Was passiert, wenn man eine Nacht im Theater verbringt
Als wir gehört haben, dass das Ballhaus Ost jetzt einen auf Hotel macht, hat uns das ganz schön stutzig gemacht. Ein freies Theater, das ins Airbnb-Geschäft einsteigt? Wie absurd ist das denn? Das sollten wir uns mal anschauen! Wir? Genauer gesagt natürlich ich, die Praktikantin. Naja, was soll's. Eine Übernachtung im Hotel umsonst, klingt doch nett.
Als ich mir dann Mal das Programm durchgelesen habe, wurde mir aber doch etwas mulmig, was mich wohl erwarten wird. "Wir spielen beispielhaft durch, wie das Theater sein künstlerisches Kapital vermarktet, um seinen Fortbestand zu sichern. Es wird geführte Touren geben, bei denen Kapitalflüsse und Verschiebungen auf dem Berliner Mietmarkt untersucht werden.", heißt es da. Wie bitte? Ich dachte ich gehe ins Theater und nicht ins Bootcamp für Investmentbanker.
Als ich ankomme, wird mir eklärt, dass ich in der ersten Kategorie schlafe (klingt erstmal gut) und dass ich eine Erdbeere sei (weil es auch Raketen gibt, nicht so ganz so gut).
Ich werde zum Check-In geschickt, sehe auf dem Weg schon etliche Schlafmöglichkeiten und hoffe inständig, dass ich nicht auf der Treppe schlafen muss.
Nun ja, der Treppenabsatz ist es nicht geworden – schließlich bin ich ja erste Klasse – dafür allerdings ein Bett im Ballsaal, indem noch sechs weitere Betten sind, außerdem die Bühne, die Technik und der offensichtlich als provisorischer Versammlungsort dient. Bevor's los geht, schau ich mich schon Mal ein bisschen um.
Im Keller finde ich neben der Waschküche und einigen Abstellkammern auch ein Spielzimmer.
Wieso haben wir sowas nicht im Büro?
Ob ich wohl Mal an der Schublade gezogen hab, um zu schauen ob es Zigaretten umsonst gibt?
Und mir sagt man, ich müsste arbeiten für mein Geld..
Mein Erdbeeren-Dasein hat inzwischen auch einen Grund. Ich darf nämlich mit den andern 12 Erdbeeren den Abend verbringen und Touren durch's Haus machen. Los geht's mit Christine in die Garderobe, wo sie uns etwas über die Gründungszeiten des Ballhauses erzählt. Vor 10 Jahren wurde es von den Regisseuren Uwe Moritz Eichler, Philipp Reuter und der Schauspielerin Anne Tismer gegründet. Das erste Stück, das hier gespielt wurde, hieß übrigens "Don't cry for me Adolf Hitler".
Die Zigaretten waren zwar leider nicht umsonst, dafür dieser mittel schmackhafte Wodka. Trinken in der Garderobe, macht man das so beim Theater? Früher sollen hier ja Techno-Parties bis Montag Mittag gewesen sein..
Pause. Ich höre mich mal um, was die anderen so hergetrieben hat.
Ich erwische direkt eine Beteiligte, Brigitte, sie spielt ab Donnerstag die Rolle der Architektin. Architektin? Dass es die Rolle gibt wusste ich nicht. Sie spoilert aber nicht weiter, ich darf gespannt sein, was es damit auf sich hat.
Dieser schicke und überaus unauffällige Rock ist übrigens käuflich zu erwerben. Er gehörte früher zu einem Kostüm des Theaters und wird heute verhökert, um die Miete zu bezahlen. Erinnert mich ein bisschen an Teleshopping, existiert das eigentlich noch?
Gastgeberin Tina zeigt uns ihr Haus. Weil sie sich gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befindet, startet die Führung ganz oben, dann arbeiten wir uns runter.
Bin ich doch nicht im Theater, sondern in einer klassischen Studenten-WG gelandet?
Im Lager der Helmis ist es ziemlich muffig und aufgeräumt auch nicht gerade. Dabei wäre das vielleicht notwendig, denn Tina erzählt uns, dass sie mal Puppen vermisst haben und dachten sie seien geklaut worden. Zwei Wochen später bemerkten sie dann, dass sie die ganze Zeit hier waren.
Meine letzte Tour bringt mich zurück in die Garderobe, wo Ali und Herr Diano (84) eine Performance der ganz besonderen Art für uns vorbereitet haben. Während Ali vorliest spielt er auf einer Plastik-Kindergitarre. Ein bisschen absurd, die Szenerie.
Er liest Anwaltsbriefe vor, in denen man Herrn Diano seit zehn Jahren auffordert aus seiner Wohnung auszuziehen, um ein Luxusappartement daraus zu machen. Außer mit seiner ist das schon mit allen Wohnungen im Haus geschehen, statt über 30 Menschen wohnen jetzt nur noch halb so viele hier.
Zwischendurch erzählt der 84-Jährige Schwänke aus seinem bewegten Leben. Jockey wollte er eigentlich werden, aber Papa hat's verboten. Dann wurde er Artist, hat Affenbisse überlebt und Krankenschwestern gehabt, die sich zu ihm ins Bett gekuschelt haben – natürlich nur, um den Genesungsprozess zu beschleunigen.
Es ist schon fast Mitternacht. Bevor es was zu Essen gibt, klärt sich auch, was es mit der Architektin auf sich hat. Heute ist es Anna Baltschun, die einen Entwurf für den Umbau des Ballhauses vorstellt. Statt luxuriöser Lofts, schlägt sie vor, das Haus so in Stand zu setzen, dass man einen Teil als Hotel und einen nach wie vor als Theater nutzen kann. Das Haus hat zur Zeit einen Wert von mehreren Millionen, das kann sich ein freies Theater allein nicht leisten.
Ein bisschen wie in Hogwarts fühlt es sich an, an so einer langen Tafel zu essen.
Nach dem Essen unterhalte ich mich draußen noch ein bisschen mit Hendrik und Nora. Die beiden waren für das Bühnenbild und die Kostüme zuständig, heißt: Die beiden haben hier fröhlich 75 Betten im Ballhaus verteilt.
Seit zwei Monaten sind sie hier am vorbereiten, die restliche Crew arbeitet an dem Projekt mit Unterbrechungen seit fast zwei Jahren.
Als ich mich endlich schlafen legen wollte, war mein Bett leider schon belegt. Knutschen in fremden Betten, in großen Räumen mit vielen Menschen. Klingt nach Klassenfahrt. Ich will die beiden aber nicht stören und suche mir ein anderes freies Bett.
Im 4. Stock finde ich dann diese süßen 8 Quadratmeter, sie erinnern mich an mein erstes WG-Zimmer. Vielleicht habe ich deswegen so überraschend gut geschlafen.
Warum liegt hier eigentlich Stroh?
Geweckt hat uns der hauseigene Sänger, der seine Notenblätter natürlich auf seinem iPad hat. Das nenne ich Avantgarde.
Als ich den Abend noch einmal Revue passieren lasse, ist die ganze Aktion doch nicht mehr so konfus, wie anfangs gedacht. Welche Missstände, für solche freien Kulturinstitutionen existieren, ist deutlich geworden.
Ich trinke noch einen Kaffe zum Frühstück und mache mich nach einer spannenden und ziemlich aufschlussreichen Nacht im Theater wieder auf den Weg zur Arbeit.
Wenn ihr neugierig geworden seid, könnt ihr euch ja noch bis zum 18. September eine Nacht ins Ballhaus Ost einmieten.