Der Selbstoptimierungszwang in Fitnessstudios macht mich unglücklich
Nach langer Verletzungspause stehe ich nun da. Meine Muskeln sind weg. Meine Lust, mich zu bewegen, ist weg. Alles ist weg. Aber ich muss wieder anfangen, zu trainieren. Ich brauche Muskeln. Gegen die Verspannungen und die damit verbundenen Schmerzen im Rücken und Nacken helfen wohl nur Muskeln. “Können sich mehr Muskeln nicht noch mehr verspannen?”, frage ich den Physiotherapeuten hoffnungsvoll. Er lacht nur. Er bietet mir an, mir Übungen zu zeigen, empfiehlt mir aber auch eindringlich, über eine Anmeldung im Fitnessstudio nachzudenken.
Da ist es wieder, das sagenumwobene Fitnessstudio. Der Ort, auf den so viele schwören. Schon allein der Name ist für mich ein Oxymoron. Ein Studio ist für mich ein schöner Ort, ein Ort zum Wohlfühlen. Fitness hingegen klingt für mich nach Selbstoptimierung, hysterisch motivierten Trainern und Trainerinnen und schwitzenden, stöhnenden Menschen.
Trotzdem entschließe ich mich, es wenigstens zu versuchen. Ich habe es bisher noch nie geschafft, Übungen zu Hause regelmäßig zu machen und ich glaube nicht, dass sich das für mich ändert. Und wie schlimm kann es im Fitnessstudio wirklich sein, wenn da doch so viele Menschen hingehen, um Sport zu machen?
Wie schlimm kann es im Fitnessstudio wirklich sein, wenn da doch so viele Menschen hingehen?
Vor dem Fitnessstudio hängen zwei halbnackte, sehr muskulöse Menschen auf Plakaten. “Also wenn ich nach dem Betreten des Studios SO aussehe, will ich da auf keinen Fall rein gehen!”, denke ich mir. Ich betrete es aber kurz danach dennoch. Meine schmerzenden Schultern treiben mich an. Und irgendwie gefällt mir auch dieses innere Bild von mir, wie ich alleine und hart diszipliniert trainiere. Warum empfinde ich Menschen, die alleine trainieren, eigentlich als so bewundernswert? Warum hat Disziplin für mich so eine anziehende Wirkung? Und vor allem, warum bin ich dann nicht so diszipliniert? Noch beim Eintreten habe ich also eine kleine Seins-Krise und kleine Selbstzweifel beginnen an mir zu nagen.
Ein Studio ist für mich ein schöner Ort, ein Ort zum Wohlfühlen. Fitness hingegen klingt für mich nach Selbstoptimierung, hysterisch motivierten Trainern und Trainerinnen und schwitzenden, stöhnenden Menschen.
Im Eingangsbereich der Umkleide hängt ein überdimensionaler Spiegel. Davor steht eine gut trainierte, schöne Frau und mustert sich. Sie überprüft ihre Haare, ihr Make-up und ihr Outfit kritisch. Sie betrachtet sich und ihren definierten Körper ausgiebig von allen Seiten im Spiegel. Ich bin nicht sicher, ob sie wohlwollend ihre Sportklamotten inspiziert, die offenbar dazu gemacht sind, den sie tragenden Körper möglichst detailliert abzuzeichnen, oder ob sie sich gerade überlegt, an welchen Stellen ihr Körper noch trainierter sein sollte.
Mir wird ein wenig mulmig. Ich habe viele Sportklamotten zu Hause, aber offenbar nicht ein passendes Outfit für diesen Ort. Ich schiebe diesen Gedanken wieder weg. Meine Sportkleidung war mir noch nie besonders wichtig. Bequem soll sie nur sein, mich nicht einschnüren. Beim Verlassen der Umkleide ertappe ich mich aber dann dabei, wie auch ich mich im Spiegel mustere. Ich bin nicht zufrieden. Weder mit meinem Trainingszustand, noch damit, wie meine Kleidung gar nichts abzeichnet. Ich checke sogar, wie mein Hintern wohl in dieser Hose wirkt. Meine Selbstzweifel werden noch etwas größer und meine Laune verschlechtert sich schlagartig.
Vielleicht wird den Menschen hier alle Fröhlichkeit, alle positiven Gedanken abgesaugt.
Anfangs bin ich noch recht konzentriert an den Geräten. Doch nach einiger Zeit kann ich mich kaum noch konzentrieren. Ich muss die Menschen um mich herum beobachten. Fast alle hören Musik und trainieren eifrig vor sich hin. Doch kein einziger lächelt. Niemand. Kein Schmunzeln, keine leuchtenden Augen, kein Grinsen – gar nichts. Vielleicht können sie keine Freude empfinden?! Vielleicht ist dieser Ort wie das Nichts aus der unendlichen Geschichte. Vielleicht wird den Menschen hier alle Fröhlichkeit, alle positiven Gedanken abgesaugt. Aber weil alle hier so ernst sind, fällt es niemandem auf. Sie denken, das sei normal so und müsse so sein.
Kein einziger lächelt. Niemand. Kein Schmunzeln, keine leuchtenden Augen, kein Grinsen – gar nichts.
Meine Empathie für meine vermeintlichen Mitstreiter verschlimmert meine eigene Traurigkeit. Traurig, geplagt von Selbstzweifeln und immer noch mit der Frage beschäftigt, warum ich nicht der Mensch bin, der ich in meiner Vorstellung offenbar gerne wäre, absolviere ich mein Programm. Aber ich zähle nicht richtig. Diese vielen Zahlen machen mich ganz kirre im Kopf. Ich muss wissen, wie viel Gewicht ich stemme, am besten noch wie viel ich vielleicht beim letzten Mal gestemmt habe. Ich muss mir die geeignete Anzahl an Wiederholungen merken. Und dann mitzählen. Ich bin die meiste Zeit am Grübeln, vergesse die Anzahl meiner bisherigen Wiederholungen und höre dann einfach auf.
War es nicht früher einmal so, dass ich beim Sport nicht grübeln könnte, weil ich ja mit Sport machen beschäftigt war? Und war es nicht auch so, dass mich dieses Gefühl, meinen Körper zu nutzen und zu fordern, mich hat glücklich werden lassen?
Ich frage mich, ob es zu diesem Älter-Werden dazu gehört, sich auf diese Art und Weise um sich selbst zu kümmern, auch wenn es sich anfühlt wie ein Marsch durch Mordor oder ein Kurztrip nach Askaban. Ich nehme mir fest vor zu versuchen, mein diszipliniertes Ich zu finden. Ganze vier Besuche halte ich durch. Am letzten Tag der Kündigungsfrist für das Probe-Abo um 23.30 Uhr schicke ich panisch meine Kündigung raus. Es muss etwas anderes geben!