Wir sollten aufhören, uns Coffee to go zu bestellen
Für hier oder zum Mitnehmen? Einen Coffee-to-go hier, einen weiteren Coffee-to-go da. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich schnell von einem Ort zum anderen düse und mir mal eben schnell in der Eile einen Kaffee zum Mitnehmen auf die Hand hole – im unschönen Pappbecher mit noch unschönerem Plastikdeckel obendrauf. Den trinke ich dann unterwegs aus, gehetzt und gedankenlos zu Fuß oder in der überfüllten U-Bahn, ohne den Kaffee und sein Aroma auch nur ansatzweise in seiner Komplexität geschmeckt zu haben. Oder aber am Zielort angekommen, wenn er bereits kalt ist – mit Kaffeeflecken im Gepäck, weil mir der Kaffee beim Gehen zig Male übergeschwappt ist. Genuss pur! Äh, nein. Das hat absolut nichts mehr mit Kaffeekultur, Entspannung oder einer Pause allgemein zu tun, eher mit einer einzig zum Stresspegel beitragenden – und damit völlig banalen – Koffeinzufuhr.
Völlig banale Koffeinzufuhr
Kaffee trinke ich, weil er mir gut schmeckt. Filterkaffee, schwarz; Cappuccino, mit einem doppelten Espresso. Guter Kaffee ist praktisch mein Lebenselixier, und ihn zu trinken bereitet mir Vergnügen pur. Zu Hause oder im Café. In Gesellschaft oder allein. Coffee to go allerdings nicht.
Ich neige zu innerer Unruhe und Nervosität. Als mir endlich klar wurde, dass mich diese Art und Weise des Konsums von Kaffee (und Koffein) im Alltag aber noch viel nervöser und angespannter macht, als ich es sowieso schon bin, habe ich mir ganz bewusst ein neues Ritual angewöhnt: Wenn mich im Café die oder der Barista nach meiner Bestellung fragt, ordere ich meinen Kaffee von nun an nicht mehr länger zum Mitnehmen, sondern für hier. Ich bleibe und setze mich.
Das hat absolut nichts mehr mit Kaffeekultur, Entspannung oder einer Pause allgemein zu tun.
Wenn ich jetzt also Lust auf Kaffeegenuss und eine kleine Auszeit von der Hektik des Alltags habe, nehme ich mir neuerdings gut 20 Minuten Zeit, setze mich in ein kleines gemütliches Café meiner Wahl und schlürfe genüsslich meinen Kaffee. Gerne besuche ich auch mal eines, in dem ich noch nie zuvor gewesen bin – dann und wann mal wieder Neues zu sehen und auszuprobieren kann einen enorm inspirierenden und stimulierenden Effekt haben.
Wenn jetzt jemand den Einwand erhebt, er hätte keine Zeit dafür, dem kann ich entgegnen, dass selbst fünf bis zehn Minuten für eine kleine Kaffeepause genügen – und ich meine, wenn wir uns nicht mal mehr fünf Minuten am Tag für Genussmomente im Alltag freischaufeln können, dann läuft im Leben mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eh irgendwas verkehrt. Egal ob vor oder nach Schicht, zwischen zwei Terminen oder am freien Tag. Das Kaffeeritual lässt sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt realisieren.
Mein Kaffee-für-hier-Ritual
Mir tut mein "Kaffee-für-hier-Ritual" jedenfalls erstaunlich gut. Ich merke, dass ich selbst etwas für mein Wohlbefinden tun kann, Momente der Ruhe und Erholung in meinen Tag integrieren kann. Wir leben in schnelllebigen Zeiten, in denen wir kaum noch hinterher, geschweige denn zur Ruhe kommen, und uns schwer damit tun, das Hier und Jetzt tatsächlich zu genießen. Mit meiner kleinen Kaffeepause bin ich dabei zu lernen, mich aktiv in die Gegenwart zurückzuholen, in einen entspannteren Modus hineinzukommen, den Moment – und meinen Kaffee! – wieder zu genießen.
Tatsächlich empfinde ich die anregende Wirkung von Kaffee sogar als angenehm beruhigend und wärmend, wenn ich ihn im Café und nicht unterwegs trinke. Vor allem jetzt im Herbst und Winter, wo es draußen kalt und bereits sehr früh dunkel ist, ist es drinnen im Café umso wohlig-wärmer und gemütlicher. Es hat fast schon etwas Meditatives mit seiner Tasse Kaffee im Café an einem Platz am Fenster mit Blick nach draußen zu sitzen, die Menschen zu beobachten, das Stadtgewühl auf der anderen Seite der Fensterscheibe, während drinnen kurz die Uhren still stehen. Drinnen ist jetzt Pause. Zur Abwechslung mal wieder den Kaffee, den man vor seiner Nase hat, riechen und schmecken, kurz mal den Gesprächen am Nachbartisch lauschen, vielleicht sogar mit neuen Menschen in Kontakt kommen, oder einfach nur in absoluter Stille die Atmosphäre im Café auf sich wirken lassen.
Keinen Kaffee mehr zum Mitnehmen. Was ich stattdessen mitnehme? Einen deutlich herabgesetzten Stresspegel, mehr Müßiggang, verbesserte Konzentration und Momente der Zufriedenheit. Und natürlich verbrauche ich weniger To-go-Becher, kein unerhebliches Plus dieses neuen Rituals. Nun ja, ich kann es nicht leugnen, ich habe mich verliebt in meine Kaffeepause, meinen Kaffee für hier.
Keinen Kaffee mehr zum Mitnehmen. Was ich stattdessen mitnehme? Einen deutlich herabgesetzten Stresspegel, mehr Müßiggang, verbesserte Konzentration und Momente der Zufriedenheit.