Flucht vor Regen, Kälte und Schnee – Besuch in der Berliner Obdachlosenunterkunft "HalleLuja" in Friedrichshain

© Debora Ruppert

Von Debora Ruppert

Es ist Winter und ein eisiger, rauer Wind fegt durch Berlin. Von der U-Bahn aus gehe ich direkt nach Hause. Ich freue mich schon auf mein warmes Bett inklusive Heizdecke, obwohl ich noch keine Großmutter bin. Eine heiße Schokolade trinken und dann kuschelig und entspannt eine Serie anschauen, während in meinem Schlafzimmer Lichterketten leuchten.

Aber auf dem Weg nach Hause komme ich auf der Schönhauser Allee an zwei Obdachlosen vorbei, die dort auf dem Bürgersteig mitten an der vierspurigen Straße ihr Lager seit Monaten aufgeschlagen haben. Hier im Prenzlauer Berg – auf der Insel der Glückseligkeit – leben sie auf der Straße – bei Regen, Kälte und Schnee. Wenn es schneit, ziehen sie eine blaue Plastikplane über sich, damit sie nicht so nass werden. Nur wenige Meter weiter unter der U-Bahntrasse, an der Eberswalder Straße, liegen 4 Matratzen, eine Teekanne, Plüschtiere, Vodka und Tomaten. Auch hier leben Menschen, draußen im Freien, im Berliner Winter.

Es ist ein ungewöhnliches Bild – Obdachlose, die mitten im wohlhabenden Prenzlauer Berg auf der Straße schlafen. An einem Morgen entscheide ich mich die Beiden auf der Schönhauser Allee anzusprechen. Sie heißen Franz* und Stefan* (Namen geändert) und kommen aus Polen. Stefan ist nach Deutschland gekommen, um hier Arbeit zu finden. Er hat einige Monate auf dem Bau gearbeitet. Eines Tages schlief er nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause müde in der S-Bahn ein. Als er aufwachte, war sein Rucksack mit all seinen Papieren weg – geklaut. Ohne Papiere fand er keine Arbeit mehr, ohne Arbeit, keine Wohnung. Zurück nach Polen wollte er nicht. Nun lebt er auf der Straße – wie viele andere Osteuropäer.

Stefan. © Debora Ruppert

Schätzungen gehen von ca. 7000 bis 10.000 Obdachlosen in Berlin aus, die Caritas und das Diakonische Werk sprechen sogar von 11.000 Obdachlosen. Stefan lebt nicht alleine auf der Straße, sondern zusammen mit seinem Kumpel Franz, der kaum Deutsch spricht. Franz kommt gerade aus dem Krankenhaus – er hat Probleme mit seinen Beinen.

Franz. © Debora Ruppert

Ich frage Stefan, wo sein Familie ist. In Polen. Stefan erzählt mir vom Kältebus, dabei lächelt er. Der Kältebus bringt ihnen etwas Wärme in Form von heißem Tee, Decken und Isomatten. Ich frage ihn, warum er nachts nicht in eine Notunterkunft für Obdachlose zum Übernachten geht. Er sagt, dass diese meistens überfüllt seien, es dreckig ist und andere Obdachlose einen oftmals beklauen.

Es gibt in Berlin ca. 900 Schlafplätze als Notunterkünfte – viel zu wenig für die Tausenden Obdachlosen der Stadt. Ich entscheide mich, selbst eine Notunterkunft zu besuchen, um mir persönlich ein Bild davon zu machen. Ich besuchte die Traglufthalle mit dem Namen "HalleLuja" am Containerbahnhof in Friedrichshain.

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Als ich um 20 Uhr in der Traglufthalle eintreffe, steht draußen schon eine lange Schlange von Obdachlosen an. Drinnen laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Hier wird eifrig Obst geschnippelt und das Abendessen für 100 Obdachlose zubereitet, die in der warmen Traglufthalle der Stadtmission vom 1. November bis zum 31. März übernachten können. Etliche Studenten, insbesondere aus den Studienfächern Geographie und soziale Arbeit, arbeiten hier mit, auch zwei iranische Geflüchtete engagieren sich hier vor Ort als Mitarbeiter.

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Sabrina ist Gemeindepädagogin und leitet zusammen mit ihrer Kollegin Hannah die Wärmelufthalle. Durch die warme Helligkeit wirkt die Halle schon aus der Ferne wie ein Zufluchtsort. Und auch Sabrina strahlt Wärme, Freundlichkeit und Offenheit aus.

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Die Wärmelufthalle erstreckt sich über 1.000 Quadratmeter und hat eine Temperatur von 20–25 Grad. Das Ganze funktioniert wie ein Luftballon. Im Inneren entsteht ein Überdruck, der die Hallenwand aufbläht. Durch den grün ausgelegten Teppich, die Wärme und die Helligkeit erinnert es mich etwas an "Frühling im Winter".

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Um 21 Uhr öffnen sich die Pforten der Traglufthalle. Draußen hat sich schon eine lange Schlange von Gästen gebildet. Ein Team bestehend aus studentischen Mitarbeitern, Ehrenamtlichen und zwei Securities haben alles für den Einlass vorbereitet.

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Diese Notunterkunft ist nur für Männer gedacht, da es aufgrund der räumlichen Gegebenheiten schwierig ist, einen abgetrennten Bereich für Frauen einzurichten. Aber es gibt auch andere Notunterkünfte für Frauen.

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Aus Sicherheitsgründen sind in der Halle Alkohol, Drogen und Waffen verboten, deshalb werden die Obdachlosen beim Einlass abgetastet. Dies dient der Sicherheit der Gäste und der Mitarbeiter. Etliche Obdachlose haben Teppichmesser bei sich, die sie aber am Eingang abgeben müssen, damit sie im Falle eines Konfliktes sich nicht gegenseitig damit verletzten, aber auch als Schutz vor Suizid, da einige Gäste immer wieder Suizid gefährdet sind.

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Im Empfangsbereich können größere Gepäckstücke während der Nacht gelagert werden. Die Gäste geben ihr Gepäckstück wie bei der Garderobe im Club ab und bekommen im Gegenzug eine Nummer, mit der sie ihre Sachen dann wieder abholen können.

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Manche der Obdachlosen haben aufgrund von Krankheiten und Verletzungen Schwierigkeiten zu laufen. Für sie gibt es hier Rollatoren.

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Abends gibt es ein warmes Abendessen. Der größte Teil der Lebensmittel wird über Foodsharing, Berliner Tafeln etc. gespendet. Es gibt z.B. Eintopf, Pizza, Obstsalat, belegte Brote, Gebäck, Schokolade. Dazu heißen Kaffee und Tee. Morgens wird ein Frühstück angeboten, bevor die Obdachlosen gegen 8.30 Uhr wieder aufbrechen müssen.

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Dadurch, dass die Halle so groß ist und man nicht auf engstem Raum aufeinander sitzt, ist die Stimmung meistens friedvoll und entspannt. Das ist jedoch auch abhängig davon, wie stark alkoholisiert manche Gäste bei ihrem Eintreffen sind.

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Die Gäste werden mit Duschgel, Shampoo, Zahnpaste und Zahnbürsten versorgt. Es gibt Dusch- und Toilettencontainer. Stammgäste, die regelmäßig kommen, haben ihre eigene „Stamm-Zahnbürste“. Der Name wird notiert und die Zahnbürste in den Behälter gesteckt. Dies vermittelt manchen ein kleines Gefühl von Zuhause. "Ich habe noch eine Zahnbürste in Berlin."

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Insgesamt hat die Traglufthalle eine Aufnahmekapazität von 100 Betten. Die Klappbetten stehen in 4 verschiedenen Bereichen mit je 25 Betten, die jeweils durch Bauzäune als Raumteiler abgetrennt sind, um etwas mehr Privatsphäre zu schaffen. Nach einem langen Tag draußen in der Kälte auf den Straßen Berlins sind viele Gäste so müde, dass sie schon gegen 22 Uhr erschöpft in ihre Betten sinken. Wenn an einem Abend mehr als 100 Gäste kommen, gibt es die Möglichkeit, dass einige mit Isomatten und Schlafsack ebenfalls hier übernachten können.

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Da die Obdachlosen nicht krankenversichert sind, oftmals aber dringend ärztliche Betreuung brauchen, kommt jeden Montag eine Krankenschwester und dienstags ein Zahnarztmobil vorbei, um kostenlose medizinische Behandlung anzubieten. Zusätzlich helfen die Mitarbeiter der Traglufthalle den Obdachlosen beispielsweise beim Verbandwechsel. Wenn umfassendere medizinische Hilfe notwendig ist, geben sie den Obdachlosen die Adresse der Jenny De La Torre Stiftung in Mitte. Dort bieten Ärzte kostenlos medizinische Hilfe für obdachlose Menschen an.

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Es gibt direkt in der Halle einen Container für die Kleiderausgabe; insbesondere Jacken, Schuhe, Unterhosen und Socken sind sehr gefragt. Wenn jemand ein Kleidungsstück benötigt, kann er einen der Mitarbeiter ansprechen. Eine größere Kleiderkammer gibt es bei der Notunterkunft der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof (Lehrter Str. 68, 10557 Berlin). Hierfür können Mitarbeiter der HalleLuja Bedarfsscheine ausstellen.

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Den Mitarbeitern der HalleLuja ist es wichtig Perspektiven aufzuzeigen, welche Wege aus der Obdachlosigkeit heraus führen können. Dafür wird an einigen Abenden von 21 Uhr bis Mitternacht Sozialberatung angeboten. Alle 2 Wochen kommt Tobias von der Zentralen Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot, eine Kooperation der Caritas und der Berliner Stadtmission, vorbei. Außerdem kommen einmal die Woche die Frostschutzengel vorbei, die Beratung auch in Englisch, Bulgarisch, Russisch, Polnisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch anbieten. Zusätzlich gibt es auch Mitarbeiter, die gezielt Hilfe für junge wohnungslose Menschen zwischen 18 und 27 Jahren anbieten.

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Ich unterhielt mich lange mit Mario (links). Sein Vater kommt aus Kuba. Er lebt auf der Straße und hatte sein Instrument und seinen Verstärker immer dabei. Er erzählte mir voller Freude, dass Musik seine große Leidenschaft und er Straßenmusiker sei und eigentlich nicht an diesen Ort – auf die Straße – gehöre.

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Die "Obdachlosen" werden von den Mitarbeitern "unsere Gäste" genannt. Das finde ich sehr respektvoll, weil es Wertschätzung ausdrückt. Die Gäste hier kommen aus unterschiedlichen Ländern, wie Bulgarien, Rumänien, Deutschland, Polen, Russland, Litauen etc. Als ich mit diesem Gast ins Gespräch komme, erzählt er mir, wie gerne er Berlin mag und das er sich bewusst für Berlin als Stadt entschieden hat, wie auch seine Mütze zeigt.

Wer selbst vorbeischauen will:

Am Sonntag, den 12.02., 14 bis 16 Uhr, ist Tag der offenen Tür.

Ich fragte Sabrina, wie man praktisch helfen kann. Konkret helfen Sachspenden, z.B. Kleiderspenden (benötigt werden Männerkleidung und insbesondere Schuhe, Unterhosen, Socken und warme Jacken). Man kann auch ehrenamtlich für einen Abend mithelfen, z.B. beim Suppe ausgeben. Dringend werden auch Mediziner, Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen gesucht, die gerne mitarbeiten wollen. Bei Interesse kann man sich direkt an Sabrina wenden [email protected].

Notübernachtung III - HalleLuja | Am Containerbahnhof hinter dem Ring-Center (Frankfurter Allee), 10365 Berlin | 1. November bis 31. März, täglich ab 21 Uhr | Mehr Info

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