"Slow TV" macht das öffentliche Fernsehen endgültig überflüssig

© Marit Blossey

Ich bekomme gerne Post, früher – als wenigstens noch ab und an Ansichtskarten verschickt wurden – noch lieber als heute, wo höchstens ein Versicherungsscheck (ja, die gibt es immer noch!) für innerliche Jubelrufe sorgt. Einen Brief, der alle drei Monate eintrudelt, hasse ich jedoch wie die Pest: "Hallöchen, wir sind's, die Jungs und Mädels vom Rundfunkbeitrag. Geld her, sonst setzt's die Pistole auf die Brust." Vorsorglich bekomme ich den Brief mittlerweile gleich mit selbsterdachtem Festsetzungsbescheid zugeschickt. Spitze, endlich muss ich nicht mehr drei, vier Mahnungen abwarten, ehe mir die Ausweglosigkeit aus dieser Situation aufgezeigt wird...

Wer mich kennt, weiß, dass ich nichts von den öffentlich-rechtlichen Programmen halte. Befürworter führen ja stets an, dass es wichtig sei, eine werbefreie, politisch unabhängige Plattform zu haben, die von regionalen Themen bis hin zur großen Politik alle Facetten des Lebens in Deutschland abdeckt. Allein, bis auf die Tagesschau, einige Hintergrundgeschichten und natürlich die grandiosen Dokumentationen auf Arte und Phönix, macht mich so gar nichts vom umfassenden Programm an, weder der Webauftritt, der immer stärker (aber nicht besser) wird, noch das Programm, das die Dritten ganz offensichtlich für die Altergruppe 70+ konzipieren und das in einem radikalen Kontrast zur jugendlichen Werbekampagne des Senders steht, die derzeit überall in der Stadt zu sehen ist.

Ist überhaupt jemand vom rbb jemals nach 18 Uhr in Berlin unterwegs?

Da ich nur sporadisch die dritten Programme aus Westdeutschland schaue, verzichte ich auf die Beurteilung derer Konzepte. Umso besser kenne ich mich dagegen mit dem rbb aus. Radio 1 mag eine spannende und unkonventionelle Musikauswahl haben und auch die Fritz-Hörer sind mit ihrem Jugendsender ganz zufrieden, die Fernsehsparte hingegen ist ehrlich gesagt eine Zumutung. Öde, einfallslos und allenfalls Senioren und neuerdings auch "Freaks" vorbehalten. Anders lässt sich nicht erklären, warum nun ausgerechnet vom rbb das in anderen europäischen Ländern vermeintlich erfolgreiche Konzept des "Slow TV" übernommen wurde.

Beim "Slow TV" geht es nicht um nichts, aber immerhin um so wenig, dass Entschleunigung und Entspannung garantiert (!) sind. Projektleiter Hermann Meyerhoff hat eine solche "verrückte Idee" für den rbb umgesetzt. Am vergangenen Samstagmorgen konnte das rbb-Publikum zum ersten Mal Zeuge werden, wie eine komplette ICE-Fahrt von München nach Berlin gezeigt wurde. Dabei hatte der geneigte Zuschauer die Qual der Wahl, die vorbeiziehende Landschaft entweder vom Fahrerstand (rbb Berlin) oder vom letzten Waggon (rbb Brandenburg) aus zu beobachten. Ich wiederhole: Gezeigt wurde die GESAMTE Fahrt, alle vier Stunden, Samstagmorgen von 5.55 Uhr bis 9.50 Uhr. Leider ohne Verspätung, sonst wäre noch der Vormittag mit drauf gegangen. Naja, vielleicht beim nächsten Mal...

Das Format ist einfach nur Trash, der nichts im Programm eines öffentlichen Senders zu suchen hat

Neu daran ist zunächst einmal gar nichts. Wer schonmal etwas von "Youtube" gehört hat, kann aus Millionen Entschleunigungsfilme auswählen, die tatsächlich eine Zuschauerschaft haben. Zudem gehören Zug-Dokumentationen ja ohnehin zu den Klassikern des öffentlich- rechtlichen Rundfunks. Bei diesen allerdings werden Menschen porträtiert, Landschaften gezeigt und am Wegesgrand spannende Ortschaften vorgestellt. Das alles fehlt dem "Slow TV" und macht das Format somit genauso spannend wie einen Tag auf dem Meer mit dem Blick auf nichts als das ewige Blau, nur dass man eben nicht auf einem Schiff sitzt und eine Meeresbrise ins Gesicht bekommt, sondern sprichwörtlich in die Röhre schaut.

Wie das allerdings mit dem Auftrag des rbb, möglichst breite Schichten der Berliner Bevölkerung anzusprechen, zusammenpasst, ist mir schleierhaft. Ich zumindest kenne niemanden, der es am Samstagmorgen kaum erwarten kann, aus dem Bett zu kriechen und beim Essen seiner Frühstücksflocken die letzten 100 Kilometer auf den Weg in die bayerische Landeshauptstadt zu verfolgen, anstatt sich eine neue Folge einer x-beliebigen Netflix-Serie zu schauen. Es hätte so viele schöne Alternativen gegeben. Man stellt sich intuitiv die Frage, ob beim rbb überhaupt jemand jemals nach 18 Uhr in Berlin unterwegs?

Sicher hat das Format einigen Menschen mit Schlafstörungen geholfen, zurück ins Land der Träume zu finden.

Zugegeben, die Zugfahrt wurde nicht gerade zur Primetime ausgestrahlt, sondern zu einer Uhrzeit, zu der nur wenige Menschen Fernsehen schauen. Und sicher hat das Format auch einigen Menschen mit Schlafstörungen geholfen, zurück ins Land der Träume zu finden. Zudem wurde nicht gerade viel Geld für die Produktion aufgewandt, gerade einmal zwei Halterungen, zwei iPhones und zwei Speicherkarten waren nötig, um das vierstündige Format umzusetzen. Im Prinzip haben hierfür die Jahreszahlungen meines Mietshauses gereicht, würde man die Gebühren aller Mietsparteien zusammennehmen.

Doch auch wenn man diese positiven Punkte berücksichtigt, bleibt es dabei: Das Format ist einfach nur Trash, der nichts im Programm eines öffentlichen Senders zu suchen hat. "Slow TV" macht das öffentliche Fernsehen endgültig überflüssig.

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