Lasst mich in Ruhe mit euren Second Hand-Klamotten!

„Das ist ja eine super coole Leder-Bomberjacke!“ – „Die hab’ ich bei Humana gekauft, die ist vintage, hat nur 200 Euro gekostet.“ Ernsthaft? Wer früher mit den ausgewaschenen Jeans der älteren Geschwister oder der alten Lederjacke der Eltern auftauchte, zählte damals eher nicht zu den modischen Trendsettern. Heute ist das anders. Statt im Laden zu fragen, ob sie den Pullover vielleicht noch originalverpackt haben, weil ihn ja schon ein paar Menschen vorher anprobiert haben, ist das Credo jetzt: "Das ist nicht alt, sondern vintage".

Statt Altkleidersammlung steht heute „vintage“ auf dem Etikett

Denn inzwischen läuft man vor allem in Großstädten lieber herum, als hätte man den Kleiderschrank der Großeltern gekapert. Allerdings nicht den der eigenen Großeltern, sondern wildfremder. Anstatt die Kleider aus Wohnungsauflösungen in die Altkleidersammlung zu bringen, trägt man sie heute in einen Second Hand Shop. "Vintage" steht dann auf dem Etikett. Und getragen werden diese Kleider nicht mehr von bedürftigen Menschen, sondern Großstadthipstern, die für ein olles Hemd mit gelben Schweißrändern fremder Menschen 50 Euro hinblättern.

Das ist nicht vintage. Das ist ein gebrauchtes Shirt mit gelben Schweißflecken fremder Menschen, für die du gerade 50 Euro hingeblättert hast.

Ich meine, der Ansatz, Kleidung wiederzuverwerten, ist ja wirklich super, Stichwort: Nachhaltigkeit, Wegwerfgesellschaft, bewusster Konsum. Es ist sicher besser, gebrauchte Kleidung zu kaufen, bevor man sich wieder ein paar neue Stoffschuhe bei Primark für 5 Euro kauft. Außerdem kommen ja gewisse Modetrends auch wieder. Wenn ich mir heute Bilder meiner Eltern ansehe, wie sie in weiten Lederblousons und den stone-washed Levi’s-Hosen zu den Stones getanzt haben, sehe ich kaum einen Unterschied zu heute. Lediglich die Benennung änderte sich. Was damals ein Blouson, ist heute eine Bomberjacke. Und wo man früher auf dem Dorf für die alten, verwaschenen Levi’s-Karottenhosen ausgelacht wurde, kauft man sie heute gebraucht im Vintage-Store seines Vertrauens. Zwar sind sie dort fast genauso teuer, wie ein paar neue Jeans, aber dafür sind sie ja auch schon gebraucht und bevor man sie wegwirft, kann man sie ja auch noch tragen. Das stimmt, trotzdem werden meine Jeans nicht nachhaltiger, nur weil ich plötzlich horrende Summen dafür ausgebe.

Außerdem ist es doch irgendwie seltsam, den Wert eines Kleidungsstückes anhand des Gewichts zu messen: Diese Lederjacke sieht zwar furchtbar aus, aber wiegt satte 5 Kilo und ist somit teurer, als ein dünnes Oberteil, in dessen Design jemand vor einer Weile ziemlich viel Mühe und Kreativität gesteckt hat? Das ist so, als wäre man wieder auf dem Kunstmarkt des 17. Jahrhunderts, auf dem der Preis eines Bildes nicht nach Kreativität und Originalität sondern Größe festgemacht wurde. Kleidung ist doch keine Meterware. Ich will mich nicht in einen Pullover und eine Jacke blitzverlieben und dann an der Kasse einen Kilopreis genannt bekommen und meine neuen Schätze anschließend zerknittert in einer schwarzen Plastiktüte nach Hause tragen, als hätte ich gerade Schmuggelware gekauft. Es soll etwas Besonderes sein, ich will meine Neuerrungenschaften ja auch würdigen. Möbel gibt's doch auch nicht zum Kilopreis, das entwertet jede Mühe, die jemand in Design und Verarbeitung des Schmuckstücks investiert hat.

Second Hand-Läden sind wie der Dachboden meiner Oma

Es ist auch nicht so, als hätte ich nicht schon häufig versucht, Second Hand Mode gut zu finden. Und ich gestehe, eine alte Levi’s-Jeansjacke für 30 Euro aus dem Second Hand-Laden hat auch Einzug in meinen Kleiderschrank gehalten. Aber gebrauchte Sachen, die ungefähr nie richtig passen zu horrenden Preisen zu kaufen, verstehe ich nicht. Jedes Mal, wenn ich eine Filiale von Humana, Made in Berlin oder Pick & Weight betrete, fühle ich mich zurückversetzt auf den muffigen Dachboden meiner Großeltern. Dort lagern die Schätze der letzten fünf Jahrzehnte. Und genau so riecht es auch. Irgendwie werden die Sachen ihren muffigen Geruch auch nicht los, als würde der Geruch längst verstorbener Vorbesitzer noch in den Fasern stecken und wer möchte das schon? Der einzige Unterschied zwischen Dachboden und Second Hand-Laden ist, dass ich bei den Großeltern keinen Wert eines Laptops gegen alte Kleidung zu Kilopreisen tausche. Pick & Weight galt früher nur für Obst und Gemüse auf dem Markt, nicht für Kleider. Ich finde, das könnte ruhig auch wieder so werden.

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