Trinkspiele sind etwas für Menschen, die sich nichts zu sagen haben

© Marsilio Medici | gemeinfrei

Und dann war es soweit. Es wurde gegrillt, das volle Programm. So wie man sich das vorstellt, bei den All-Inclusive-Enthusiasten, den Wandtätowierern: JA!-Nackensteaks, ja, die fertig marinierten, eine Wassermelone gefüllt mit Schnaps aus den unteren Regionen des Discounterregals, Kräuterbaguette – unten schwarz, oben hellblond – und ein Eimer Mayo-Kartoffelsalat. Flankierend eine Tüte Chips, klar, Chips gehen immer. So grillen die also, wenn die Mikrowelle mal aus bleibt.

Das alles wurde mir mit einem warmen Pils in der Hand in diesem Park in Mitte stehend bewusst. Die ehemalige Grünfläche war wie alle anderen in der Stadt seit Monaten ausgetrocknet. Gelbes, totes Gras, ein paar Büsche, links eine Baustelle, sonst Staub. Curry-Gewürz-Ketchup schwappte mir über den Papptellerrand und die Wespen feierten eine Orgie in der Lache. Als der Melonen-Wodka schon die Gehirne der Anwesenden zuzukleben begann, ging es zum Höhepunkt der Veranstaltung über.

Ich hatte es irgendwie immer geschafft, war ohne Bierball durch Jugend, Studium und Quarterlife Crisis gekommen. Jetzt sollte es also auf dieser verdorrten Wiese zum Showdown kommen.

Flunkyball. Und direkt setzte mein Fluchtreflex ein. Ich suchte nach Vorwänden, trank mein Bier schneller als nötig, klimperte mit dem Fahrradschlüssel. Es nützte alles nichts. Ich hatte es irgendwie immer geschafft, war ohne Bierball durch Jugend, Studium und Quarterlife Crisis gekommen. Jetzt sollte es also auf dieser verdorrten Wiese zwischen all den alternden Büroneubauten zum Showdown kommen. Das Setting stimmte schon mal.

Es ging also los, jeder nahm seine Position ein, Fuß bei Flasche, zu allem bereit. Jemand erklärte die Spielregeln – ich war nicht der einzige Laie. Und sofort litt meine Konzentration, wie immer, wenn ein Spiel erklärt wurde. Dann, wenn ich sie am meisten gebraucht hätte. Ich kann Leuten, die Regeln erklären, einfach nicht zuhören. Es interessiert mich nicht im geringsten. Blöderweise trübt dieser Umstand das ohnehin schon fragwürdige Spielvergnügen zusätzlich, weil ich nichts verstehe, von einer Unaufmerksamkeit zur nächsten tappe und froh bin, wenn per Zufall eine Karte mal im richtigen Moment am richtigen Ort liegt.

Und schon flog der Ball und ich wusste nicht, musste ich rennen oder trinken. Und was davon war jetzt eigentlich gut oder schlecht? Das pisswarme Bier zu exen oder der Sprint in der Hitze? So ging es mir bei Trinkspielen generell schon immer. War es jetzt gut, wenn man den Fusel – weil teuer war das Zeug nie – trinken musste oder nicht? Wollte ich mich bis zur Unterwäsche ausziehen oder nicht? Ich habe noch nie sonderlich gerne billigen Alkohol in mich geschüttet, mag kein Kopfweh und spiele Spiele auch mit Limo nicht gerne. Ich sehe da nichts Vergnügliches.

Leute, die mit einem Satz Karten 74 verschiedene Saufspiele aus dem Ärmel schütteln, die sich einen professionellen Beer-Pong-Tisch anschaffen, machen mir Angst.

Gesellschafts-, Brett- und Trinkspiele sind eine Beschäftigung für Menschen, die sich nichts zu sagen haben. Das ist an sich nicht weiter schlimm. Es gibt einfach nicht immer was zu erzählen, das ist vollkommen normal. Das Studium ist schnell besprochen, wie es im Job läuft auch, und ach, du kommst vom Bodensee? Man kann aber ja bitte den Fernseher anmachen oder meinetwegen Netflix, da ist man wenigstens gemeinsam passiv und setzt sich nicht diesen von Paprikapulver und Fett verklebten Spielkarten und Mündern aus, die sich über den Verlust von Drachenhäuten oder Hypotheken in die Haare kriegen, dass die Krümel nur so fliegen.

Oder nachts auf irgendeiner Hausparty den rotwangigen Gesichtern zusehen, die aus jeder Pore diesen dummen süßlichen Fuselgeruch ausdünsten, die überdreht den armen Looping Louie immer so hoch in die Luft katapultieren, dass ihm sicher ganz schlecht wird in seiner Propellermaschine. Leute, die mit einem Satz Karten 74 verschiedene Saufspiele aus dem Ärmel schütteln, die sich einen professionellen Beer-Pong-Tisch anschaffen, machen mir Angst.

Ich habe übrigens selbst ein Trinkspiel erfunden, ich gewinne sogar meistens. Einer spielt für wenige Sekunden einen Hit an und der andere muss erraten, welcher Song es ist. Easy. Dann wird entsprechend gebechert. Man spielt es mit Crémant oder Maracujaschorle – sowieso die Königin der Getränke. Aber Achtung, Trinkspiel kann süchtig machen.

Gesellschafts-, Brett- und Trinkspiele sind eine Beschäftigung für Menschen, die sich nichts zu sagen haben.
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