Ein echter Scheißjob? Ich war einen Tag lang Kanalarbeiter
Raus aus der Medien-Bubble und rein in andere Berufe: In unserer neuen Reihe "Tagespraktikum" tauchen wir in die verschiedensten Betriebe und Berufsfelder ein und packen für einen Tag richtig mit an. In der zweiten Folge waren wir bei den Berliner Wasserbetrieben als Kanalarbeiter.
Als mir Matze erzählt hat, wo ich mein zweites Praktikum machen werde, dachte ich erst, er würde Scherze machen. Einen Tag lang in der Berliner Kanalisation arbeiten. Die einzig coole Assoziation, die ich mit der Kanalisation habe, sind die Ninja Turtles. Auf die werde ich wohl eher nicht treffen, sondern auf Ratten, einen fiesen Gestank und jede Menge andere eklige Sachen. Freude ist also nicht unbedingt das Gefühl, das in mir aufsteigt, als ich mich morgens auf den Weg zu den Berliner Wasserbetrieben mache. Ich bin vielmehr nervös und aufgeregt. Was wohl auf mich zukommt?
5.00 Uhr: Ich steige in die Ringbahn. Normalerweise betrete ich die Öffis um die Uhrzeit eigentlich nur, um vom Feiern nach Hause und nicht zur Arbeit zu kommen. Und das scheint man mir auch anzusehen, denn als ich mir beim Bäcker noch ein Laugencroissant kaufe, höre ich von der Dame nur: "Du hast heute aber auch noch nich' geschlafen, wa?" Doch, habe ich, die Worte "Ich bin auf dem Weg zur Arbeit" fühlen sich trotzdem seltsam an.
06.00 Uhr: Pünktlich um 06 Uhr – es ist immer noch stockdunkel und trotzdem herrscht hier ein reges Treiben – spaziere ich über das Gelände der Berliner Wasserbetriebe, auf dem Weg zu Ronny, meinem heutigen Dienstleiter, ins Büro. Ronny bietet mir als erstes einen Kaffee an. "So kann der Tag ruhig weitergehen", denke ich. "Du fährst heute bei meinen Jungs von der ADK mit", erklärt mir Ronny. ADK steht hier leider nicht, wie für mich, für die Akademie der Künste, sondern für die Außendienst-Kolonne.
Safety first: Raus aus den Skinny Jeans und rein in die Sicherheitskleidung
06.20 Uhr: "Bevor du mit den Jungs rausfahren kannst, brauchst du aber erstmal ordentliche Schutzkleidung. Der Job wird nämlich nicht nur schmutzig, er ist auch sonst nicht ohne." Die Jungs, wie Ronny sie nennt, mit denen ich heute mitfahre, reinigen die Saugräume der Pumpwerke und das sind riesige Becken, in denen sich die Scheiße der ganzen Umgebung sammelt. Ähm, Moment mal, was?! Ich habe leider richtig gehört und bekomme von Ronny jetzt erstmal eine Sicherheitseinweisung, denn mit "nicht ohne" ist hier gemeint, dass sich in diesen Saugräumen der giftige und ziemlich übel stinkende Schwefelwasserstoff bildet. Viel schlimmer ist es allerdings, wenn man ihn nicht mehr riecht, denn dann ist die Konzentration so hoch, dass man nicht unbedingt lebend da raus kommt. "Aber keine Sorge, meine Jungs haben eine Spezialausbildung und ein Messgerät, das anschlägt, sobald die Konzentration steigt und dann verlasst ihr einfach den Raum."
07.00 Uhr: "Okay, alles klar, danke ciao", würde ich gerne sagen und mich doch lieber auf den Weg in die Redaktion machen. Stattdessen schlüpfe ich in meine ziemlich dicke und ein bisschen zu große Sicherheitskleidung, die natürlich Gelb ist. Never not representing und so.
Meine Aufgaben: Mit der Außendienst-Kolonne zu Pumpwerk II und Pumpwerk VII fahren und die Saugräume reinigen
07.45 Uhr: Wir sind beim Pumpwerk II in Kreuzberg angekommen und ich lerne meine heutigen Kollegen kennen: Uwe, Heiko, Michael und Jens. Ich muss ein bisschen schmunzeln, denn die Jungs, von denen Ronny sprach, sind gestandene erwachsene Männer, Urberliner und unglaublich sympathisch. Wir quatschen ein bisschen, während die Jungs ihre Sicherheitsvorkehrungen treffen. Jeder bekommt ein Notatem-Gerät, einen Sicherungsgurt und ein Messgerät, vor dem Eingang des Saugraums wird ein weiteres Atemschutzgerät aufgestellt und natürlich gibt's Handschuhe und einen Gehörschutz. "Wir können jetzt runter, zieh' dir am besten mal Handschuhe an und mach' die Jacke richtig zu, manchmal spritzt es da unten."
07.55 Uhr: Die Jungs gehen, bewaffnet mit einem Feuerwehrschlauch und einem Alarmknopf, zuerst runter. Ich folge ihnen, muss mich schon auf dem Treppenabsatz zusammenreissen und ich kann es nicht anders sagen: Es stinkt. Es stinkt bestialisch. So sehr, dass ich eigentlich nur damit beschäftigt bin, mich nicht zu übergeben. Ich stehe wie ein Idiot immer in Türnähe, falls ich mich doch nicht mehr beherrschen kann, und sehe zu, wie die Jungs mit dem Wasserdruck die ganze Scheiße von den Wänden spritzen. "Das Schlimmste ist eigentlich nicht die Scheiße, sondern die Damenstrümpfe und das Fett, das die Leute in die Toilette schmeißen, das Zeug kriegt man nämlich kaum mehr ab."
Übergeben hat sich jeder von uns schon mal, aber man gewöhnt sich an den Geruch.
08.10 Uhr: Das Messgerät fängt an zu piepsen, die Schwefelwasserstoff-Konzentration ist zu hoch, wir müssen raus und warten, bis sich die Konzentration wieder verringert. Ich schäme mich ein bisschen, dass ich die ganze Zeit mit dem Brechreiz ringe, schließlich machen die Jungs den Job seit über zwanzig Jahren. Zwanzig Jahre lang jeden Tag ein paar Stunden gegen den Brechreiz ankämpfen? Oder ist es irgendwann gar nicht mehr so schlimm? "Weißt du, man gewöhnt sich an den Geruch. Nicht, dass es angenehm wird, aber so schlimm wie bei dir, ist's bei uns schon lange nicht mehr."
08.50 Uhr: Wir haben über eine halbe Stunde gewartet, bis die Konzentration wieder geringer wurde, sodass man den Saugraum wieder betreten darf. Währenddessen habe ich die Jungs gefragt, wieso sie sich für ihren Job entschieden haben und die Antwort ist mehr als plausibel: "Wir werden hier gut bezahlt, haben einen sicheren Arbeitsplatz, geregelte Arbeitszeiten, ich kann mit meiner Frau einmal im Jahr in den Urlaub fahren, daran ist doch nichts falsch."
09.30 Uhr: Wir fahren ins nächste Pumpwerk in der Lützowstraße in Tiergarten. Von Schmargendorf nach Kreuzberg und jetzt Tiergarten, ich glaube so viel Auto bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr gefahren. Auf der Fahrt merke ich, wie vertraut die Jungs alle miteinander sind. Sie arbeiten seit knapp 20 Jahren zusammen, hängen jeden Tag knapp acht Stunden aufeinander, sodass aus einfachen Kollegen längst mehr geworden ist und ich muss sagen, den ganzen Tag mit Freunden unterwegs zu sein, viel von der Stadt zu sehen, hat auch seine Vorteile. Tauschen möchte ich meinen Job gegen ihren aber trotzdem nicht. Aber auch die Jungs haben einige Jobs, die sie auf gar keinen Fall machen würden, Krankenschwester zum Beispiel.
Die Leute denken ja immer, wir hätten einen beschissenen Beruf. Aber weißt du, ich könnte niemals Krankenschwester auf der Intensivstation sein. All die Körperflüssigkeiten und so, das könnte ich einfach nicht.
10.00 Uhr: Wir sind beim nächsten Pumpwerk angekommen, die Aufgabe bleibt die Gleiche: den Saugraum reinigen. Aber zuerst wird eine kleine Pause eingelegt und die Stulle gefuttert, zumindest von den anderen. Mein Magen ist immer noch flau, mein Croissant bleibt unangetastet, aus einem leeren Magen kann, so meine Hoffnung, im Zweifelsfall weniger rauskommen.
11.30 Uhr: Der zweite Saugraum ist zwar wesentlich kleiner, besser riechen tut er allerdings nicht. Und deswegen bin ich ehrlich gesagt auch nicht unbedingt traurig, als mich Dienstleiter Ronny abholt, um mir noch mal ein paar andere Seiten der Berliner Unterwelten zu zeigen. Bevor ich abhaue, mache ich aber noch ein Foto mit den Jungs, wirklich ehrlich nette Menschen, und verspreche ihnen, Bescheid zu geben, sobald der Artikel fertig ist.
Berliner Unterwelten
12.20 Uhr: Auf dem Weg in Berlins größtes Pumpwerk treffen wir Ronnys alte Kolonne. Der ist nämlich erst seit eineinhalb Jahren im Büro, vorher fuhr er auch jeden Tag mit seiner Kolonne raus und war für die Regenwasserpumpen zuständig. Gefühlt die ganze Stadt ist unterkellert, mit Kanälen, Regenauffangbecken und allem, was sonst noch notwendig ist, um die Stadt und das Wasser sauber zu halten. Als ich in diesem knapp 200 Meter langen Gang unter der Straße stehe, links und rechts von mir Wasserbassins, in denen Regenwasser gefiltert wird, fühlt es sich ein bisschen an, wie in einem Science-Fiction-Film. Aber auch hier merke ich, wie gern Ronny und seine ehemaligen Kollegen, von denen er inzwischen der Chef ist, sich haben. "Das sind ja mehr als nur Kollegen, wir sind jahrelang zusammen rausgefahren, haben teilweise sogar mehr Zeit miteinander als mit unseren Frauen verbracht, natürlich sind die Jungs ein Stück Familie. Der Franky, der ist ja auch auf den Geburtstagen meiner Kinder."
14.00 Uhr: Mein und auch der Arbeitstag der Jungs ist vorbei. So früh hatte ich, glaube ich, noch nie Feierabend. So richtig genießen kann ich es allerdings nicht, denn um 04.30 Uhr aufstehen ist doch nicht ganz meine Zeit und der Tag war auch ziemlich anstrengend. Ich werde also erstmal ins Bett gehen und ein bisschen ausschlafen.
Nach acht Stunden mit der Außendienstkolonne weiß ich jetzt, dass auch der vermeintlich beschissenste Job seine positiven Seiten hat. Denn auch wenn die Arbeit der Jungs vor allem körperlich anstrengend, nicht ganz ungefährlich ist und aufgrund des Gestanks wirklich erschwerte Bedingungen hat, habe ich das Gefühl, dass die Jungs zufrieden sind. Sie sind mit Leuten unterwegs, die sie mögen, verdienen nicht schlecht, haben einen sicheren Job und sind viel draußen. Und auch wenn man den Job als buchstäblichen Scheißjob bezeichnen kann, wird hier viel gelacht und gescherzt. Eine riesige Hilfe war ich zwar nicht, aber vielleicht zumindest eine nette Abwechslung in dem sonst doch eher eintönigen Arbeitsalltag der Jungs. Mein Laugencroissant von heute morgen nehme ich übrigens unangetastet wieder mit nach Hause, mein Magen ist nämlich immer noch etwas flau.
Nice to know:
- Die Ausbildung bei den Berliner Wasserbetrieben ist für jeden Schulabgänger super vielseitig, man schnuppert einmal in jede Abteilung rein und kann sich anschließend entscheiden, welchen Bereich man vertiefen möchte.
- Was man für den Job mitbringen muss? Laut Teamleiter Ronny Interesse an Technik und natürlich muss man in der Lage sein, auch mal die Zähne zusammenbeißen können.
- Hier wird nach den Tarifvertägen der Versorgungsbetriebe bezahlt, in der Entgeltgruppe 5 sind das beispielsweise ca. 2.700 Euro monatlich.
- Hier findet ihr jede Menge freie (Ausbildungs-)Stellen.
Wo soll ich als nächstes hingehen? Schreibt mir an: wiebke@mitvergnuegen.com