Ausflug ins ehemalige Olympische Dorf Berlin
Während sich die besten Wintersportler der Welt gerade in Südkorea messen, schleichen wir eine Runde durch das Olympische Dorf in Berlin, das hier anlässlich der Spiele 1936 errichtet wurde. Ciaran von Abandoned Berlin war dort.
Es war schon eine olympische Leistung, hierher zu kommen (Jesse Owens wäre stolz auf mich). Mehr als 40 Kilometer sind es auf dem Fahrrad von Friedrichshain nach Elstal, zumindest, wenn man so sorglos fährt wie ich. Fast schon zu erschöpft, um mich noch umzuschauen, komme ich beim Olympischen Dorf an. Doch einfach umdrehen und dem verlassenen Ort den Rücken zukehren, der einst fast 5000 Athleten beherbergte? Kommt nicht in Frage. Ich muss reingehen.
Kaum zu glauben, aber es gab eine Zeit, als die Olympischen Spiele noch nicht von Doping-Skandalen überschattet wurden, eine Zeit, als die Olympischen Spiele noch weltweit beliebt waren. Die Olympischen Spiele in Berlin 1936 zählten zu den fesselndsten Spielen in der Geschichte, wenn auch aus den falschen Gründen.
Als sie stattfanden, waren die Nazis bereits seit drei Jahren an der Macht. Die Spiele sollten Hitler als Bühne dienen, um der Welt seine Größe und die Überlegenheit der arischen Rasse zu präsentieren. Doch stattdessen passierte genau das Gegenteil. Eine "minderwertige Rasse" bewies sich gegen den Rest der Welt. Jesse Owens holte vier Goldmedaillen, ganz zur Freude aller – außer dem sogenannten Führer.
Doch an solche Sachen denke ich nicht, als ich endlich die leeren Gebäude hinter dem Zaun zwischen den Bäumen ausmachen kann. Da ist es: Das Olympische Dorf, 14 Kilometer westlich des Olympiastadions, zwischen 1934 und 1936 gebaut und verlassen, seit die letzten russischen Soldaten 1992 abgezogen sind.
Eigentlich sollten die Olympischen Spiele schon 1916 in Berlin stattfinden, aber der Erste Weltkrieg, der zwei Jahre vorher ausgebrochen war, unterband den ursprünglichen Plan. Als Angebot, Deutschland nach seiner Niederlage zurück in die internationale Gemeinde zu bringen, entschied das Internationale Olympische Komitee 1931, dass die Spiele trotz allem in Berlin stattfinden sollten. 20 Jahre später als eigentlich geplant.
Ich würde sagen, Hitler, der zwei Jahre später an die Macht kam, konnte sein Glück wahrscheinlich kaum glauben. Gibt es eine besser Möglichkeit für einen eifrigen Despoten, um die Größe seines Landes und seine Macht zu demonstrieren?
Das Olympische Dorf wurde schließlich auf 550.000 Quadratmetern Land gebaut, das der Wehrmacht gehörte. Sie scheuten keine Kosten – und holten für den Kunstsee sogar Tiere und Schwimmvögel aus dem Berliner Zoo. Die Nazis, rücksichtsvoll wie sie waren, stellten außerdem sicher, dass alle errichteten Gebäude nach den Spielen an die Wehrmacht zurückgehen würden.
Als das Gelände zwischen dem 1. Mai bis 15. Juni 1936 für die Öffentlichkeit geöffnet wurde, kamen etwa 370.000 interessierte Besucher kamen, um sich das Areal anzuschauen.
Im Juli zogen schließlich mehr als 4.800 männliche Athleten, Coaches und Berater aus etwa 50 Ländern ein. Sie wurden in den 136 einstöckigen Bungalows untergebracht. Die 500 Athletinnen kamen am Reichssportfeld am Olympiastadion unter. Die luxuriösen Einrichtungen kamen bei den Athleten gut an, liest man heute. Nur die stetige Anwesenheit des Militärs und die schamlose Propaganda ärgerten sie wohl ein bisschen.
Das zweistöckige Hindenburg-Haus, benannt nach dem Feldmarschall und deutschem Präsidenten Paul von Hindenburg, Schirmherr der Spiele bis zu seinem Tod 1934, war das Hauptverwaltungszentrum mit eigener Fernsehzentrale. Hier wurden zum ersten Mal TV-Live-Schaltungen getestet.
Der ganze Spaß dauerte vom 1. bis 16. August. Nach einem von der internationalen Presse gefeiertem "erfolgreichen Wettbewerb" wurde das Olympische Dorf dann renoviert und an die Wehrmacht übergeben. Die ersten Soldaten zogen schließlich in die Gebäude ein, die im Dezember zur Infanterieschule Döberitz wurden.
Das große Speisehaus der Nationen, das 40 Kantinen zur Versorgung der hungrigen Athleten behauste, wurde in ein Krankenhaus verwandelt, das Hindenburg-Haus wurde eine Schule und Hörsaal.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die Sowjetischen Truppen das Olympische Dorf und nutzen es, um dort militärisches Personal unterzubringen. Sie waren auch diejenigen, die die Plattenbauten, große leere Hüllen seelenloser Apartments, lange nachdem die Athleten dort waren, errichteten. Seit die letzten russischen Soldaten 1992 weg sind, sind sie verlassen. Die Tapete an den Wänden ist noch dran.
Ich bin wie gebannt. Überall ist faszinierende Schwerfälligkeit zu spüren, mondäne Wunder. Überall eine unbekannte Geschichte, die erzählt werden will. Wer hat hier gelebt? Was haben sie gemacht? Was haben sie nach dieser Tapete gekauft? Ich habe noch nie so viele Fotos von Tapete in meinem ganzen Leben gemacht.
Das, was von den Originalgebäuden übrigen ist, steht heute unter Denkmalschutz und fängt an, etwas gesünder als früher auszusehen. Die Restauration geht nur langsam voran, behindert von fehlendem Geld und der Untauglichkeit für lukrative Apartments. Das Dorf ist einfach zu weit von Berlin weg.
Draußen treffe ich jemanden, der genauso davon überrascht ist, mich zu sehen, wie ich ihn zu sehen. Ein Hase, der es wahrscheinlich gewohnt ist, das ganze Olympische Dorf für sich zu haben. Wir stehen uns reglos gegenüber, gucken uns an. Er zuckt mit der Nase und ist verschwunden. So schnell, als ob er versucht, eine weitere Goldmedaille zu holen.
Olympisches Dorf Elstal | Rosa-Luxemburg-Allee 70, Elstal | 1. April bis 31. Oktober 2016, Montag – Freitag: 10–16 Uhr, Samstag & Sonntag: 10–18 Uhr | Eintritt mit Führung: 10 Euro | Mehr Info
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