Leben 2.0 – Das Leben nach dem Burnout mit 25

© Candy Szen­gel

von Maria Anna Schwarzenberg

Burn Out

Also ich mache noch das Stu­dium und den neuen Job, den muss ich bekom­men, wirk­lich. Das ist, als würde alles genau darauf hin­aus­lau­fen. Ich werde das auch schaf­fen, auf jeden Fall. Dann habe ich ein­fach weni­ger Frei­zeit, aber ich weiß ja, wofür ich das mache. Das zahlt sich alles irgend­wann aus. Ich ziehe das ein­fach durch und dann, ja dann ist mein Leben so, wie ich es möchte.“

Denn: Ich muss doch noch so viel erle­di­gen.
Ich schlief zwi­schen vier und sechs Stun­den pro Nacht, war mor­gens völlig über­mü­det und ver­schlief häufig. In kür­zes­ter Zeit habe ich mich im Bad fertig gemacht, bin zur Bahn gesprin­tet und schon mit schlech­ter Laune bei der Arbeit ange­kom­men. Ich war wütend. Weil ich ver­schla­fen hatte, weil ich laufen musste und ver­schwitzt war, weil die blöde Bahn zu früh oder zu spät abge­fah­ren ist. Ich musste, weil ich spät ange­fan­gen habe, länger blei­ben. Und ich hasste meinen Job, in dem ich das tun musste.

Danach bin ich müde nach Hause gefah­ren, war lust­los und lag auf dem Sofa vor dem Fern­se­her. Irgend­wann habe ich mich wieder auf­ge­rafft, es war doch noch so viel zu tun. Ich war unter Dau­er­strom, im Kopf immer bei dem nächs­ten To-Do-Listen-Punkt, immer ent­täuscht, weil ich nie alles schaffte. Also ging ich später schla­fen als gewollt, um auch noch dieses oder jenes erle­di­gen zu können. Am Wochen­ende schlief ich viel und arbei­tete weiter, ging nachts lang und hart feiern, traf mich mit Freun­den, obwohl ich ein­fach nur zur Ruhe kommen wollte, die ich aber ein­fach nicht mehr fand. Denn: Ich muss doch noch so viel erle­di­gen.

Ja, aber viel­leicht geht es ja morgen früh wieder.“
An einem Sonn­tag­mor­gen nach einer langen Par­ty­nacht konnte ich ein­fach nicht mehr schla­fen. Ich war in einem Dau­er­strom von Gedan­ken und wollte, aber konnte ein­fach nicht mehr ein­schla­fen. Ich fand das Leben in diesen Stun­den so anstren­gend, so zer­mür­bend, ermü­dend, furcht­bar, schlecht, aus­sichts­los, dass ich nie wieder auf­ste­hen, dass ich nie wieder wei­ter­le­ben und lachen und atmen und wei­ter­ma­chen wollte. Mit einer Stunde Schlaf schleppte ich mich aufs Sofa und brach wei­nend zusam­men.

Nach Stun­den voller Tränen, Reue und Ehr­lich­keit zu mir selbst – und gegen­über einem Freund, beschloss er, dass ich am Montag zum Arzt statt zur Arbeit gehen sollte. Ich konnte das längst nicht mehr für mich ent­schei­den, hatte jede Steue­rungs­fä­hig­keit über mich ver­lo­ren. ​Ja, aber viel­leicht geht es ja morgen früh wieder.“ Er blieb bei seinem Nein und zwang mich, noch am Nach­mit­tag meinen Chefs Bescheid zu geben, damit ich auf­höre, dar­über nach­zu­den­ken, ob ich gehe. Ich schlief, wenn auch schlecht, an diesem Sonn­tag und ging mor­gens zum Arzt.

Ich war ver­zwei­felt und getrie­ben.
Ach Frau S., lang nicht gese­hen. Wie geht es Ihnen denn?“ Auf diese ein­fa­che Frage folgte ein Trä­nen­meer. Er schrieb mich für diese Woche krank und bat mich, in der Woche darauf wieder zu ihm zu kommen. Ich fuhr nach Haus zu meiner Fami­lie. In dieser Woche aß ich zum ersten Mal seit Mona­ten drei Mahl­zei­ten pro Tag, ich schlief 15 Stun­den am Stück und brach stän­dig wei­nend zusam­men. Ich hatte Panik­at­ta­cken, weil mein Körper ein­fach nicht mehr mir gehörte, weil er ein­fach nicht mehr funk­tio­nierte. Ein Körper, der immer 150 Pro­zent Leis­tung gebracht hat und plötz­lich nach einem simp­len Essen ein­schläft, weil er so müde ist, der macht Angst. Rich­tig viel Angst.

Ich ging in der nächs­ten Woche wieder zum Arzt, der mich gleich um zwei wei­tere Wochen krank­schrieb, mich auf­rich­tig nach meinen Gedan­ken und meinem Alltag fragte und mir riet, mich in The­ra­pie zu bege­ben. Auch ich merkte, dass es so wie zuvor nicht weiter gehen konnte – weder psy­chisch noch phy­sisch, dass nichts mehr ist, wie es mal war. Und dass es auch mit Wil­lens­kraft allein, so wie sonst, nicht mehr zu errei­chen war. Nach einer halben Stunde Spa­zie­ren­ge­hen war mein Körper fertig und müde. Ich konnte mich auf nichts lang kon­zen­trie­ren. Es fiel mir schwer, regel­mä­ßig und aus­rei­chend zu essen und zu trin­ken.

Und ich hatte zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ein­fach Zeit für mich. Mein Kopf war also ein ein­zi­ges Gedan­ken­ka­rus­sell aus Vor­wür­fen, Plänen, Reue, Hätte, Wäre, Wenns, To-Do Listen, Wollen und Möch­ten, ganz viel Aber und ohne Ruhe. Dieses in sich kehren, auf den Bauch hören, ein­füh­len in das, was man mag und möchte, sich nach sich selbst ori­en­tie­ren – das ging ein­fach nicht mehr. Da war nichts mehr außer einem Strom von Gedan­ken, der uner­müd­lich durch meinen Kopf zog und mir, in den Stun­den, in denen ich nicht schlief, den letz­ten Nerv raubte. Ich hatte das Gefühl, irre zu werden, durch­zu­dre­hen, keinen Ausweg zu sehen, auf der Stelle zu treten und nicht und nie wieder wei­ter­zu­kom­men. Ich hatte wirk­lich Angst, dass es für immer so bleibt. Ich war ver­zwei­felt und getrie­ben.

A new white Paper

Also schrieb ich an einem Mitt­woch vier Emails an vier Psy­cho­the­ra­peu­ten, über die ich mich infor­miert hatte. Ich traute mich nicht anzu­ru­fen, denn ich hatte Angst. Angst wieder zu weinen, dass sie mich nicht ernst nehmen , Ter­mine erst in ferner Zukunft zur Ver­füg­bar­keit stehen würden und irgend­wie fehlte mir die Kraft, das alles abzu­fan­gen. Noch am selben Nach­mit­tag ant­wor­tete alle vier und luden mich am nächs­ten und über­nächs­ten Tag ein. Der erste Termin war an einem Don­ners­tag, 10:00 Uhr.

Herr B. begrüßte mich freund­lich, schüt­telte mir die Hand und bot mir einen Platz in seinem hellen, großen Zimmer an, das gar nicht nach The­ra­pie aussah. Kein Sofa, keine eso­te­ri­schen Spie­le­reien. Clean und gemüt­lich war das Zimmer mit Blick auf Ham­burg. ​Frau S., warum sind Sie denn hier? Erzäh­len Sie mir, wie es Ihnen geht.“ Stille und Schwei­gen.

Ja. Also ich weiß es nicht genau. Aber ich kann seit ein­ein­halb Wochen nicht arbei­ten, ich schlafe nur und ich kann nicht essen. Ich kann nicht mehr abschal­ten und …“ Ich weinte und weinte. Der Klas­si­ker unter den ersten The­ra­pie­sit­zun­gen.

Diese erste gemein­same Stunde diente dem Ken­nen­ler­nen und Her­aus­fin­den. Wir waren uns beide einig, dass wir gut zusam­men­ar­bei­ten könn­ten und so ver­ein­bar­ten wir wei­tere Ter­mine, reich­ten alle not­wen­di­gen Unter­la­gen bei der Kran­ken­kasse ein und beschei­nig­ten mir offi­zi­ell, dass ich eine The­ra­pie brauchte.

Werde ich denn Montag wieder arbei­ten können?“
Werde ich denn Montag wieder arbei­ten können?“ Ruhig blickte Herr B. mich an und sagt sanft, aber bestimmt: ​Nein, Frau S. Und auch den Montag darauf nicht. Ver­su­chen Sie, sich mit dem Gedan­ken anzu­freun­den, dass es jetzt dauern wird. Es wäre wirk­lich besser, wenn Sie sich jetzt Zeit für sich nehmen, nur für sich und Ihre Gesund­heit.“ ​Ja aber, meine Kol­le­gen und die Arbeit und …“ Ich konnte es nicht anneh­men, dass ich, zumin­dest für eine Zeit, aus der Welt aus­steige.

Ich wurde im zwei­wö­chi­gen Rhyth­mus krank geschrie­ben, meine Chefin gab mir Zeit, sagte, ich solle mich erst mal erho­len, mich nur um mich küm­mern und die Arbeit aus­blen­den. Die würde schon nicht weg­lau­fen, meine Gesund­heit würde vor­ge­hen. Ich war erleich­tert und kämpfte trotz­dem täg­lich mit einem schlech­ten Gewis­sen, dass ich nicht arbei­ten ging son­dern zu Haus blieb. Und nichts tat. Außer schla­fen und essen, viel zu viel nach­zu­den­ken und zur The­ra­pie gehen. Zwei mal die Woche.

Aha-Effekt

Meinen Sie denn, dass ich bald wieder arbei­ten gehen könnte?“, fragte ich Herrn B. drei Wochen später – so wie jede Woche. ​Frau S., stel­len Sie sich doch einmal vor, Sie gehen Montag arbei­ten. Machen Sie das mal, gehen Sie in Ihren Gedan­ken einmal den Tag durch wie er ablau­fen würde.“ Ich schwieg eine Weile und dachte nach.

Nach eini­gen Minu­ten ant­wor­tete ich: ​Ich wüsste nicht einmal, ob ich vor lauter Müdig­keit aus dem Bett kommen würde. Geschweige denn vor Nie­der­ge­schla­gen­heit und Trau­rig­keit. Nach spä­tes­tens drei Stun­den wäre ich so erschöpft, dass ich nach Hause gehen müsste. Ich wäre meinen Kol­le­gen wirk­lich so gar keine Hilfe.“ Er nickte. ​Rich­tig Frau S. Auch wenn Sie gern würden und Ihre Kol­le­gen gern hätten, dass Sie dort sind, Sie können ein­fach nicht. Es hilft Ihnen und den ande­ren nicht. Sie müssen erst einmal bei sich blei­ben und gesund werden, dann können Sie wieder für andere da sein und arbei­ten gehen.“

Ich beschloss, es ein­fach anzu­neh­men. Es ließ sich nicht ändern und ich hatte mit der The­ra­pie die Chance, ein­fach alles zu ändern und wieder in rich­tige Bahnen zu lenken. Also gab ich bei der Arbeit bekannt, erst im Januar wieder arbei­ten zu können und ver­suchte, die The­ra­pie ganz flei­ßig voran zu trei­ben. Viel­leicht braucht der Kopf manch­mal ein­fach diese Zeit, die viele Zeit, um alle Gedan­ken zu denken und zu Ende brin­gen zu können, neue Ver­knüp­fun­gen zu schlie­ßen und Ist und Soll so oft abzu­glei­chen bis es wieder passt.

In der The­ra­pie arbei­tete ich meine Ver­gan­gen­heit auf und pro­bierte neue Ver­hal­tens­mus­ter. Zum Bei­spiel nicht bis zur Erschöp­fung eine Sache zu tun, auch wenn die Erschöp­fung jetzt viel früher ein­setzte als in der Zeit vor dem Zusam­men­bruch, son­dern vor der Erschöp­fung eine Pause zu machen. Ein­fach einen Tee auf­zu­set­zen und ein Buch zu lesen und dann weiter zu machen. Ich musste das ​Alte“ erst begrei­fen ehe ich das ​Neue“ umset­zen konnte – und es war nicht leicht. Es ist nicht leicht, sich stän­dig mit allem aus­ein­an­der­zu­set­zen und zu hin­ter­fra­gen und hin und wieder den Kopf zum Schwei­gen zu brin­gen.

Aber irgend­wann, ganz plötz­lich, fing es an.
Aber irgend­wann, ganz plötz­lich, fing es an. Ich lag auf dem Sofa und las ein Buch, legte es weg und bemerkte nach einer Weile, dass Ruhe in mir herrschte. Dass die Anspan­nung gerade weg war. Ich suchte nach ihr und fragte mich, warum ich so aus­ge­gli­chen bin. Dann beschloss ich, genau diesen Zustand ein­fach hin­zu­neh­men ohne ihn zu hin­ter­fra­gen, ob das denn gerade okay sei und ob ich nicht etwas ver­ges­sen hätte, was wich­tig wäre. Ich hörte ein­fach auf, mich selbst stän­dig zu ver­ur­tei­len und wurde etwas gnä­di­ger mit mir.

Fünf­zehn Stun­den Schlaf und erst um 10:00 Uhr auf­ge­stan­den? Okay, brau­che ich schein­bar gerade. Ver­ges­sen, aus­rei­chend zu trin­ken? Pas­siert. Heute viel zu viel Serien gese­hen? Pas­siert auch. Mach es morgen eben besser. Aber genau das ist der Lern­pro­zess gewe­sen, der mir am Anfang gar nicht bewusst war. Und es dau­erte bis ich nicht mehr so hart zu mir war, mir das Leben erlaubte. Immer wieder fiel ich zurück, aber es ist viel wich­ti­ger zu erken­nen, dass ich gerade in alte Muster fiel und sie dann wieder durch­brach. Ich habe eine Woche lang zu wenig fri­sche Luft gehabt. Oh, okay. Dann gehe ich jetzt raus. Die Balance ist das Ziel, intui­tiv das für sich zu tun, was gesund und gut ist. Ich brauchte sehr viel Ruhe und Zeit und Hilfe, um das wieder zu lernen.

Heute

Ist es mein Leben, das mich glück­lich macht. Jeder hat seinen eige­nen Weg. In der Leis­tungs­ge­sell­schaft, in der wir nunmal leben, die unend­li­che Mög­lich­kei­ten bietet und jedem ein­prägt, er sei ein ver­damm­tes Ein­horn und könnte alles schaf­fen und sei sowieso ein indi­vi­du­el­les, krea­ti­ves Wun­der­kind, kann man schon mal sein Bauch­ge­fühl ver­lie­ren und vom Weg abkom­men. Wer ver­sucht, weni­ger nach links und rechts zu gucken, ist längst nicht kri­ti­kun­fä­hig, kon­zen­triert sich ein­fach nur auf sich. Eigent­lich wissen wir alle, was wir möch­ten und was nicht, wohin wir gehen wollen und was wir von unse­rem Umfeld erwar­ten.

Aber dann sind da so viele andere mit ihren ​Beyon­cés Tag hat auch nur 24-Stunden“-Tassen, mit den Mil­lio­nen Fol­lo­wern, mit den Welt­rei­sen, den Kin­dern, dem healthy Life­style, der sich ins Leben inte­grie­ren lässt, mit dem schnel­len Auf­stieg in der Agen­tur, mit dem sport­li­che­ren Body und dem trotz­dem exzes­si­ven Par­ty­le­ben. Statt ihnen zuzu­se­hen und trau­rig zu werden, besinne ich mich auf mich, über­lege, was ich wirk­lich errei­chen möchte, was ich erreicht habe und dass ich mein Leben gern mag.

Vor ein­ein­halb Jahren brach Maria Anna Schwarz­berg mit einem Bur­nout zusam­men, heute ist sie ​Proud to be Sen­si­bel­chen“. In ihrem gleich­na­mi­gen Pod­cast für Hoch­sen­si­ble, zeigt sie allen emo­tio­na­len und sen­si­ti­ven Men­schen da drau­ßen, dass Gefühle keine Schwä­che, son­dern wahre Stärke sind.

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