Hässlich, schrill und versifft – Sonntag im Mauerpark ist die Hölle und trotzdem ein Muss

© Matze Hielscher

Es ist Frühling – unverkennbar. Die Menschen sind wieder in Scharen auf den Straßen, Plätzen und Terrassen. In der Sonne verbrennt ihre jungfräuliche Winterhaut, im Schatten verkühlen sie sich. In Prenzlauer Berg kennen sonntags alle nur ein Ziel: den Mauerpark.

An einem Sonntag stehe ich also dort in der Morgensonne auf dem Hügel vor der Graffitiwand. Es ist noch nicht viel los, die Massen sind noch im Bett, oder noch nicht, oder schon im Club. Das weiß man nie so genau. Nur die Händler rennen zielstrebig durch die Reihen des Flohmarkts, auf der Suche nach verborgenen Schätzen, Dingen, die die Jungberliner arg- und ahnungslos verschleudern, Dinge, für die die Massen, die gleich kommen, keine Augen haben. Dinge, die zu groß sind für das Handgepäck im Billigflieger zurück nach Valencia, Padua und Liverpool. Dinge, auf denen nicht I Heart Berlin steht, bei denen das I nicht der Fernsehturm ist.

Zur Zeit ist der Mauerpark besonders hässlich

Zurzeit ist der Mauerpark besonders hässlich. Es wird gegraben, irgendein Wasserrohr soll gebaut werden. Infantile Malereien zieren den Bauzaun und erläutern das Vorhaben, das niemanden interessiert. Auch ohne die Baustelle sieht der Park mehr nach Kriegsschauplatz aus als nach Erholung. Was an Grün wegen der kommunalen Geldnot nicht verdorrt ist, wurde platt getrampelt, versengt unter den Grillfeuern der Großfamilien, die jede Woche mit ihrem Mobiliar in den Park umziehen, um dort Tierhälften zu verspeisen. Dazwischen sitzen andere auf Decken, Jacken oder der blanken Erde und trinken ungenießbares Pils aus Leipzig, freuen sich, dass in Berlin alles so cheap ist und lachen, als das Falafel aus dem Fladen durch den Dreck kullert.

Auch ohne die Baustelle sieht der Park mehr nach Kriegsschauplatz aus als nach Erholung.

Oben auf dem Hang geht ein leichter Wind und ich schaue auf den sogenannten Park zu meinen Füßen und die Menschen, die ihn mehr und mehr bevölkern. Der Himmel ist voll von Staub und Rauch, es riecht nach verbranntem Fleisch und aus allen Richtungen weht Musik. Sie vermischt sich zu einem undefinierbaren Mischmasch aus Drum-Techno-Singer-Dudelsack-Song-Hip-Writer-Hop.

Rechts grölen sie im Amphitheater, während ein Lemming beim Karaoke, "I can be your hero baby" von Enrique Iglesias krächzt. Gegenüber werfen die Riesen mit nackten Oberkörpern Körbe und links am Eingang lässt sich der Entfesslungskünstler zum dritten mal heute an seine Zwangsjacke ketten. Direkt daneben bespuckt ein Roboter seine Zuschauer, die finden das lustig, kreischen und filmen brav.

© Matze Hielscher

Und überall liegen, fläzen, dösen oder lungern sie und hoffen, der Tag, der Frühling und dieses Leben möge niemals enden. Die einen verkaufen Bier, die anderen sammeln die leeren Flaschen wieder auf, einer verteilt selbst gebackenen Kuchen, wahrscheinlich vegan.

Es ist nicht cool, in den Mauerpark zu gehen und trotzdem landet man immer wieder dort und trifft manchmal sogar auf Gesichter, die man kennt. Dann fühlt man sich kurz ertappt. Irgendwie zieht er einen an, der Rummel, die vielen Menschen, die sich für den Ort und das, was ihn ausmacht, begeistern können.

Irgendwie ist dieser Ort, so hässlich, schrill und versifft er auch sein mag, schön und echt. Und irgendwie steht er damit für das, was viele in Berlin sehen, was viele an dieser Stadt mögen, die irgendwie auch hässlich, schrill und versifft ist. Auch wenn sie alles tut, um weniger arm und weniger sexy zu werden, mehr London, mehr Paris. Der Mauerpark ist die Überspitzung dessen, was die Menschen an Berlin schätzen, einer Stadt, die von Touristen geprägt ist und dem Bild, das diese und die voller Hoffnungen Zugezogenen von ihr haben. Beide sind sie die natürlichen Fressfeinde der Urberliner, einer vom Aussterben bedrohten Spezies.

Irgendwie ist dieser Ort, so hässlich, schrill und versifft er auch sein mag, schön und echt.

Am Abend wird es ruhig im Park, die Wochenendreisenden sind in ihren Airbnb-Wohnungen, die anderen schauen Tatort, der Rest tanzt irgendwo, einige wenige müssen am nächsten Morgen aufstehen, zur Arbeit fahren. Der Mauerpark ist jetzt verlassen, der Staub hat sich gelegt. Überall liegt Müll, am nächsten Morgen ist auch der weg.

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