Es ist unmöglich, sich in Berlin zu verabreden

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Ich habe den Eindruck, es ist beinahe unmöglich geworden, sich in Berlin miteinander zu verabreden. Wenn es passiert, sollte man sich sofort aneinanderketten, denn wer weiß, wann man sich das nächste Mal wiedersieht. Irgendwo zwischen Vollzeitjob, Teilzeitstudium, neuen Sneakers und alten Gewohnheiten hat sich schleichend unser Privatleben verkompliziert: Wir sehen uns nur noch im Newsfeed regelmäßig – und selbst da pfuscht uns der Algorithmus rein.

Verabredungen zu- und wieder absagen ist mein Ping-Pong

Angefangen hat mein Missmut über die quälende Unverbindlichkeit von Verabredungen wahrscheinlich schon viel früher. Richtig bewusst wurde sie mir aber erst vor kurzem durch eine Reihe, sagen wir, unliebsamer Erlebnisse. Eine gute Bekannte sagte regelmäßig Verabredungen zu und ab, ab und wieder zu, ab und nochmal ab und dann spontan doch wieder: “Ja, ich komme!” Dann kam sie, aber natürlich viel zu spät oder nur ganz kurz. Aus sogenannten Gründen. Soziales Ping-Pong, Leben am Limit – nämlich dem der anderen. Diese gute Bekannte, das war ich. Dann wurde ich selbst ein paar mal versetzt, vertröstet, vergessen und ich merkte: Das fühlt sich ja echt scheiße an. Und dann: Wir haben ein Problem. Und schließlich: Ich bin Teil davon.

Wer ist Schuld – Whatsapp, Facebook-Events oder einfach Berlin?

Es stimmt, dass sich durch Instant Messenger unsere Kommunikation vereinfacht hat. Man kann schnell ab- oder zusagen kann, Verspätungen oder, seltener, "Verfrühungen" ankündigen. Das ist einerseits praktisch, andererseits auch verheerend. Es hat unsere Vorstellung von Verbindlichkeit aufgeweicht. Stattdessen gilt jetzt: Nur mehrfach gegenseitig bestätigte Dates sind wirklich fest. Also fast. Falls nichts dazwischen kommt. Es stimmt auch, dass eine Metropole wie Berlin dazu verführt, auf allen Festen tanzen zu wollen. Sich nicht festlegen zu können ist eine Krankheit unserer Zeit, aber keine unheilbare. Macht man das eine, verpasst man alles andere. Das ist Fakt. Der eigentliche Fehler im System ist, dass wir irgendwann angefangen haben zu glauben, das eine reiche nicht mehr aus.

Und wer zudem permanent das Leben seiner Freunde auf Instagram Stories live miterlebt, hat vielleicht auch gar nicht mehr so sehr das Bedürfnis, sich regelmäßig offline auszutauschen über das, was man ohnehin schon weiß und wo man mit einem Like die digitale Kenntnisnahme bewiesen hat. Dazu kommt, dass wir mittlerweile alle mehr Menschen kennen, als wir handhaben können. Zwangsläufig ergibt sich so eine Einteilung des eigenen Netzwerks in enge und weniger enge Freunde, Bekanntschaften und selten auftauchende Avatare am äußeren Rand der Filterblase. Die trifft man dann eigentlich nie, verabredet sich aber trotzdem alle 8 Monate, für’s Gewissen. Soweit die zynische Bestandsaufnahme.

Verbindlichkeit ist das neue Bio

Manchmal kommt es mir so vor, als sei eine geglückte Verabredung so selten vor wie das eine Spermium, das am Ende die Eizelle befruchten darf. Vorher muss es sich aber gegen eine Vielzahl an Konkurrenten durchsetzen: spontane Katastrophen auf der Arbeit, unberechenbarer ÖPNV, die neue Staffel von irgendwas, zu mieses Wetter, zu gutes Wetter, "seltsame Magenschmerzen?!", PMS, der Kontostand und natürlich alle an diesem Tag 7000 parallel stattfindenden Veranstaltungen, bei denen man auf Facebook auf "Interessiert" geklickt hat. Und tatsächlich sind einige dieser Faktoren zu gegebener Zeit plausible Gründe, um Verabredungen abzusagen oder zu verschieben. Niemand muss, was er nicht kann oder will. Aber oft will man ja. Und könnte auch, aber ach.
So müde.
So teuer.
So weit weg.
So viele andere Optionen. Sofa. Gästeliste. Happy Hour in der Lieblingsbar.
Dann halt spontan absagen.
Nachricht senden.
Gesehen um 19:47 Uhr.
Hallo Sofa. Hallo Gästeliste. Hallo happy hour.
Wobei natürlich keine ernstzunehmende Bar in Berlin eine Happy Hour anbietet, aber ich denke, das Prinzip ist klar.

Cancel like you mean it

Was also tun? Wie schaffen wir es, uns trotz unserer manifesten "Sorry, schaffe es doch nicht! :("-Kultur wieder zu verabreden wie früher, als man am Montag was für Donnerstag (die Woche darauf!) ausmachte und ohne mehrfache Rückversicherung zur einigermaßen gleichen Zeit am verabredeten Ort zusammenkam? Gut, möglicherweise erreichen wir dieses Level der Verbindlichkeit nicht mehr. Aber irgendwo zwischen fünf Mal die Woche absagen, sich sicherheitshalber doppelt verabreden und sich aneinanderketten, da sollte es wieder eine gesunde Mitte geben.

Ich glaube, der erste wichtige Schritt passiert gerade schon: das Benennen des Problems und die Bewusstmachung, dass flexible Verabredungen nicht nur gut sind. Wahrscheinlich müssen wir wieder oder zum ersten Mal einschätzen lernen, wie viel wir individuell schaffen können und wollen – an einem Tag, in einer Woche, in einem Lebensabschnitt. Am Ende gilt der alte, aber wahre Grundsatz: bei sich selbst anfangen. Klare Entscheidungen treffen und dazu stehen, auch wenn es im konkreten Fall nur um einen Kaffee nebenan geht. Ja sagen und Ja meinen. Oder eben nicht, aber dann von Anfang an. Ich muss jetzt jedenfalls los. Bin nämlich verabredet. Wenn nichts dazwischenkommt.

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