Ein Leben mit Behinderung: Nie allein, aber manchmal einsam
von Raúl Krauthausen und Suse Bauer
Allein sein zu müssen ist das schwerste, allein sein zu können das schönste.Hans Krailsheimer 1888 – 1958
Für sich zu sein, seinen Gedanken nach zu hängen und einfach mal nur Zeit allein zu verbringen, ist für viele Menschen vollkommen selbstverständlich. Für mich als Mensch mit Assistenzbedarf ist dies allerdings ein seltener Luxus. Immer bin ich von Menschen umgeben.
Dabei handelt es sich bei mir weniger um Familienmitglieder oder Freunde, sondern Angestellte, die mir ein maximal selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ohne Assistenz geht es nicht. Doch das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ich sogar unter der Dusche „Gesellschaft“ habe. Es gibt nur wenige Momente, in denen ich wirklich für mich bin.
Es gibt nur wenige Momente, in denen ich wirklich für mich bin.
Besonders schwierig ist das an Tagen, an denen es mir nicht gut geht. Dann hätte ich einfach gerne meine Ruhe, möchte in Stille und Entspannung zu mir finden und mit niemandem reden müssen. Natürlich kann auch ich mir kurze Auszeiten nehmen, spazieren fahren, den Kopf zur Ruhe kommen lassen. Doch im Gegensatz zu Menschen ohne Assistenzbedarf muss ich nach kurzer Zeit wieder in Kontakt mit anderen treten: Beispielsweise weil ich den Busfahrer um die Rampe bitten muss, Hilfe beim Einkaufen benötige oder Assistenz bei der Hausarbeit.
Assistenz – zwischen Professionalität und Anteilnahme
Das Modell: Assistenznehmer und Assistent*in bringt naturgemäß Probleme mit sich. Immer wieder gibt es Momente, in denen die Balance zwischen Professionalität und persönlicher Anteilnahme schwierig ist. Gerade Assistenten*innen, die schon länger für mich arbeiten, merken mir an, wenn es mir nicht gut geht, ich ruhiger bin oder meinen Gedanken nachhänge. Nun abschätzen zu können, ob es passend ist nachzufragen oder sogar empathielos wäre, dies nicht zu tun, ist keine leichte Abwägung für Assistenten*innen. Und ja, je nach Situation tut mir eine behutsame Nachfrage sehr gut – ein anderes Mal hingegen empfinde ich sie fast als übergriffig. Das Verhältnis zwischen meinen Assistenten*innen und mir ist bewusst von Offenheit geprägt, so dass man grundsätzlich alles ansprechen kann, u.a. um Missverständnisse zu vermeiden. Aber wenn mir manchmal partout nicht nach Reden ist?
Einsam in Gesellschaft
Und dann gibt es da diese Momente, in denen ich mir sehr einsam fühle – obwohl ich unter Menschen bin. Weil diese Menschen eben meine Assistenten*innen sind. So nett ich sie finde – es sind nun einmal, bis auf eine Ausnahme, nicht meine Freunde. Wir haben ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis: Sie werden für ihre Hilfe bezahlt.
Mir geht es keinesfalls darum, mein Leben mit Assistenz in Frage zu stellen – aktuell ist es die beste Möglichkeit für mich, ein maximal selbstbestimmtes Leben zu führen. Und ich bin dankbar dafür, dass ich eine tolle Crew an Assistenten*innen gefunden habe, mit denen ich – notgedrungen – gerne zusammen lebe.
Und trotzdem bleibt da dieser Zwiespalt, den nicht nur ich zuweilen fühle, sondern auch meine Assistenten*innen: zwischen persönlicher Begegnung zweier Menschen und professionellem Angestelltenverhältnis, dass immer eine gewisse Distanz bewahren sollte.
Man kann sich – ob behindert oder nicht – zwischen vielen Menschen einsam fühlen und man kann alleine mit sich sehr glücklich und zufrieden sein. Nur lässt mein Leben mit Assistenz letzteres für mich seltener zu. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Und doch gibt es Tage, an denen es mir schwerer fällt, diesen Umstand zu akzeptieren. Für mich, als jemanden mit einer positiven Grundeinstellung, überwiegen die Sonnenstunden – egal, ob von vielen Menschen umgeben oder allein mit meiner Assistenz