Über Gluten, Glutenintoleranz und warum du vermutlich aus anderen Gründen Magenprobleme hast
Dieser Artikel erschien zuerst auf Jeff's Finest, dem Blog von Manuel Jeffrey. Der Österreicher arbeitet in einer Rechtsanwaltskanzlei mit Schwerpunkt Lebensmittelrecht und liebt gesundes Essen. Auf seinem Blog schreibt er über aktuelle Food-Trends wie Veganismus oder Paleo-Ernährung, teilt seine leckeren Rezepte und klärt auf. Auch zum Thema "Gluten" hat Manuel einen Beitrag verfasst, den wir hier in gekürzter Fassung mit euch teilen.
Wissenschaftlich wird Glutenintoleranz als Zöliakie bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine genetische Autoimmunkrankheit, die die Dünndarmzotten beschädigt und dadurch die Aufnahme von speziellen Nährstoffen beeinträchtigt. Dabei löst das Eiweiß-Gluten, das in Weizen, Roggen, Gerste und anderem Getreide zu finden ist, gastrointerne Probleme aus.
Es wird angenommen, dass ungefähr 1 % der Weltbevölkerung unter Zöliakie leidet. Außerdem existieren Hochrechnungen, aus denen hervorgeht, dass etwa 80 % aller Menschen mit diesem Leiden nicht diagnostiziert sind. Spannend zu wissen ist außerdem, dass zwischen 5 und 22 % aller Menschen mit Zöliakie auch Verwandte mit der gleichen Intoleranz haben. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Zöliakie eine genetische Veranlagung ist, mit der du geboren wirst und die durch falsche Ernährung ausgelöst oder verstärkt werden kann.
Unbehandelt kann Zöliakie zu weitreichenden Problemen und Krankheiten wie Unfruchtbarkeit, reduzierte Knochendichte und Krebs führen. Leider existieren keine pharmazeutischen Mittel, um Zöliakie zu behandeln oder zu heilen. Das bedeutet, dass darunter leidende Menschen vollständig auf Gluten verzichten müssen – oder zumindest sollten.
Zwischen 5 und 22 % aller Menschen mit Zöliakie haben auch Verwandte mit der gleichen Intoleranz.
Der Ursprung des Anti-Gluten-Trends
Der Wissenschaftler Peter Gibson (Professor für Gastroenterologie auf der Monash Universität und Direktor des „GI Unit“ im Alfred Krankenhaus Melbourne, Australien) hat 2011 eine Studie veröffentlicht, die davon ausging, dass nicht nur Menschen, die an Zöliakie leiden, auf Gluten verzichten sollten, sondern dass es auch Menschen mit einer Glutensensibilität gibt.
Was viele nicht wissen: Bereits 2 Jahre später ließ der gleiche Wissenschaftler eine weitere Studie zu diesem Thema veranlassen, die zu einem gegenteiligen Erkenntnis gelangt ist. Die Studie zeigt, dass sämtliche Teilnehmer die gleichen Reaktionen in allen Gruppen gezeigt haben. Die Symptome wurden von Blähungen, Schmerzen bis hin zu Übelkeit beschrieben. Das bedeutet, dass sowohl in der glutenhaltigen als auch in der Placebogruppe eine Verschlechterung stattgefunden hat.
Die Daten indizieren also einen Nocebo-Effekt, was darauf schließen lässt, dass die Probleme psychologischer Natur sind. Die Teilnehmer haben von vornherein erwartet, dass die Studie sie krank machen würde und das ist ihrer Meinung nach auch passiert. Durch diese Ergebnisse ist Gibson zu einem anderen Schluss gekommen als bei seiner Studie aus dem Jahr 2011:
In contrast to our first study… we could find absolutely no specific response to gluten.Peter Gibson
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass Menschen ohne Zöliakie keinen Nutzen von einer glutenfreien Ernährung haben und lediglich unnötiges Geld für Essen ausgeben.
Warum hilft Menschen eine glutenfreie Ernährung dennoch?
Menschen haben seit dem Anbau von Getreide problemlos Gluten gegessen. Das ist nun 12.000 Jahre lang gut gegangen. Die meisten von uns können daher ganz unbedenklich Gluten essen. Menschen, die bereits Anzeichen einer Zöliakie im Anfangsstadium haben, sind von der kommenden Auflistung ausgenommen. Hier sind die Gründe, die meiner Meinung nach für einen schwachen Magen verantwortlich sind:
1. Du bist du gesund und konsumierst einfach ZU VIEL Gluten
Gluten ist ein Eiweiß, das etwas schwieriger zu verdauen ist und daher mehr Magensäure benötigt als andere Lebensmittel. Wenn du nicht genug Säure produzierst, führt dies zu einer schwachen Verdauung und das Gluten kann nicht aufgespaltet werden. Wenn du nun zu viel Gluten konsumierst, dann führt das auch bei einem gesunden Magen dazu, dass dieser überfordert ist und du Gluten nicht mehr gut verarbeiten kannst. Das Ergebnis: Deine Verdauung ist beeinträchtigt.
In unserer westlichen Gesellschaft wird viel, viel (VIEL!) zu viel Weizen konsumiert. Massen an Pizza, Kuchen, Brot und Pasta führen zu Bergen an Weizen und dadurch auch zu viel Gluten. Gluten per se ist – wie wir mittlerweile festgestellt haben – nichts Schlechtes. Zu viel davon schlägt allerdings dennoch auf den Magen, da unser Körper nicht darauf ausgelegt ist, so viel Gluten zu konsumieren.
2. Du hast eine FODMAP-Schwäche oder bist allergisch auf Weizen
FODMAP ist zum Beispiel eine wahrscheinlichere Ursache für ernährungsbedingte Darmprobleme. FODMAP ist eine Abkürzung für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole. Dabei handelt es sich um gewisse Kohlenhydrate und mehrwertige Alkohole, die in Lebensmitteln vorkommen. Zu FODMAPs gehören kurzkettige Kohlenhydratverbindungen wie zum Beispiel Laktose, Galaktose, Fruktane, Fruktose und so genannte Zuckeraustausschstoffe, die in unterschiedlichsten Nahrungsmitteln vorkommen. Fast allen Teilnehmern in der oben beschriebenen Studie ging es bei der FODMAP-armen Ernährung besser. Zufälligerweise stehen viele der FODMAP-Lebensmittel – ganz speziell Brot – auch bei glutenfreier Ernährung nicht mehr auf dem Speiseplan. Das würde wohl auch erklären, weshalb die abermillionen Menschen weltweit darauf schwören, sich bei glutenfreier Ernährung besser zu fühlen.
Jetzt könnte man meinen, es sei egal, ob Gluten oder FODMAP Grund für deinen schwachen Magen sind. Allerdings liegt der Teufel im Detail, denn eine beinahe richtige Ernährung ist eben auch nur beinahe gut für dich. Du kannst nämlich auch allergisch auf Weizen sein.
3. Moderner Weizen
Weizen ist nämlich in den letzten 40 Jahren krass manipuliert worden, damit der Anbau billiger wird und Weizen resistenter gegen Schadstoffe und Schädlinge wird. In Folge dessen sind auch viele Nährstoffe verloren gegangen, weshalb wir viel mehr „leere“ Kohlenhydrate konsumieren. Das bedeutet aber nicht, dass du auf Gluten verzichten musst. Es existieren viele gesunde glutenreiche Lebensmittel, die seit hunderten Jahren von Menschen ohne Probleme konsumiert werden.
4. Industriell verarbeitete Lebensmittel
Die Lebensmittelindustrie nimmt Weizen und ergänzt bei der Verarbeitung von Nudeln und Brot zusätzlich Gluten. Dadurch wird es einfacher, ein gut aussehendes Produkt zu produzieren. Auch das bedeutet nicht, dass du auf Gluten verzichten musst. Ich rate dir allerdings dringend dazu, auf alle industriell verarbeiteten (Fertig-)Produkte zu verzichten und selbst frische Mahlzeiten zu kochen.
5. Du hast eine beeinträchtige Verdauung
Ein weiteres Problem, wodurch du tatsächlich auch Probleme mit Gluten haben könntest, liegt an einer bestehenden und beeinträchtigten Verdauung. Das könnte daran liegen, dass du etwa zu wenig Magensäure produzierst, um das Eiweiß zu spalten. Ein Zeichen von vermeintlicher Glutenintoleranz könnte einzig und alleine ein Indiz für einen gefährdeten Magen sein. Die Konsequenz ist: Wenn du Gluten nicht richtig verdaust, dann verdaust du nichts richtig. Das bedeutet aber nicht, dass du auf Gluten verzichten musst. Viel eher bedeutet es, dass du anfangen solltest, eine ausgewogene Ernährung einzuhalten, in der du Schadstoffe vermeidest.
Glutenfreie Ernährung ist nicht mit gesunder Ernährung gleichzusetzen!
Fazit
Menschen essen also glutenfreie Versionen ihrer Lieblingsspeisen, die allerdings oft von dem gleichen Produzenten industriell verarbeitet werden und haben die genau gleichen Probleme wie davor. Ganz speziell Fertigprodukte werden mit vitamin-, mineral-, und ballaststoffarmen Lebensmitteln produziert. Ob nun Gluten darin ist oder nicht – dieses Essen ist oft schwer verdaulich und kann zu Gewichtszunahme führen.
Bei einer glutenfreien Ernährung geht es um Verzicht und Beseitigung gewisser Speisen – derartige Diäten sind anstrengend. Jedes Mal, wenn du etwas kochst, einkaufen gehst oder mit Freunden essen gehst, wirst du im Hinterkopf den Teufel auf der Schulter sitzen sehen, der dich mit moralischem Blick anstarrt.
Eine Diät aufgrund von Verdauungsproblemen zu beginnen, die aber nichts gegen die Ursache der Verdauungsprobleme tut, hat keine sinnvollen Nutzen. Viel eher muss die schwache Verdauung „repariert“ werden. Wenn du Gluten nicht gut verdaust und glaubst, dass du deshalb Glutenintollerant bist, dann liegt das womöglich einfach nur daran, dass du viele verschiedene Lebensmittel und Inhaltsstoffe nicht verarbeiten kannst. Ganz speziell rede ich über Giftstoffe, die in vielen Lebensmitteln zu finden sind.
Was du bei Magenproblemen tatsächlich tun solltest
Zum Arzt gehen. Menschen, die an Zöliakie leiden, reagieren bei den Tests bereits auf die kleinsten Mengen. Wenn dein Test negativ ausfällt, dann freue dich zunächst einmal. Hey, du bist nicht krank. Cool!
Anstatt Gluten völlig aus deinem Leben zu verbannen, rate ich dir zu diesen Schritten:
1. Verzichte auf modernen Weizen (sowohl in Restaurants als auch zu Hause) und greife stattdessen zu Dinkelmehl oder anderem Getreide wie beispielsweise Quinoa.
2. Verzichte auf industriell verarbeitete Lebensmittel (egal ob mit Gluten oder nicht).
3. Reduziere den Konsum von Gluten. Wir neigen dazu, einfach zu viel davon zu konsumieren.
Wenn dir das immer noch nicht hilft und du unbedingt glutenfrei werden musst, dann tausche (bitte!) nicht einfach deine bisherige industriell verarbeitete Pasta, dein Brot und deine Süßigkeiten mit industriell verarbeiteter glutenfreier Pasta und Brot. Greife stattdessen zu Getreide wie Naturreis, Mais, Amarant, Quinoa oder zu dem Pseudogetreide Buchweizen.