Warum Leipzig niemals das neue Berlin wird

Mittlerweile scheint es selbst bei Rentnern aus Ost-Kasachstan angekommen zu sein: Die Karawane der Weltoffenen, Kreativen zieht weiter. In das neue Berlin, nach Hypezig! Doch es gibt ein paar Haken – und die verstecken sich überall hinter ihren kleinen Altbaufensterchen und den schick-hergerichteten Plattenbau-Balkonen der Stadt.

Ja, Leipzig. Als ich vor etwas mehr als einem Jahr aus Berlin hier herzog, machte ich mir keine Illusionen. Zu erwarten, dass hier irgendetwas Großartiges passieren würde, lag mir völlig fern. Eigentlich suchte ich nicht mehr als eine bezahlbare Bude und freute mich auf ein etwas weniger anonymes Stadtleben.

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Obwohl ein simpler Besuch in die Stadt bereits gereicht hätte, verdrängte ich mein Gefühl zunächst: Irgendwas hier stimmt nämlich nicht. Und ich spreche nicht nur über die fürchterlichen Gelfrisuren der Provinzler und in schlechtsitzende Anzüge gesteckte Kleinunternehmer, die einen am Hauptbahnhof willkommen heißen.

Ein kleines Stück hinter der selbst für die Bewohner langweiligen Südvorstadt lauert beispielsweise die angebliche Hochburg der alternativen Szene Leipzigs. Doch selbst der wohlwollendste Betrachter erkennt schnell: Pustekuchen! Die Straßen beherbergen nicht mehr als ein paar Dönerbuden und Rockerkneipen, die es immer noch witzig finden, überall diese blöden Emaille-Schildchen hinzuhängen, auf denen zum Umtrunk aufgerufen wird. Wer sowas braucht, will in Wirklichkeit schnellstens nach Hause und sich seine Aufzeichnung der verpassten Folge „Verbotene Liebe“ reinziehen. Mittlerweile wohnt sogar der Bürgermeister in einer der zugegebenermaßen ziemlich schicken Altbauten und selbst die Jungle World schreibt:

In „Klein-Paris“, wie Leipzig von manchen Antifa-Gruppen genannt wird, zelebriert man den „Mythos der Trutzburg Connewitz“. Der Bewegungsradius der jeweiligen Bewohner reicht über den nächsten Spätshop selten hinaus. Man bleibt also auch hier stets unter sich und kommt mit der Welt kaum in Kontakt.

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Einer der größten Vorteile der Stadt, der günstige Mietzins (ab 300 Euro bekommt ihr eine ganze Altbauwohnung) wird von der Szene peinlich bejammert, obwohl noch immer ganze Häuser leer stehen. Passend dazu gehört der Begriff „Gentrifizierung“ zum festen Handwerkszeug einer pseudo-intellektuellen Alltagsdebatte in den Hinterhof-Bars auf der Eisenbahnstraße, wo Fremde nicht gern gesehen werden.

Dabei ist es nicht so, als würde sich irgendjemand um alte Menschen kümmern, die ihre seit Jahrzehnten bewohnte Bude wegen Renovierungsarbeiten verlassen müssen. Was einzig zählt: dass sich bloß nichts verändert am eigenen, erbärmlich kleinen Horizont: Miete billig, Bier billig. Weiter beschreiben es die Herren Schilk und Zeidler:

Große Teile der sächsischen Linken sind ohnehin selbst heimattreue Kiezpatrioten, die sich wacker gegen szenefremde Eindringlinge und Gentrifizierung genannte Veränderungen stemmen und unablässig Identität, Mythen und Feindbilder produzieren. Auf Kritik reagieren sie ebenso allergisch wie die Stadt- und Dorfgemeinschaften im Hinterland auf Nestbeschmutzer.

Und damit sind die angeblich so aktiven Linken der Stadt der traurigen Bewegung von rechts am Ende doch näher, als sie es wahrhaben wollen. Schuld ist immer der Zuzügler, der Immobilienhai, ja, der Kapitalismus.

Der macht unterdessen einen großen Bogen um die Stadt: Während diese nämlich noch eine „gefallene Arbeitslosenquote von 9,1%“ bejubelt, dürfen Leipziger in aller Regel zwischen schlechtbezahlten Flexi-Jobs in der Logistikbranche, unbezahltem Startup-Kram und dem Arbeitsamt wählen.

Es könnte sich also ruhig mal was tun hier, aber so unzufrieden die Bewohner dieser Stadt mit ihrer neugefundenen Beliebtheit auch sind, so sehr irritieren sie auch ihre Besucher.

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Unbeeindruckt davon kommen die weiter in Strömen, etwa 15.000 zogen letztes Jahr gar probeweise in die sächsische Altbau-Siedlung. Die kleine Großstadt Leipzig, die doch so viel sein soll, aber eben nicht will. 

Vielleicht müssen wir den Leipziger nur sagen: Chillt euch mal. Fahrt mal raus und kommt mit etwas Offenheit wieder zurück. Seht das Neue als Chance und denkt dran: Die Menschen machen eine Stadt. Und die muss auch nicht so enden wie Berlin.


Geschrieben von Richard Gasch. Dieser Artikel ist zuerst auf ze.tt erschienen.

Fotos: Titel: © PercyGermany/flickrCC; Wohnungen: © deux espates/flickrCC, Rest: © Milena Zwerenz

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