11 Fragen, die ich als Radiomoderatorin nicht mehr hören kann
Wenn ich auf Partys bin, dann gibt es da einen magischen Moment. Es ist aber weder der Moment, in dem der Alkohol zu wirken beginnt, noch der, wenn ich die WG-Toilette gefunden habe. Ich sehe ein Leuchten in den Augen meiner Smalltalk-Gesprächspartner, wenn es um meinen Beruf geht. Moderatorin. Jahrelang habe ich beim Radio die Morningshow moderiert. Das löst in vielen eine ähnliche Faszination aus, wie eine Raketenfahrt durchs Weltall. In diesen Momenten werde ich unfreiwillig zu Neil Armstrong, der immer und immer wieder von seiner verrückten Odyssee berichten muss. Versteht mich nicht falsch – ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Radio als Medium und die Arbeit dahinter für Außenstehende unglaublich spannend sind, so geht es mir z.B. mit dem Beruf des Golfballtauchers oder dem der Lachyoga-Trainern. Aber: Eure Fragen treiben mich in den Wahnsinn! Es sind immer die gleichen. Deswegen werde ich sie ein für allemal beantworten und mir danach die URL dieses Artikels auf den Unterarm tättowieren. Für den nächsten Party-Smalltalk.
1. Könnt ihr selbst aussuchen, welche Musik ihr spielt?
Kann der Arbeiter in der Schraubenfabrik sich aussuchen, ob er heute Edelstahl-Senkkopf produziert oder Kunststoff-Flügelschrauben? Eben. Nein. Es wird das gemacht, was der Chef sagt, und das ist beim Radio größtenteils genauso. Bei der Musik ist es die Redaktion für – Achtung, Überraschung – Musik. Und die suchen auch die Songs raus, nicht der Moderator.
2. Seid ihr morgens wirklich immer so gut drauf?
Ich glaube, es gibt immense Überschneidungen vom Leben eines Radiomoderators, der die Frühsendung macht, mit dem von Bundeswehrsoldaten. Der Wecker klingelt um 4 Uhr morgens, draußen ist es stockfinster, alle anderen normalen Menschen schlafen noch, aber man funktioniert einfach. Pow pow pow! Da wird nicht nachgedacht. Man guckt sich ein Motivationsvideo von Detlef D! Soost an und dann geht der Tag los. Wenn man dabei wirkt, als wäre man gut drauf: Good job!
3. Kommt ihr immer in Jogginghose zur Arbeit?
Diese Frage habe ich zugegebenermaßen öfter von Freunden gestellt bekommen als von Fremden. Der Gedanke dahinter lautet wohl, dass Menschen, die nicht primär „am Kunden“ arbeiten, in diesem Falle dem Radiohörer, sich nicht um ihre Bekleidung scheren müssen. Ich möchte dazu eine Gegenfrage stellen. Kommt der Callcenter-Mitarbeiter in Jogginghose zur Arbeit? Der Software-Programmierer? Der Onlinepoker-Spieler? Dem Hörer ist es sicherlich egal, wenn ich in der ausgeleierten Uncle-Sam-Hose am Mikro sitze. Meinem Chef beim Redaktionsmeeting eher nicht. Es sei denn, das Thema für die nächste Sendung lautet „Ich habe die Kontrolle über mein Leben verloren“.
4. Was macht ihr, während die Musik im Radio läuft?
Die offizielle Version: Wir bereiten die nächsten Moderationen vor, lesen uns komplexe Sachartikel durch, recherchieren nochmal, ob alle Fakten stimmen, und machen uns Gedanken über pfiffige Gags, die wir gleich in der Abmoderation des Songs raushauen können. Was wir wirklich machen: Youtube-Videos gucken.
5. Ist es schwer, morgens um 4 Uhr für die Frühsendung aufzustehen?
Nein – denn wenn du weißt, dass du jeden Morgen in den Tag startest mit deinen Hörern, die zu Freunden geworden sind, du in eine Redaktion kommst, in der Menschen arbeiten, mit denen du als Team zusammenwächst wie eine Familie, denen du in jeder Situation dein Leben anver.... ja, verdammt!! Es ist die Hölle!!!
6. Arbeiten beim Radio wirklich nur hässliche Leute?
Well. Who am I to judge...
7. Findest du die Musik, die ihr spielt, wirklich gut?

Als ich zum Radio gekommen beim, hatte ich eine ziemlich romantische Vorstellung davon. US-amerikanische Truckerfahrer, die mit einem Bandana um den Kopf den Highway entlang Richtung Sonnenaufgang fahren, im Hintergrund das Knistern des Autoradios. Teenager, die in Simpsons-Shirts auf ihren Betten hüpfen und in Haarbürsten als Mikros ihre Lieblingssongs im Radio mitkreischen. So grob in diese Richtung. Was ich bald erkennen musste: Im Grunde ist Radio oft nichts anderes, als Produkte für einen Homeshopping-Sender zu verkaufen. Natürlich findest du nicht alle Produkte gut! Der Schnellkochtopf ist einfach nur Schrott und die elektrische Schuhbürste hat nach einer Woche 80% ihrer Borsten verloren. Aber es ist dein gottverdammter Job, das Zeug zu feiern, als gäbe es für dich nichts Besseres auf der Welt! Auch wenn es Moderatoren gibt, die versuchen, dir das Gegenteil zu erzählen: Mit den Songs im Radio ist es genauso. Wenn du dich jetzt fragst, warum wir dann nicht einfach andere Lieder spielen – gehe zurück zu Frage eins (gehe nicht über Los, ziehe keine 2.000€ ein).
8. Warum müsst ihr ständig zwischen den Songs reden?
Stell dir vor, alle deine Freunde würden die gleichen Klamotten tragen. Wirklich eins zu eins die gleichen, sodass du sie nicht auseinanderhalten könntest. Es müsste also irgendetwas geben, worin sie sich unterscheiden. So in etwa ist das bei den meisten Radiosendern. Auch wenn es keiner, der dort arbeitet, gerne zugibt: Meistens klingen alle ziemlich gleich. Sie spielen die gleiche Musik, die Werbung kommt zu ähnlichen Zeiten und – Überraschung – die Nachrichten unterscheiden sich auch nicht massiv. Den Unterschied müssen also die Moderatoren machen, indem sie jedem Sender seine persönliche Note geben. Oder zumindest sollst du wissen, auf welchem Sender du gerade diesen unfassbar nervigen Katy-Perry-Song zum einhundertachtungneunzigtausendsten Mal hörst. Und dafür muss der Moderator nunmal kurz sprechen.
9. Zahlen euch die Künstler Geld dafür, dass ihr deren Musik spielt?

Das scheint tatsächlich eine ebenso verbreitete Annahme zu sein wie der Irrglaube, Radiosender würden Künstler dafür bezahlen, dass sie Interviews geben. Beides kann ich verneinen. Interviews sind in erster Linie Promo für die Künstler, ganz gleich ob eine Band ihr neues Album bewerben will oder eine Schauspielerin ihren neuen Kinofilm. Demnach sind die meisten Künstler sehr dankbar dafür, von Radiosendern zum Interview eingeladen zu werden. Das Spielen von Songs lassen Radiosender sich nicht bezahlen, sprich, sich mit Geld bei Sendern einzukaufen ist so nicht möglich. Was aber schon vorkommen kann: dass für das Spielen von Musik bestimmte Deals mit Plattenlabels abgeschlossen werden. Beispielsweise: „Wenn ihr die Songs von unserer Nachwuchs-Singer-Songwriterin Lady Moonlight spielt, geben wir euch dafür Tickets fürs ausverkaufte Rihanna-Konzert zum Verlosen“. Jepp, so läuft's.
10. Findest du deine eigene Stimme schrecklich?
Ich glaube, das ist ein bisschen wie bei Eltern und dem Geschrei ihres Babys. Man wird es nie als das schönste Geräusch der Welt bezeichnen – aber mein Gott, man gewöhnt sich dran...
11. Schreibt ihr euch alles, was ihr sagt, wortwörtlich auf, oder fällt euch das spontan ein?
Das macht tatsächlich jeder Moderator so, wie es ihm oder ihr am Besten liegt. Einige machen es komplett frei. Andere schreiben sich alles auf, inklusive Kunstpausen. Und die richtig guten notieren es sich recht ausführlich, aber lassen es so rüberkommen, als wäre es völlig spontan. Ich gehöre zu – [Kunstpause] – den richtig guten.