Wir müssen jetzt mal über Blasenentzündungen reden

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Wir schreiben das Jahr 2017. Wir sprechen über Liebe, Sex und Zärtlichkeiten so offen wie nie, wir testen polygame Beziehungsformen und wir tätowieren uns weibliche Geschlechtsteile auf den Körper. Aber über eine Sache sprechen wir nach wie vor nicht, die vor allem Frauen betrifft und oft im Zusammenhang mit Sex, aber auch völlig unabhängig davon ein stilles Leiden für viele ist: Blasenentzündungen.

Laut Umfragen erwischt es fast jede Frau im Laufe ihres Lebens mindestens einmal und wenn man direkt nachfragt, kann fast jede Freundin, Mutter, Schwester oder Kollegin aus eigener Erfahrung erzählen. Weil die Zahl der Betroffenen, sei es akut oder chronisch, so wahnsinnig groß ist und trotzdem noch viel zu schamhaft damit umgegangen wird, habe ich beschlossen, aus meiner eigenen Leidensgeschichte zu erzählen und weiterzugeben, was mir geholfen hat und was so gar nicht.

Meine Blase und ich – Ein mehrjähriges Drama

Als Disclaimer vorneweg: Ich bin keine Ärztin. Alles, was ich hier aufschreibe, beruht auf persönlichen Erfahrungen und soll auch als Erfahrungsbericht und nicht als medizinischer Ratschlag verstanden werden. Fundierte Informationen bekommt ihr beim Urologen oder Frauenarzt eures Vertrauens. (Und übrigens nicht in Online-Foren wie "Ständig Blasenentzündung DREHE LANGSAM DURCh WER WEISS RAT!!!!")

Bei mir fing alles damit an, dass ich einmal nach dem Sex einfach eingepennt bin, statt, wie man es immer gesagt bekommt, sofort danach zur Toilette zu gehen. Zwei Tage später rannte ich im Minutentakt zur Toilette und pinkelte Rasierklingen. Fünf Tage später lag ich mit unfassbaren Rückenschmerzen und einer Wärmflasche im Bett und konnte mich nicht mehr bewegen. Sechs Tage später lag ich mit einer Nierenbeckenentzündung in der Notaufnahme. Nach einer Woche Antibiotika hatte ich Ruhe. Etwa drei Wochen lang.

Das ist nunmehr zwei Jahre her und seitdem habe ich höchstens fünf Tage am Stück nur geringe Beschwerden – dann ziept es wieder in der Blasengegend. Ich kann "Blasenentzündungen" in vier verschiedenen Sprachen sagen und war bei 6 verschiedenen Fachärzten in dieser Stadt, die im Krankenhaus nicht mitgezählt. Ich habe im letzten Jahr mehr Geld für Medikamente ausgegeben als für Urlaub, Klamotten und Falschparkerknöllchen zusammen.

Stichwort Psyche: Wie schafft man es, nicht durchzudrehen?

Das Fiese an Blasenentzündungen ist, dass sie oft immer und immer und immer wieder kommen. Dreimal im Jahr, zwei Mal im Monat oder einmal die Woche. Irgendwann ist man psychisch komplett am Ende und kann die Auslöser schon gar nicht mehr genau bestimmen. Wie wird man da nicht wahnsinnig?

Ganz ehrlich: keine Ahnung. Ich hab's am Anfang nicht geschafft und bin beim leisesten Anzeichen einer Blasenentzündung heulend auf offener Straße zusammengebrochen. Die psychische Belastung ist massiv. Und das Stigma, das an einem haftet, auch. Fast jeder Arzt sagte zu mir dasselbe: Die Blase sei ein Stressorgan und wer regelmäßig mit wiederkehrenden Entzündungen zu tun hat, muss was für die Entspannung tun. Habe ich lange nicht geglaubt, denn ich habe mich nie übermäßig gestresst gefühlt beziehungsweise gedacht, mein Stresslevel sei einfach normal.

Mittlerweile weiß ich, dass das nicht ganz stimmt. Dass ich mich regelmäßig überfordere, über meine körperlichen Grenzen gehe und ganz und gar nicht darauf höre, wenn mir Dinge zu viel werden. Genau dann schaltet sich meistens auch die Blase ein. Der Prozess, genau auf sich zu achten und das persönliche Energielevel herauszufinden, ist ein langer Weg, aber einer, den es sich zu gehen lohnt.

Ich glaube nicht daran, dass Blasenentzündungen "eine reine Kopfsache" sind. Ich denke, es ist immer eine Mischung aus körperlicher und psychischer Prädisposition, aus falscher Behandlung und zusätzlich belastenden seelischen Einflüssen. Das ist bei jeder Patientin ein anderer Mix und jede muss sich selbst auf ihre eigene Ursachensuche machen. Mittlerweile versuche ich, die Blasenentzündungen als Signal meines Körpers ernst zu nehmen, aber die akute Krankheit sachlich und routiniert zu behandeln. Zum Glück gibt es einige Dinge, die mir dabei helfen:

Dinge, die ich aufgrund meiner Blasenentzündungen gekauft habe

Hier eine kurze, absurde Liste mit dem Titel "My Blasenentzündung made me buy it" :
Ugg Boots, damit ich im Winter nicht durch Frieren an den Füßen eine Entzündung risikiere. Sieht kacke aus, hilft aber.
Sündhaft teure Thermosocken als Ergänzung dazu. Gute Investition.
Einen Daunenmantel, damit ich im Winter nicht durch Frieren am restlichen Körper eine Ent...genau. Sieht auch kacke aus, hilft aber auch.
Einen klassischen Nierenwärmer.
Eine zweite Wärmflasche, damit ich im Bett eine an die Füße und eine an den Bauch packen kann.
Eine Wärmflasche zum Umbinden, damit die unhandlichen Dinger nicht immer verrutschen. Lebensretter!
Eine Urinella, damit ich mich auf öffentlichen oder sonst wie ekligen Toiletten nicht immer so blöd hinhocken muss.
Vierhundert verschiedene Sorten Blasen- und Nierentee. Schmecken alle beschissen, am besten ist noch der aus der Apotheke in Lissabon, wo ich im letzten Urlaub pantomimisch "Blasenentzündung" tanzte und glücklicherweise verstanden wurde. Der von Sidroga geht auch.
Koffeinfreien Kaffee. Malzkaffee. Koffeinfreien grünen Tee. Der Koffein-Entzug war hart.
Superkrasses Desinfektionszeug für die Hände, wenn ich auf öffentlichen, bis oben hin verdreckten WCs im Regionalzug pinkeln muss und ich neben dem Würgereiz danach zumindest das Gefühl sauberer Hände haben will.
Ein Netflix-Abo, damit ich an Tagen im Bett wenigstens Ablenkung habe.

Was mir sonst noch hilft

Im Laufe der Monate fand ich unter diesen ganzen Anschaffungen zwar nicht das eine Wundermittel, aber eben viele kleine Dinge, die mir geholfen haben – sowohl Medikamente, als auch in der Ernährung und in meinem Tagesablauf. Zum Beispiel das hier:

Statt Antibiotika nehme ich mittlerweile nur noch pflanzlich wirksame Medikamente wie Angocin, Cystinol oder Arctuvan. Gegen den ständigen Harndrang, bei Krämpfen und Schmerzen in den Beinen, die ich auch oft begleitend habe, helfen Spasmoyltika mit Trospiumchlorid. Das wird normalerweise bei älteren Frauen mit Harninkontinenz eingesetzt, aber hey, was hilft, das hilft. Das muss allerdings ärztlich verschrieben werden.

Unterstützend für's Immunsystem nehme ich Selen und Zink. Ob mir das nun wirklich die ein oder andere Blasenentzündung erspart hat, kann ich nicht genau beurteilen, aber immerhin habe ich seitdem nur noch zwei statt der üblichen vier Erkältungen im Jahr und das ist ja immerhin auch schon was.

Außerdem hilft mir Hüftöffner-Yoga, also Übungen, die die Sehnen und das Gewebe im Beckenboden, den Oberschenkelinnenseiten und dem Hüftbeuger dehnen, kräftigen und lockern. Wer oft Blasenentzündungen hat, rennt nämlich meistens unbewusst mit völlig verkrampftem Unterleib herum und es fühlt sich erst ungewohnt, aber dann sehr gut an, wenn man durch gezielte Dehnübungen wieder etwas Energie, Wärme und Weichheit an den "Ort des Grauens" sendet.

Auch sehr gute Erfahrungen habe ich mit Körpertherapie gemacht. Leider ist das eine Therapieform, die von den Krankenkassen höchstens anteilig bezuschusst wird, aber manchmal reichen auch schon vier oder fünf Sitzungen, um auf psychischer wie körperlicher Ebene weiterzukommen. Stress, egal wo er herkommt, ist nie gesund, deswegen sollte man beizeiten anfangen, einen Umgang damit zu suchen. Desweiteren wird immer wieder empfohlen, auf basische Ernährung zu achten. Weil ich zu faul war, zu recherchieren, welcher Käse und welches Fleisch denn nun mehr oder weniger geeignet sind, ernähre ich mich vegan – sicher ist sicher. Wissenschaftlich belegt ist die positive Wirkung auf die Gesundheit übrigens nicht – aber immerhin führt es dazu, dass ich bewusster drauf achte, was ich in mich hineinstopfe und das ist sicherlich nicht verkehrt.

So oder so ist es auch wichtig, blasenreizende Stoffe in der Ernährung zu vermeiden, sonst ist es, als würde man über eine grade verheilte Wunde wieder mit Schmirgelpapier drüber gehen. Dazu gehören Kaffee (ja, der Verzicht tut immer noch weh), Alkohol (fragt gar nicht erst), grüner und schwarzer Tee, Essig, Senföle, Koffein in Energydrinks oder Mate oder stark kohlensäurehaltiges Mineralwasser. Problemlos trinken kann ich demnach Wasser, Tee und Säfte – wenn ich mal eine Ausnahme mache, muss ich mir eben darüber bewusst sein, was auf mich zukommt. Mal nehme ich das in Kauf, aber meistens lasse ich es bleiben. Ich bin also die meiste Zeit ein müder, nüchterner, langweiliger Mensch. Sorry, Mitmenschen!

Wie erklärt man eigentlich seinem Partner, was man grade hat?

Für Männer sind Blasenentzündungen vermutlich ein ziemliches Mysterium. "Erst haben wir Sex und zwei Tage später musst du oft pinkeln - hä?". Ich habe mittlerweile aufgegeben, jedes mal vor dem herannahenden Koitus meine vorbereitete 30-minütige Powerpoint-Präsentation dazu zu halten. Im Grunde ist der ganze medizinische Teil auch völlig egal. Das einzige, worauf der Partner, sei es ein dauerhafter oder temporärer, achten sollte, sind saubere Hände und dass er mit egal welchem Körperteil nicht "von hinten nach vorne" arbeitet. Sonst gelangen Darmbakterien in die Harnröhre der Frau oder auch in die Vagina und an beiden Orten haben die nichts verloren.

Wenn der Partner unterstützend etwas für seine blasenkranke Herzdame tun möchte, finde ich immer Tee kochen, Wärmflasche nachfüllen oder Massagen für den unteren Rücken eine gute Möglichkeit. Mir wurde übrigens auch schon mal mehrlagiges Luxusklopapier geschenkt, das war ziemlich weird, aber eben auch ein bisschen toll.

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