11 Berliner Indie-Verlage fernab des Mainstreams

© jmuniz | unsplash

von Friederike Christoph

Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen.

Berühmte Worte des Verlegers Kurt Wolff. Sie zeigen, wie verschieden die Motivationen sind, aus denen heraus Menschen Bücher machen. Die einen folgen der Mode, die anderen setzen Trends. Während große Verlagsgruppen versuchen, den Markt zu erforschen und auf Grundlage von gesammelten Daten eine Formel zu entwerfen, die den nächsten Megaerfolg garantiert, suchen die konzernunabhängigen Verlage mit Herzblut nach neuen Themen und Talenten, innovativen Gedanken und zeigen neue und revolutionäre Blickwinkel auf gesellschaftliche, kulturelle und politische Themen unserer Zeit. Nicht selten spüren sie eine gesellschaftliche Verantwortung, die sie antreibt. Von diesen Büchermacherinnen und Büchermachern gibt es viele in Berlin. Ihre Bücher sind spannend, originell, unangepasst und leidenschaftlich. Genau wie die Verlegerinnen und Verleger selbst. 

Satyr Verlag

In Friedrichshain sitzt schon seit 2011 der Satyr Verlag. Man könnte meinen, er habe es sich zur Aufgabe gemacht, junge Sprach- und Schreibtalente zu entdecken. Paul Bokowski zum Beispiel oder Sarah Bosetti, deren regelmäßige Kolumne ihr mittlerweile bei radioeins hören könnt.  Und wo könnte man diese Talente besser entdecken als bei Poetry Slams, auf Lesebühnen oder anderen Spoken Word-Veranstaltungen? Der Verleger steht auch selbst auf diesen Bühnen, ist Satiriker und Teil eben jener Kultur, die sich vor nunmehr 30 Jahren von der Wasserglaslesung abgewandt hat, um Texte anders, spannender und jünger zu präsentieren. Einigen dienen diese Bühnen zu den berühmten fünfzehn Minuten Rum, andere beginnen hier ihre Karriere als HumoristIn oder SchriftstellerIn. So veröffentlicht der Verlag inzwischen auch regelmäßig anspruchsvolle Romane, meist satirisch und/oder Berlin-Bezug. Oft humorvoll im Ton, doch ernst in der Absicht blicken die Bücher des Verlags auf das Weltgeschehen und offenbaren dabei nicht selten den grotesken Charakter unserer Zeit. 

Buchtipp: Florian Ludwig. "Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können." | ISBN: 978-3-947106-12-7 | Klappenbroschur | 14 Euro

© Satyr Verlag | Parallelallee

Parallelallee

Comics sind keine Literatur. Was Jahre lang die allgemeine Haltung des Literaturbetriebs war, ändert sich endlich. Tina Brenneisen, die Verlagsgründerin, weiß das natürlich schon lange. Sehnlich schaut sie, wie die meisten Comic-Fans, nach Frankreich oder Belgien, wo Comics und Graphic Novels schon lange ein gutes Standing haben. Erzähltes und Grafisches, findet der Verlag, gehören zusammen und sollten in keine Ecke abgeschoben werden. „Wir erzählen, um Kopf und Auge, die Lust am Denken und Träumen zu schenken“, sagt sie, und tut es auch. Denn alle Comics und Graphic Novels, die im Verlag bisher erschienen sind, hat sie erdacht und gezeichnet. Ein echter Geheimtipp, dessen Parallelen vielleicht schon bald die euren kreuzen und einen Moment der Berührung schaffen.

Buchtipp: Tina Brenneisen: "Das gelbe Pony" | ISBN: 978-3-946972-07-5 | Hardcover | 24 Euro

Verbrecher Verlag

Im Herzen Kreuzbergs sitzen die Verbrecher. Ein Klischee? Von wegen! Die Täter sind heute allerdings bekannt: Kristine Listau und ihr Mann Jörg Sundermeier leiten den Verlag seit 2016 gemeinsam. Wie es zu dem Namen kam ist eine erzählenswerte Geschichte: Als leidenschaftliche Literaturfans suchten die Verlagsgründer Werner Labisch und Jörg Sundermeier Mitte der 1990er Jahre eine Möglichkeit, um an unveröffentlichte Manuskripte für private Lesezwecke zu kommen. Vor allem auf die einiger Lieblingsautorinnen und -autoren hatten sie es abgesehen. Sie wussten von deren Existenz, eine Veröffentlichung war jedoch offenbar erst mal nicht geplant. Um dennoch an den heiß ersehnten Lesestoff zu gelangen, selbst wenn er unveröffentlicht bleiben sollte, gaben sie sich kurzerhand als Verlag aus. Damit die angeschriebenen Autorinnen und Autoren von vornherein wenig Hoffnung auf eine tatsächliche Publikation haben würden, schien ihnen der Verlagsname und das Logo perfekt zu sein. So kam es dann schließlich doch zur Veröffentlichung des ersten Buchs: der Dietmar Dath-Erstling Cordula killt dich! Oder: Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheim. Denn da kann man ja schlecht die übliche schriftliche Absage schicken.

Buchtipp: Anke Stelling: "Schäfchen im Trockenen" | ISBN: 978-3-95732-338-5 | Hardcover | 22 Euro

Matthes und Seitz Berlin

Die Erfindung der Roten Armeefraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969. Was erst mal kompliziert klingt, ist eigentlich ganz einfach: Es ist nämlich der Titel des Buches von Frank Witzel, das 2015 den deutschen Buchpreis gewonnen hat. Über diese Auszeichnung freut sich jeder Verlag. Erhält ihn jedoch ein Buch aus einem der bis dahin weniger bekannten, kann es schon mal vorbei sein mit der Anonymität. Und das ist gut so – findet sicher auch Verleger Andreas Rötzer. Er übernahm den Verlag von seinen Münchner Namensgebern und hängte das wunderschöne Wort Berlin dran. Auf ein hochkarätiges literarisches und kulturgeschichtliches Fundament, baute er den mittlerweile viel beachteten und im Literaturbetrieb etablierten Verlag.

Buchtipp: Maruan Paschen: "Weihnachten" | ISBN: 978-3-95757-629-3 | Hardcover | 20 Euro

© Matthes & Seitz Berlin | Theater der Zeit

Theater der Zeit

Bretter, die die Welt bedeuten, sind sein täglich Brot. Und das schon seit über siebzig Jahren. Theater der Zeit ist gleichzeitig Zeitschrift und Verlag. Erst ab Mitte der neunziger Jahre, trauriger Anlass war der Tod des Dramatikers Heiner Müller, publizierten sie neben dem Magazin Theater der Zeit auch Theatertexte, theaterwissenschaftliche Bücher und Personenporträts. So fütterten sie den gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs. Bis heute stellt der Verlag neueste Entwicklungen des deutschsprachigen und internationalen Theaters vor und blickt gleichzeitig auf eine spannende Verlagsgeschichte zurück. Es ist ihm gelungen, trotz zunehmenden politischen Drucks in der DDR durch Festivals und Kolloquien eng mit der Theaterszene verknüpft zu bleiben. Das Resultat: Eine große Praxisnähe, die der Zeitschrift bis heute einen guten Ruf beschert. 

Alexander Verlag

„Im besten Fall“, sagt Verleger Alexander Wewerka, „sind bei der Programmgestaltung die wichtigsten Kriterien mein persönliches Interesse und Begeisterung, gepaart mit einem gewissen Missionarseifer und Mitteilungszwang.“ Gleichzeitig sinniert er auf der Verlagswebsite, ob seine Weise den Verlag zu führen mit der Tatsache zusammenhängt, dass er Sohn eines bildenden Künstlers sei. Vielleicht müssen wir, um diese Frage zu beantworten, eins seiner kunsttheoretischen Bücher zur Hand nehmen? Aber Wewerka möchte nicht nur selbst überzeugen, sondern überlässt in den Büchern seines Verlags auch gerne den Künstlern selbst das Wort. Frank Castorf zum Beispiel oder Ingmar Bergmann in der Interviewreihe Nahaufnahme. Die Liste bekannten Theater- und Filmkünstler im Alexander Verlag ist lang.

Buchtipp: Christina Baradun: "Erste Hilfe für die Künstlerseele – Stressbewältigung, Kommunikation und Konfliktlösung im Kulturbetrieb. Ein Ragbeber" | ISBN: 978-3-89581-488-4 | erscheint im Oktober 2018 | Taschenbuch | 15 Euro

© Alexander Verlag | Guggolz Verlag

Guggolz Verlag

Einer der jüngeren Berliner Verlage. 2014 von Sebastian Guggolz gegründet schlägt er rein in die Kerbe der schnelllebigen Buchbranche. Ungefähr 80.000 Neuerscheinungen pro Jahr und – zumindest wenn ihr gerne eine Buchhandlung noch persönlich besucht – ein begrenzter Platz, um sie auszustellen. Bücher müssen oft schnell wieder raus aus dem Sortiment, um Platz für neue zu schaffen. Dagegen stellt sich der Guggolz Verlag mit seinem ausgewählten Programm. Der Verleger möchte den Büchern die Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, die sie in seinen Augen verdienen. Publizistischen Regionen, denen weniger Beachtung geschenkt wird, die irgendwie am Rande liegen und in deren Abgeschiedenheit sich Literatur fernab vom Mainstream entwickeln kann, möchte der Verleger Beachtung schenken. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche den Lesenden sichtbar und zugänglich zu machen.

Buchtipp: Andor Endre Gelléri: "Stromern" | ISBN: 978-3-945370-18-6 | Hardcover | 24 Euro

Wagenbach Verlag

Das Herz des Verlegers sitzt links, sagt er. Das des Verlags auch. Das war früher so und so ist es noch heute. Ein Blick auf die Verlagsgeschichte zeigt, warum: Was ist neu? Was ist radikal? Was hat ein bestimmtes Geschichtsbewusstsein? Das sind Fragen, die den Verlag umtreiben und die dazu geführt haben, dass er heute einer der ältesten unabhängigen Verlage ist. In den wilden 1970er Jahren stand der Verleger dafür gleich mehrfach vor Gericht. Veröffentlichte er zum Beispiel das umstrittene Manifest der Roten Armee Fraktion oder die Texte des DDR-Kritikers Wolf Biermann. Es ist die Überzeugung, die zum Weitermachen führt und gleichzeitig ist sie es, die daran hindert, das Fähnchen nach dem Wind zu stellen. Die Buchmacherinnen und Buchmacher des Verlags wollen unbekannte Autoren entdecken, an Klassiker der Moderne erinnern und unabhängigen Köpfen Raum für neue Gedanken geben. 

Buchtipp: Manfred Heinfelder und Lena Luczak (Hg.): "Georgien. Eine literarische Einladung" | ISBN: 978-3-8031-13136-8 | Rotes Leinen mit Prägung und aufgeklebtem Schildchen. Durchgefärbtes Vorsatzpapier, Fadengeheftet | 18 Euro

© Wagenbach | culturebooks

Culturbooks

Junge aufregende Stimmen. Gegenwartsliteratur aus Deutschland oder aus anderen Teilen der Welt. Das ist, was die Verlegerin Zoë Beck und Verleger Jan Karsten publizieren wollen. Culturbooks führen hinein in vielleicht völlig fremde Welten. Anregend müssen die Bücher sein, ihre AutorInnen etwas zu sagen haben zu unserer Gegenwart, sonst werden sie hier nicht veröffentlicht. So zum Beispiel Karan Mahajan mit seinem Roman In Gesellschaft kleiner Bomben, in dem es buchstäblich um die Druckwellen geht, die eine terroristische Bombenexplosion bei allen Beteiligten hinterlässt. 

Buchtipp: Helen Oyeyemi: "Was du nicht hast, das brauchst du nicht" | ISBN: 978-3-95988-103-6 | Hardcover | 20 Euro

Aviva Verlag

Frauenpower und zwar richtig? Bekommt ihr im Aviva Verlag. Die Verlegerin Britta Jürgs ist eine inspirierende Frau, ganz zu schweigen von all denjenigen, die in den Büchern ihres Verlages zu Wort kommen. Seit über 20 Jahren gibt es Aviva schon und das Jubiläum wurde sogar mit einer Deutschland-Lese-Tour in 20 Buchhandlungen gefeiert. Ein Fest für alle, die dabei sein konnten. Der Verlegerin ist es ein Anliegen, den Kanon weiblicher Stimmen zu erweitern und so veröffentlicht sie vergessene Schätze, literarische Entdeckungen und Bücher über außergewöhnliche Frauen. So gibt sie unter anderem jüdischen Autorinnen aus den 1920r Jahren ihre Stimmen zurück, wie zum Beispiel der österreichischen Schriftstellerin und Schauspielerin Lili Grün, deren Gedicht- und Geschichtenband Mädchenhimmel von jungen, modernen und selbstbewussten Frauen – hin und hergerissen zwischen Autonomie, Selbstbehauptung – und dem "Mann mit starken Armen" handelt. Aber auch Autorinnen wie Annemarie Weber aus den 1960er und 70er Jahren verschafft sie Gehör. Ihr Roman „Roter Winter“ beschreibt die kontrastierenden Welten der 60er in Berlin.

Buchtipp: Annemarie Weber: "Die jungen Götter" | ISBN: 978-3-932338-71-7 | Broschur | 19 Euro

© Aviva Verlag | Binooki Verlag

Binooki Verlag

Der Verlag von Inci Bürhanye und Selma Wels hat ein ebenso klares, wie bedeutendes Profil: Türkische Literatur in deutscher Sprache. So leistet er einen entscheidenden Beitrag zur interkulturellen Verständigung. Gerade im sich zuspitzenden politischen Diskurs ist es für uns wichtig, unser Gegenüber wirklich zu verstehen, fernab von Klischees, die uns nur allzu oft im Alltag und den Medien begegnen. Tausend-und-eine-Nacht war gestern. Heute blicken wir hinein in eine junge Kultur, die den Titel „türkisch“ eigentlich nicht mehr braucht und durch deren bedeutende Werke wie das „Jahrhundertwerk“ Die Haltlosen von Oğuz Atay hoffentlich eine Brücke zwischen den Kulturen schlägt.

Buchtipp: Oğuz Atay: "Die Haltlosen" | ISBN: 978-3-943562-55-2 | Hardcover | 29,80 Euro

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