Hilfe, in Berlin ist es mir viel zu voll geworden!

© Cindy Dessau

Kürzlich traf ich mich mit einem guten Freund am Kottbusser Tor, um aufs Wochenende anzustoßen. Früher haben wir uns häufig in Kreuzberg verabredet. Er hat damals in der Adalbertstraße gewohnt, ich habe am Paul-Lincke-Ufer gearbeitet – was lag da näher, als in einer der umliegenden Kneipen zu versacken: Café Kotti, Bohnengold, Das Hotel oder Café Commune hießen unsere heißgeliebten Adressen, in denen es allerdings mit Einbruch der Dunkelheit schon damals kaum noch einen freien Platz gab.

Da es wieder einmal spät geworden war, entschieden wir uns spontan für eine vermeintlich spärlich besuchte Alternative. Es sollte in die Eckkneipe Zum Elefanten am Heinrichplatz gehen, in der mein Kumpel früher mit seinem Bruder zum Billardspielen eingekehrt war. „Das ist eine gemütliche Bar, da hängen nur ein paar Trinker ab“, pries er die Kaschemme an. Als Verfechter verrauchter Eckkneipen war ich sofort Feuer und Flamme. Umso erstaunter waren wir, als wir in eine gerammelt volle Kneipe eintraten! Mit viel Mühe kämpften wir uns durch die trinkfreudige Besucherschar und ergatterten tatsächlich einen gerade frei werdenden Platz. Ich hatte mit viel gerechnet, doch mit solch einem Hype nicht.

Eingequetscht zwischen Trinkern und Hipstern, Studenten und Arbeitern, Kreuzbergern und Touristen

Klar, die Eckkneipe hat längst ihre Renaissance gefeiert. Doch ist das allein die Ursache? Biertrinken hat zum Glück die positive Eigenschaft, dass endlich mal Zeit bleibt, über die wirklich wichtigen Dinge nachzudenken. Und so kamen wir an diesem Abend zur Erkenntnis: Nein, es liegt nicht am Eckkneipen-Hype, dass wir hier eingequetscht zwischen Trinkern und Hipstern, Studenten und Arbeitern, Kreuzbergern und Touristen unser Pils runterspülen, in ganz Berlin geht es derzeit so ab.

In Bus und Bahn (und an den dazugehörigen Haltestellen), auf beliebten Plätzen, in gemütlichen Parks und hippen Restaurants, auf hochkarätigen Konzerten und im (Stadt-)Theater, kurzum überall dort, wo sich Berliner gerne aufhalten, tun sie das nicht mehr in kleinen, mitunter exklusiven Gruppen, nein, ganze Horden von Hauptstädtern ziehen durch die Straßen, prokrastinieren gemeinsam auf den Grünflächen, hängen auf Konzerten ab und besuchen Theaterstücke oder verstopfen einfach nur Wege, weil sie von dieser und jener Neueröffnung gehört haben und auch mal vorbeischauen wollen.

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Hilfe, in Berlin ist es mir einfach viel zu voll geworden! Dass die Hauptstadt so rasant wächst wie seit Jahrzehnten nicht mehr, ist hinreichend bekannt. Bis 2025 sollen im Vergleich zu 2005 fast eine halbe Millionen Menschen mehr in Berlin leben. Bisher bestand die größte Sorge darin, diese Neuberliner adäquat unterzubringen. Stichwort: Wohnungsbau.

Doch was ist mit den anderen strukturellen Schwächen? Theater, die dauerhaft ausverkauft sind, Parks, in die sich schon mit den ersten Sonnenstrahlen des Jahres Hunderte Menschen stapeln, Busse und Bahnen, die nicht in dichterem Takt fahren, sondern weiterhin so unterwegs sind, als ob die Zeit stehengeblieben wäre. Dass sich jedoch einiges geändert hat, zeigen die gerade vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (vbb) veröffentlichten Fahrgastzahlen: Nutzten im Jahr 2000 gut eine Milliarde Menschen die Fahrzeuge von BVG und S-Bahn zusammen, kommen allein die Berliner Verkehrsbetriebe heute auf diese eindrucksvolle Zahl. Zudem quetschten sich im vergangenen Jahr über 430 Millionen Menschen in die S-Bahn.

Theater, die dauerhaft ausverkauft sind, Parks, in die sich schon mit den ersten Sonnenstrahlen des Jahres Hunderte Menschen stapeln, Busse und Bahnen, die nicht in dichterem Takt fahren, sondern weiterhin so unterwegs sind, als ob die Zeit stehengeblieben wäre
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Auch im Regionalverkehr stehen die Zeichen auf Quetschen. Wer morgens aus dem Umland gependelt kommt, kann ein Lied davon singen. Gleichzeitig mangelt es an neuen Fahrzeugen. Besonders schlimm trifft es Busse und U-Bahnen, die teilweise schon über ein halbes Jahrhundert alt sind und eigentlich verschrottet gehören oder in die nordkoreanische Hauptstadt, jedenfalls nicht auf die Gleise und von dort in die Rushhour der U2 gerutscht, bei der man auf den innerstädtischen Haltepunkten gerne mal zwei, drei Bahnen abwarten muss, ehe man sich mit viel Glück in ein Vehikel drängeln kann.

Selbst auf dem Flugfeld bekommt man an Sommertagen das Gefühl, auf ein Volksfest geraten zu sein. Von der Freiheit einer 355 Hektar großen Fläche ist dann wenig zu spüren.

Lebensqualität vs. Realität

Bisher scheint die Landespolitik wenig Interesse daran zu zeigen, diese Strukturschwächen anzugehen. Dabei ist es doch gerade in diesem Bereich, der so maßgeblich für die Lebensqualität entscheidend ist, wichtig, das Angebot auszubauen und beständig weiterzuentwickeln. Doch in der Realität passiert wenig. So wird im Kulturbereich die Subvention gerade so angepasst, dass die steigenden Löhne abgefedert werden und die Freie Szene ein bisschen mehr Spielfläche bekommt. Die öffentlichen Verkehrsmittel wurden über Jahrzehnte kaputtgespart, was mit einer hübschen Imagekampagne verschleiert wird, und die innerstädtischen Parkanlagen werden immer weniger, weil überall gebaut wird. Da hilft es auch nicht, auf Tempelhof zu zeigen. Selbst auf dem Flugfeld bekommt man an Sommertagen das Gefühl, auf ein Volksfest geraten zu sein. Von der Freiheit einer 355 Hektar großen Fläche ist dann wenig zu spüren.

An sich macht es mir nicht viel aus, unter Menschen zu sein. Insgesamt drei Jahre habe ich am Alexanderplatz gewohnt, den täglich mehr als 350.000 Pendler als Umsteigebahnhof nutzten. Doch ab und zu reicht's. Dann verspüre ich den Wunsch, auch spontan noch Tickets für ein gutes Theaterstück zu ergattern, einen romantischen Spaziergang durch menschenleere Parkanlagen zu unternehmen oder einfach nur mit einem guten Freund in der abgeranzten Eckkneipe ein Bier zu trinken, in einer Stille, die nur unterbrochen wird, wenn es heißt: "Ich nehme noch eins."

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