als würden sich die Lesben immer ins gemachte Nest setzen und als wären die Schwulen immer privilegiert und reich und würden sich nicht für die Lesben interessieren. Aber so kommt man nicht weiter. Das bringt niemandem was.“

Annet Audehm setzt sich schon lange aktiv für das lesbische Wohnprojekt ein. Sie war auch dabei, als eine Gruppe von Aktivistinnen mit Umzugskartons symbolisch das Haus der Schwulenberatung besetzte. Gleichzeitig hält auch sie nichts davon, sich gegenseitig zu bekämpfen. „Es ist wichtig, dass man sich in der Community miteinander vernetzt, miteinander redet statt übereinander, und dass man nicht irgendwann selbst eine Schiene fährt, wo es engstirnig wird.“

So ist auch der Dyke* March, der traditionell einen Tag vor dem CSD durch Kreuzberg zieht, nicht als Kampfansage an den „schwulen“ CSD gedacht. Vielmehr geht es darum, sich als lesbische Frau zu zeigen und auch gesehen zu werden. „Beim CSD sind unsere schwulen Freunde nun mal ganz klar dominierend, als Frau geht man da unter“, sagt Annet. „Dass heißt nicht, dass Schwule und Heteros nicht mitlaufen dürfen. Alle sind willkommen – das bedeutet für mich Solidarität innerhalb der Community. Wenn das irgendwann nicht mehr so sein sollte, würde ich nicht mehr mitlaufen.“

Alle sind willkommen – das bedeutet für mich Solidarität innerhalb der Community.
Annet Audehm
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