Hat Attila Hildmann jetzt endgültig die Kontrolle verloren?

© Ariana Baborie

Als ich vor 25 Jahren im Kindergarten war, gab es da einen Jungen, der hatte ein, nennen wir es mal Aggressionsproblem. Den konnte man schon mit Kleinigkeiten zur emotionalen Explosion bringen – so emotional wie ein Fünfjähriger eben explodieren kann, wenn man ihm sagt, er könne nicht gut malen. Manchmal erinnert mich der Vegankoch Attila Hildmann an diesen Jungen. Eigentlich hat er eine sehr ehrenwerte Mission, die er sowohl mit seinen eigenen Produkten als auch mit seinem Snack-Restaurant verfolgt: Tierschutz, deswegen vegan. Das, finde ich, ist erstmal Anerkennung wert. Obwohl ich selbst zwar versuche, weitestgehend auf tierische Produkte zu verzichten, aber nicht streng vegan bin, denke auch ich: Wer einmal in einem deutschen Viehzuchtbetrieb steht und danach noch ohne mit der Wimper zu zucken behauptet, er habe kein Problem damit, das Fleisch dieser vor sich hin vegetierenden Kreaturen zu essen, der ist mir suspekt.

Des Öfteren schon hatte ich das Bedürfnis, einfach mal deeskalierend meine Hand auf seine Schulter zu legen und ihn zu beruhigen

Bis hierhin also Daumen hoch. Wenn es allerdings um das Auftreten von Attila Hildmann geht, sinkt die Hand langsam. Wer sich selbst immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit stellt, egal ob mit einem Workshop für Tamponfilzen, einem Startup das mit dem Partner Schluss macht, oder eben einer offensiv gefahrenen Gastronomie-Strategie, der muss damit rechnen, auch mal kritisiert zu werden. Damit meine ich nicht undifferenzierte Beleidigungen, sondern wirklich sachliche Kritik. Es kann halt nicht jedem alles gefallen. Statt sich durch Kritik angegriffen zu fühlen, gibt es ja auch noch die Möglichkeit, sie als Chance zur Verbesserung zu sehen. Letztgenanntes scheint nicht unbedingt zu Attila Hildmanns Stärken zu gehören. Wer ihm auf seinen Social-Media-Kanälen folgt, erlebt regelmäßig, wie er Screenshots von Kritiken postet und diese mit voller Verachtung zurückweist und Hausverbote erteilt. Man spürt förmlich seine Wut und Aufgebrachtheit. Des Öfteren schon hatte ich das Bedürfnis, einfach mal deeskalierend meine Hand auf seine Schulter zu legen und ihn zu beruhigen, indem wir gemeinsam mal ganz langsam bis drei zählen. Oder sagen wir lieber, bis dreihundert.

Zuletzt Grund für einen Wutanfall war eine Kritik über seine Snackbar im Tagesspiegel. Nachdem der Artikel erschienen war, entlud sich Attila Hildmann gewohnt unkontrolliert in sämtlichen Social-Media-Kanälen. Zusätzlich bat er am Mittwoch Journalisten in sein veganes Restaurant, um ihnen die Chance zu geben, sein angeblich mieses Essen selbst zu probieren – problematisch war daran nur, dass er auf dem Foto zur Einladung mit einer Pumpgun posierte und sich so selbst eine Vorladung bei der Polizei einbrachte.

Das Testessen hatte ich mir mit der Vorgeschichte ausgemalt wie die Pressekonferenz von Tic Tac Toe 1997.

Das Foto wurde gelöscht, die Einladung blieb bestehen. Mittwochnachmittag fanden sich etwa 30 Journalisten in seinem Laden in Charlottenburg ein. Für jeden gab es Burger, Süßkartoffelpommes und Matcha-Eis – all das, was in der Tagesspiegel-Kritik durchgefallen war. Dazu einen Bewertungsbogen, in der nach einer Note für den Burger gefragt wurde, sowie nach der Antwort, ob man weiterhin Fleisch bevorzugen würde. Das Testessen hatte ich mir mit der Vorgeschichte ausgemalt wie die Pressekonferenz von Tic Tac Toe 1997, lief entgegen meiner Erwartung aber so ruhig ab wie ein gemeinsamer Kantinenbesuch der Belegschaft vom Finanzamt. Attila Hildmann gab Interviews, die gut gelaunten Mitarbeiter gaben das Essen aus und an den Tischen saßen Presseleute, die so langsam und bedächtig auf Pommes und Dinkelbrötchen herumkauten, als würden sie auf Teufel komm raus versuchen wollen, etwas zu finden, das die negativen Gerüchte bestätigte. Stattdessen hörte ich mehrmals ein leise gemurmeltes „Kann man leider nichts sagen... Schmeckt gut, muss ich zugeben...“.

Er hielt ein nicht gerade kleines Schlachtermesser in der Hand.

Dann stellte sich Attila Hildmann vor seinen Laden, die Journalisten dackelten brav hinterher und hielten gespannt ihre Kameras und Mikros in seine Richtung. Hatte er doch schließlich angekündigt, ein Steak zu essen, sollte sich die Mehrheit gegen seinen veganen Burger aussprechen. Laut seiner Zusammenfassung hatten die meisten Anwesenden seinen Burger gut bewertet. Das glaube ich ihm, denn auch ich fand alles, was wir probieren durften, wirklich lecker. Ohne Einschränkung. Trotzdem hatte der Großteil wohl angegeben, dennoch nicht auf Fleisch verzichten zu wollen. Das hieß im Klartext: Steak für Hildmann. Während den Anwesenden noch nicht ganz klar war, was gerade passierte, fuhr er seinen vor dem Laden parkenden Porsche auf den Bürgersteig, um einem grauen Transporter Platz zu machen. Von drinnen: Tiergeräusche. Die Klappe des Transporters wurde heruntergelassen. Darin: ein Ziegenbock und ein Kälbchen. Dann folgte eine kurze Ansprache mit brüchiger Stimme, während der er ein nicht gerade kleines Schlachtermesser in der Hand hielt. „Ich habe gesagt, ich werde ein Steak essen. Aber ich werde kein Tier dafür töten. Wer von euch bringt also das Kalb hier um?“

Stille.

Er wiederholte seine Frage mehrmals und blickte in etwas betretene Gesichter. Man verspürte auf einmal das Bedürfnis, ganz geschäftig etwas in der Tasche zu suchen oder auf die Uhr zu schauen und sehr dringend weg zu müssen. Denn irgendwie war es schwer zu ertragen, Attila Hildmann in die Augen zu gucken, während er da vor diesen lebenden Tieren stand und mit zittiger Stimme versuchte klarzumachen, dass für die Befriedigung eines Gelüstes das Töten dieser Lebewesen notwendig war. Natürlich weiß man das. Jeder weiß das. Aber keiner will es selbst tun. Danach lief Attila Hildmann ganz ruhig durch die Menge der Journalisten. Man hätte ihn ganz einfach abfangen können, ihm Fragen stellen, wie Journalisten das nunmal so tun. Tat aber keiner. Betretenes Schweigen.

Vielleicht Yoga zur Beruhigung?

Man könnte ihm das jetzt als PR-Masche vorwerfen, um Aufmerksamkeit zu provozieren. Sicherlich war es das auch. In meiner Wahrnehmung ist Attila Hildmann aber vor allem ein Mensch mit einer guten Mission, der einfach manchmal seine Emotionen nicht im Griff hat und sich dann zu Aussagen hinreißen lässt wie „Wenn Sie wieder so eine Scheiße schreiben, werde ich diesmal komplett ausrasten!“

Ich glaube eher: Wenn sowohl er als auch die Berichtertsattung sich mehr auf das konzentrieren würden, was sein eigentliches Ziel ist, nämlich der Tierschutz, wäre allen geholfen. Und vielleicht sollte er zur Beruhigung Yoga machen. Das geht auch mit Tieren, Katzen zum Beispiel.

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