So sexy wie eine Grillmeile: Warum mich der Karneval der Kulturen gleichzeitig abstößt und anzieht

© Kerstin Musl

Als "arm, aber sexy" beschrieb der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinerzeit Berlin. Dass die Stadt in vielen Bereichen arm bis sehr erbärmlich war, dürfte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten selbst dem letzten Provinzler dank des Solidaritätsbeitrages (oder des BER-Debakels, wer weiß das schon) klar geworden sein. Doch was genau empfand Wowereit damals schon als "sexy"?

Die Multikulturalität der Hauptstadt, die beim Karneval der Kulturen gefeiert wird und den der Ex-Bürgermeister häufig an vorderster Front beehrte, stand bei den Sexy-Berlin-Attributen sicher ganz weit oben auf Wowis Liste. So wirklich arm ist Berlin schon lange nicht mehr, das hat auch Wowereit in seinem neuen Buch "Sexy aber nicht mehr so arm: mein Berlin", das kürzlich erschienen ist, erkannt. Sexy sei die Stadt jedoch weiterhin, konstatiert er ganz deutlich. Schließlich gibt's den Karneval auch noch heute, in der Post-Wowereit-Ära. Doch wie sexy ist der Karneval tatsächlich?

Plastikberge statt Federboas

So richtig angefixt hat mich der Karneval der Kulturen nie. Weder das Straßenfest rund um den Blücherplatz, noch der große Straßenumzug haben mich bei meinen zahlreichen Besuchen in den vergangenen Jahren auch nur ansatzweise überzeugen können.

Über dem Straßenfest könnte meiner Meinung nach jedes x-beliebige Banner stehen: "Grillmeile" oder "Maifest", beliebige Namen, wie sie die Bumsveranstaltungen auf dem Alexanderplatz bekommen, nur um einmal mehr die billigen Bretterbuden, die überteuerten Ramsch verkaufen, zu legitimieren. Und irgendwie wirkte in den vergangenen Jahren auch die Festmeile rund um den Blücherplatz auf mich wie ein Sammelsurium aus billigem Nippes und halbwegs ordentlichem Fastfood, zwischen deren improvisierte Stände ein paar Bühnen geklemmt wurden, um den Anschein eines kulturellen Volksfestes zu wahren. Meist setzte man sich nach ein oder zwei Runden auf die Wiese, trank mitgebrachtes Bier und zog dann wieder ab, ohne abends daheim auch nur ansatzweise zu wissen, was man eigentlich den ganzen Tag getrieben hat.

© Kerstin Musl

Von einem ganz anderen Kaliber ist natürlich der große Umzug. Keine Frage, es hat was, den hunderten Tänzern zuzusehen, die sich alle Jahre wieder große Mühe machen, Wagen zu gestalten, Choreographien einzustudieren und trotz sengender Sonne oder niederprasselndem Regens mit stoisch-guter Laune und breitem Grinsen im Gesicht einmal quer durch Kreuzberg und Neukölln zu ziehen.

Nicht nur einmal hat sich bei mir jedoch die Frage aufgedrängt, warum die Jeckerei beim Karneval der Kulturen geradezu hysterisch gefeiert wird, während die deutschen Karnevalsnarren andererseits verächtlich betrachtet werden, wenn sie ihren Faschingsumzug feiern wollen. Und auch ein Blick an den Straßenrand, an dem sich alle Jahre wieder Plastikberge statt Federboas türmen, Alkoholleichen neben zerbrochenem Glas liegen, Caipirinha- und Mojito-Reste-Kotzflecken schmücken,  zeugt nicht gerade von schönem, geschweige denn sexy Ambiente.

Der Karneval ist ein Berliner Original

Trotz alledem ist es schon bewundernswert, was die Karnevalisten da jedes Jahr aufs Neue und trotz steigender Sicherheitsbedenken und chronischer Unterfinanzierung auf die Beine stellen. Wenn man in die Gesichter der Menschen schaut, hat man das Gefühl, dass hier aus welchem unerfindlichen Grund auch immer Menschen verschiedenster Kulturen essen, sich entspannen, Bier und billige Cocktails trinken, in einem Wort: feiern.

Hat es der Karneval der Kulturen verdient, dass ich ihn mit Desinteresse strafe, weil er mich nie angefixt hat? Vermutlich nicht. Irgendwie ist er trotz all der Merkwürdigkeiten ein Berliner Original, auf das man all die Jahre wieder geht, der einen zugleich abschreckt und anzieht, der seine schönen und unschönen Seiten hat, und irgendwie eben auch ein bisschen "sexy" ist.

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